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Bundesarbeitsgericht stellt Geschäftsbericht 2020 vor
BAG-Präsidentin Ingrid Schmidt lud wie in jedem Jahr zum Jahrespressegespräch. In diesem Jahr allerdings nicht nach Erfurt, sondern pandemiebedingt zur Videokonferenz via Internet. Auch ansonsten hat Corona die Arbeit des Bundesarbeitsgerichtes beeinflusst.
Die Pandemie hat beim Bundesarbeitsgericht sowohl hinsichtlich der Geschäftsentwicklung, als auch der konkreten Abläufe Spuren hinterlassen.
Verfahren beim Bundesarbeitsrecht dauerten durchschnittlich sechs Monate
So hatte Präsidentin Schmidt einen Rückgang der Verfahrenseingänge von 17,44 % zu vermelden. Insgesamt seien im Geschäftsjahr 2020 nur 2.041 Sachen eingegangen gegenüber 2.472 im Jahr davor.
Dadurch sei die durchschnittliche Verfahrensdauer erneut gesunken, nämlich auf sechs Monate und neun Tage gegenüber sieben Monaten und drei Tagen im Jahr zuvor. Gleichzeitig konnte das Bundesarbeitsgericht den Bestand der bearbeiteten Verfahren auf etwa 1.020 senken (Vorjahr 1.245).
Erledigt hat das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2020 2.266 Verfahren. Diese unterteilen sich in 764 Revisionen und Rechtsbeschwerden sowie 1.320 Nichtzulassungsbeschwerden. Bei den Revisionen und Rechtsbeschwerden lag die Erfolgsquote bei 15,58 %. Bei den Nichtzulassungsbeschwerden lag sie bei 7,27 %. Die niedrigen Erfolgsquoten führte Präsidentin Schmidt auf die gute Arbeit der Vorinstanzen zurück.
Unter den erledigten Verfahren bildeten Streitigkeiten über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen den weitaus größten Anteil (insgesamt 663 Verfahren, entsprechend 29,26 %). Mit großem Abstand folgen Streitigkeiten um Arbeitsentgelt (214 Verfahren, entsprechend 9,44 %) und Fragen des Tarifrechts einschließlich Eingruppierung (166 Verfahren, entsprechend 7,33 %).
Wichtige Entscheidungen aus 2020
Als besonders wichtige Entscheidung bezeichnete Präsidentin Schmidt die Entscheidung des Neunten Senats vom 1. Dezember (9 AZR 102/20) zum Arbeitnehmerstatus beim sogenannten Crowdworking. Der Senat hatte entschieden, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch ein Rechtsverhältnis, in dem jemand auf Basis einer Rahmenvereinbarung über eine online Plattform Kleinstaufträge durchführt, als Arbeitsverhältnis zu werten ist. Siehe dazu auch: Bundesarbeitsgericht: Crowdworker können Arbeitnehmer sein
Ebenso nannte Schmidt die Entscheidung zum Auskunftsrecht gemäß Entgelttransparenzgesetz. Hierzu hatte der Achte Senat am 25. Juni (8 AZR 145/19) entschieden, dass nach europarechtskonformer Auslegung auch arbeitnehmerähnliche Personen Beschäftigte im Sinne des Entgelttransparenzgesetzes sein können und damit Anspruch auf entsprechende Auskunft haben Siehe auch: Gilt das Entgelttransparenzgesetz für freie Mitarbeiter?
Ihre Verwunderung äußerte die Präsidentin über die öffentlichen Reaktionen zur Entscheidung ihres Senats zu plebiszitären Elementen in der Betriebsverfassung (Beschluss vom 28. Juli 2020, 1 ABR 4/19). Der Senat hatte es für unzulässig erklärt, dass eine Betriebsvereinbarung erst dann wirksam ist, wenn eine bestimmte Anzahl der Beschäftigten ihr zugestimmt hat. Eine solche Form der unmittelbaren Beteiligung sei der Betriebsverfassung „artfremd“. Dass die Entscheidung gleichwohl für Unverständnis gesorgt habe, führte Präsidentin Schmidt darauf zurück, dass dies offenbar dennoch verbreitete Praxis sei.
Arbeitsabläufe in Zeiten von Corona
Die Arbeit des Bundesarbeitsgerichts selbst habe sich mit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 erheblich geändert. So habe das Gericht bis Mai keine mündlichen Verhandlungen angesetzt und nur die schriftlichen Verfahren weitergeführt.
In Präsenz stattgefunden hätten jedoch die Beratungen selbst, da dies aus prozessualen Gründen notwendig gewesen sei. An dieser Stelle lobte Schmidt besonders das Engagement der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter, die trotz teilweise geschlossener Hotels und Gaststätten aus dem gesamten Bundesgebiet angereist seien, um die Entscheidungsfindung zu ermöglichen.
Da spätestens die Beratung des Gerichts selbst in persönlicher Anwesenheit stattfinden müsse, habe das Gericht auch keine verstärkten Anstrengungen unternommen, Onlineverhandlungen anzubieten. Diese seien auch nicht nachgefragt worden. In Zukunft könne eine solche Form der Prozessführung jedenfalls dann sinnvoll sein, wenn es um den reinen Austausch rechtlicher Argumente gehe.
Für die hauptamtlichen Richterinnen und Richter habe man die technischen Möglichkeiten ausgeweitet, auch von zu Hause aus tätig zu sein. Hierdurch sei das Gericht zwar arbeitsfähig, gleichwohl bedauerte die Präsidentin das Fehlen der persönlichen Kommunikation.
BAG setzt Kommission zur NS-Vergangenheit ein
Beschäftigt habe das Gericht im letzten Jahr besonders die Beteiligung ehemaliger Angehöriger des Gerichts an Verbrechen des Naziregimes. In einer Reportage hatte der MDR über mehrere Richter berichtet, die Todesurteile gesprochen haben oder an der Entrechtung der Juden beteiligt waren.
Präsidentin Schmidt sprach den Opfern ihr Mitgefühl aus und zeigte sich erschüttert über die „grauenhaften“ Vorgänge, die nun ans Licht gekommen seien. Hier sei das Recht mit Füßen getreten worden und es sei die Pflicht der heutigen Generation, dies nicht vergessen zu lassen.
Daher liefen derzeit beim Bundesarbeitsgericht Vorbereitungen dazu, eine Kommission professioneller Wissenschaftler*innen einzusetzen, die die Geschichte des Gerichtes untersuchen. Die Untersuchung solle sich sowohl auf hauptamtliche, wie auf ehrenamtlichen Richterinnen und Richter erstrecken und auch untersuchen, inwieweit die Rechtsprechung des Gerichtes von nationalsozialistischen Gedankengut beeinflusst sei. Mit Ergebnissen rechnet die Präsidentin in 2-3 Jahren.
2021: Datenschutz, 24-Stunden-Pflege, Nachtzuschläge
Für das Jahr 2021 erwartet Präsidentin Schmidt eine Entscheidung zum Auskunftsrecht der Beschäftigten über ihre Daten. Bereits im zurückliegenden Jahr hatte dies auf der Tagesordnung gestanden, hatte sich jedoch kurzfristig erledigt. Im Verfahren, das nun für den 27. April terminiert ist (2 AZR 342/20), wird das Gericht zu klären haben, ob der Kläger Kopien sämtlicher E-Mails erhalten muss, in denen sein Name vorkommt.
Und auch zum „Dauerbrenner“ Arbeitszeit in Form von Vergütung von Wege- und Umkleidezeiten steht in diesem Jahr wieder ein Urteil an (5 AZR 292/20). Das BAG verhandelt den Fall des Wachpolizisten am 31. März. Von großer Relevanz dürfte außerdem die Entscheidung sein, ob Beschäftigte in der sogenannten „24-Stunden-Pflege“ für die volle Zeit mit dem Mindestlohn vergütet werden müssen (5 AZR 505/20).
Weiterhin liegen diverse Verfahren wegen Nachtarbeitszuschlägen vor. Die Verfahren betreffen Regelungen unterschiedlicher Tarifverträge aus dem Bereich Gastronomie, Getränkeindustrie und Metall und betreffen die Frage, ob Zuschläge für regelmäßige Nachtarbeit geringer sein dürfen als für unregelmäßige Nachtarbeit. Vergleiche hierzu: Für Schichtarbeiter ist Nachtarbeit gesundheitlich nicht weniger belastend - DGB Rechtsschutz GmbH
Noch unklar ist hingegen, ob das BAG in diesem Jahr abschließend zur Frage des Kopftuchs im Einzelhandel entscheiden kann. Dies hängt davon ab, ob der EuGH das ihm vorgelegte Verfahren
(10 AZR 299/18 (A)) zügig entscheidet.) Siehe hierzu auch: Arbeitgeber dürfen religiöse Symbole verbieten.
Links
Jahresbericht des Bundesarbeitsgerichts