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Zum 1. Mai 2021: internationale Solidarität seit 150 Jahren

Jedes Jahr feiern wir am ersten Mai den Tag der Arbeit. Als Kampftag der Arbeiterklasse wird er beinahe in der ganzen Welt begangen. Corona zwingt uns zum zweiten Mal dazu, dass statt der traditionellen Kundgebungen ein Livestream gezeigt wird. Das Motto „Solidarität ist Zukunft“ weist auch darauf hin, dass nicht nur Krisen wie eine Pandemie geschlossenes weltweites Handeln erfordern.

Auch im Jahr 2021 steht der Tag der Arbeit wieder im Zeichen der Corona-Pandemie. Zum zweiten Mal müssen wir auf unsere traditionellen Maikundgebungen verzichten. Neben begrenzten Aktionen vor Ort wird der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) wie im vergangenen Jahr wieder einen rund 90-minütige Livestream zum 1. Mai senden.

Gesendet wird er aus der DGB-Zentrale in Berlin am 1. Mai 2021 ab 14 Uhr über Facebook, Youtube und die DGB-Webseite. Er steht unter dem Motto „Solidarität ist Zukunft“. Mit dabei sind auch in diesem Jahr wieder namhafte Künstlerinnen und Künstler in einem bunten, politischen Programm von Poetry Slam bis zum „größten Chor Deutschlands“.

Seine Wurzeln hat der Tag der Arbeit in den USA

Der Tag der Arbeit ist seit jeher ein Tag der internationalen Solidarität. Das wird deutlich, wenn wir uns dessen Geschichte etwas ansehen. Seine Geschichte beginnt nicht heiter und mit Feiern. Sie ist eine eher düstere Geschichte, aber auch kämpferisch und mit der Einsicht verbunden, dass diejenigen, die nicht auf der Siegerseite des Kapitalismus stehen, nur mit Solidarität und Entschlossenheit ein Stück vom immer größer werdenden Kuchen des Profits abbekommen können.

Die Vereinigten Staaten von Amerika nach dem Bürgerkrieg (1861 bis 1865): die Wirtschaft wuchs sehr stark und das Land industrialisierte sich sehr schnell. Das war zum Teil begründet durch einen erheblichen Geburtenüberschuss, aber vor allem aufgrund Millionen europäischer Einwanderer. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten die USA sämtliche Staaten Europas an Wirtschaftskraft überholt.

Für die Einwanderer aus Europa waren die USA so eine Art „gelobtes Land“, das die Chance auf einen raschen sozialen Aufstieg bot. Anders als in Italien, Polen oder Deutschland gab es keine festen Klassenschranken. Jeder hatte zumindest theoretisch die Möglichkeit, reich zu werden. Dieser „amerikanische Traum“ lebt bis heute fort, auch wenn er für die allermeisten Menschen nicht aufgeht.

Für viele war der amerikanische Traum ein Alptraum

Auch die europäischen Einwanderer im 19. Jahrhundert mussten feststellen, dass Amerika für sie vor allem Arbeiten unter schlechten Bedingungen zu zumeist geringen Löhnen bedeutete. Ein amerikanischer Albtraum. Wegen des immensen Bevölkerungswachstums entstand ein hohes Reservoir von Arbeitskräften, was die Löhne drückte und den Fabrikeignern die Möglichkeit gab, Arbeitskräfte nach Gutdünken zu heuern und zu feuern.

Das sehr große Wirtschaftswachstum in den Vereinigten Staaten führte so nicht zu einem allgemeinen Wohlstand, sondern zu einer sehr ungleichen Verteilung der Vermögen: wenigen Superreichen standen Millionen Arbeitnehmer*innen gegenüber, die sozial zudem überhaupt nicht abgesichert waren. Gesetzliche Sozialversicherungen waren gänzlich unbekannt oder -wie heute in den USA zum Teil immer noch- als gefährlicher sozialistischer Unfug verschrien, weil sie angeblich den Antrieb zur Arbeit schmälern. 

Die Folge war, dass gerade viele Einwander*innen einen amerikanischen Albtraum leben mussten. Sie waren zwar viel freier als in ihren Herkunftsländern. Eine wirkliche Chance, ihrem wirtschaftlichen Elend zu entkommen, hatten sie von wenigen Ausnahmen abgesehen in der Regel aber nicht. 

Es entstand die Einsicht, dass nur der gemeinsame solidarische Kampf den meisten die Chance bietet, am immensen gesellschaftlichen Reichtum der USA teilzuhaben

So schlossen sich auch in den USA viele Arbeitnehmer*innen zu Gewerkschaften zusammen. Die Hoffnung, dass im Land der unbegrenzten Möglichkeiten jeder einzelne für sich nur aufgrund seiner Fähigkeiten und seiner Bereitschaft zu Leistung es zu etwas bringen kann, hatten sich für die meisten schnell zerschlagen. Viele kamen zu der Einsicht, dass nur der gemeinsame solidarische Kampf den meisten die Chance bietet, am immensen gesellschaftlichen Reichtum der USA zumindest ein Stück weit zu partizipieren.

Weil die Arbeitsbedingungen oft düster und gefährlich und die Löhne niedrig waren, kam es in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts in den USA zu vielen Streiks und Demonstrationen. Am ersten Mai 1886 streikten rund 400.000 Arbeiter in mehreren Städten der USA und forderten die Einführung eines Acht-Stunden-Tages. Gegen die Arbeiter von McCormick in Chicago, einem industriellen Hersteller von Erntemaschinen, gingen Polizisten gewaltsam vor, um sie zur Aufnahme der Arbeit zu zwingen.

Auf dem Heumarkt in Chicago kam es zum Massaker

Am dritten und vierten Mai 1886 eskalierten die Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Streikenden in Chicago. Einer der führenden Organisatoren und Redner der Protestveranstaltung war der deutsche Einwanderer August Spies. Er war der Herausgeber der „Arbeiter-Zeitung“, dem seinerzeit wichtigsten deutschsprachigen gewerkschaftlichem Organ in Chicago. Noch heute ist Spies für viele Historiker*innen in den USA ein Aufwiegler, der die Eskalation der Proteste zu verantworten hatte.

Auf dem Heumarkt der Stadt („Haymarket-Square“) kam es zu einem Massaker, bei dem viele Demonstrant*innen und auch einige Polizisten starben. Die Veranstaltung war an diesem Tag schlecht besucht. Zur Enttäuschung der Organisatoren hatten sich nur etwa 300 Demonstrant*innen eingefunden. Trotzdem zog nach der dritten Rede eine 176 Mann starke Polizeitruppe vor die Rednertribüne und erzwang den sofortigen Abbruch der Versammlung, was von den Organisatoren widerspruchslos hingenommen wurde.

Angeblich soll dann einer der Demonstrant*innen eine Bombe in Richtung der Polizei geworfen haben, was aber nie wirklich aufgeklärt wurde. Belegt ist aber, dass die Polizei nach Abbruch der offiziellen Veranstaltung das Feuer eröffnete und eine große Zahl von Demonstranten tötete und verletzte.

Acht Streik-Organisatoren wurden danach wegen Aufruhr angeklagt. Obwohl es keinerlei Beweise gab, dass sie zu Gewalttaten aufgerufen hatten oder gar an ihnen beteiligt waren, verurteilte das Gericht in Chicago sie zum Tode und sie wurden hingerichtet.

Am 1. Mai 1890 gab es in Gedenken an die Opfer des „Heumarkt-Massakers“ weltweit Streiks und Demonstrationen 

Im Juli 1889 fand in Paris der Zweite Internationale Arbeiterkongress statt, ein Kongress sozialdemokratischer Organisationen und Gewerkschaften, an dem etwa 400 Delegierte aus 20 Ländern teilnahmen. Ziel war es, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Arbeiterparteien und Gewerkschaften zu erneuern, nachdem sich die erste Internationale Arbeiter-Assoziation (Erste Internationale) bereits 1876 aufgelöst hatte, 13 Jahre nach ihrer Gründung.

Auf dem Kongress beschlossen die Teilnehmer, am ersten Mai 1890 in Gedenken an die Opfer des „Heumarkt-Massakers“ („Haymarket Massacre“ – von der konservativen Presse in den USA als „Haymarket-Riot“, also „Heumarkt-Randale“ bezeichnet) für den Achtstundentag weltweit zu demonstrieren. Tatsächlich fanden in der ganzen industrialisierten Welt Streiks und Demonstrationen mit Millionen Arbeitnehmer*innen statt. Allein in Deutschland nahmen damals etwa 100.000 Menschen an den Demonstrationen teil.

Im Oktober 1890 beschloss die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), alljährlich am ersten Mai zu Demonstrationen für bessere Arbeitsbedingungen aufzurufen. Der erste Mai sollte fortan der Kampftag der Arbeiterklasse sein. Tatsächlich streikten in den folgenden Jahren zu diesem Termin viele Beschäftigte, worauf die Arbeitgeber mit Aussperrungen reagierten. Der erste Mai wurde also zu einem wirklichen und nicht nur symbolischen Tag des Arbeitskampfes.

Der Tag der Arbeit wird in der Weimarer Republik noch kein gesetzlicher Feiertag

Nach der Novemberrevolution 1919 wollten viele Gewerkschafter und Sozialdemokraten, dass der erste Mai ein gesetzlicher Feiertag wird. Das scheiterte jedoch nicht nur am Widerstand der bürgerlichen Parteien. Auch die Delegierten der unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) waren dagegen, weil sie lieber einen Tag der Revolution am 9. November als gesetzlichen Feiertag gehabt hätten.

So einigte man sich auf den Kompromiss, dass der erste Mai nur 1919 ein gesetzlicher Feiertag sein sollte. Gleichwohl blieb der Tag ein Tag, an dem jedes Jahr für die Rechte der abhängig Beschäftigten demonstriert wird.

Die Nazis hielten nichts von Arbeitnehmerrechten 

Im Januar 1933 übernahmen die Nationalsozialisten die Macht. Den ersten Mai 1933 erklärten sie zum „Tag der nationalen Arbeit". Nicht mehr die internationale Solidarität aller abhängig Beschäftigten wurde zelebriert. Gerade die sollte nach dem Willen der Nazis der Vergangenheit angehören. 

Am 2. Mai 1933 besetzten Polizei und SA in ganz Deutschland die Gewerkschaftshäuser. Alle Vorsitzenden und viele Funktionäre nahmen die Nazis in „Schutzhaft“, eine euphemistische Beschreibung für Einsperren ohne rechtsstaatliches Verfahren. Das Vermögen der Gewerkschaften wurde beschlagnahmt, die Arbeiterorganisationen selbst verboten. Die Nazis gründeten nach Zerschlagung der Gewerkschaften die Deutsche Arbeitsfront (DAF), eine Organisation die ausschließlich den Interessen der Arbeitgeber diente.

Der erste Mai ist kein nationaler Feiertag, sondern ein Tag internationaler Solidarität

Heute ist der erste Mai in vielen Ländern gesetzlicher Feiertag. Nach Artikel 70 Absatz 1 des Grundgesetzes haben die Bundesländer in Deutschland die Kompetenz, gesetzliche Feiertage zu bestimmen. Der erste Mai gehört zu den Feiertagen, die für jedes Bundesland festgelegt sind. Dabei haben die Länder unterschiedliche offizielle Namen gewählt, auch wenn bundeseinheitlich vom „Tag der Arbeit“ gesprochen wird.

Nach dem Feiertagsgesetz von Nordrhein-Westfalen (NRW) heißt der Tag offiziell „Tag des Bekenntnisses zu Freiheit und Frieden, sozialer Gerechtigkeit, Völkerversöhnung und Menschenwürde“. Und genau damit wird klar, was dieser Tag für Gewerkschafter*innen immer sein wird. 

Es ist kein nationaler Feiertag, sondern ein Tag der internationalen Solidarität. Ein Tag, an dem wir uns auch gegen nationale Egoismen und Rassismus engagieren. Und vor allem ein Tag, an dem wir uns aktiv für die Würde eines jeden Menschen auf der ganzen Welt einsetzen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Gewohnheiten, Kleidungsstil, politischem Standort, Lebensalter oder sexueller Identität.

Quellen: