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Aktuelle Fragen zu den Themen, Verdachtskündigung, Konsultationsverfahren und Beweisverwertungsverbot

Zu den von Helga Nielebock moderierten Themen „Verdachtskündigung", "Konsultationsverfahren bei Massenentlassungen“ und "Bewertungsverbot“ konnte die Moderatorin drei hochkarätige arbeitsrechtliche Praktikerinnen begrüßen.

Vita Helga Nielebock

Nach der juristischen Ausbildung zur Volljuristin an den Universitäten Tübingen und Bremen war Helga Nielebock ab 1984 bis 1988 als DGB-Rechtssekretärin tätig.

Danach war sie von 1988 bis 1995 juristische Sachbearbeiterin in der Rechtsabteilung des Hauptvorstandes der Gewerkschaft Holz- und Kunststoff. Von 1996 bis April 2018 war sie Abteilungsleiterin der Abteilung Recht beim DGB Bundesvorstand.
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Den Reigen der Referentinnen eröffnete Angelika Kapeller vom Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und europäisches Recht der DGB Rechtsschutz GmbH, deren Beitrag sich mit dem Thema „Verdachtskündigung“ befasste. 

Verdachtskündigung rechtlich problematisch

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG und eines Teils der Literatur, so die Referentin, handele es sich bei der Verdachtskündigung um den Kündigungsgrund eines dringenden, auf objektive Tatsachen gestützten Verdachtes einer Straftat oder einer schwerwiegenden Verletzung vertraglicher Pflichten.

Die Pflichtverletzung müsse zur Zerstörung des notwendigen arbeitgeberseitigen Vertrauens führen. Der Verdacht, so Kappeler sei „an sich“ geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu begründen, könne aber auch eine ordentliche Kündigung rechtfertigen. 

Vor Ausspruch einer Verdachtskündigung habe der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts zu unternehmen. Insbesondere habe er den Arbeitnehmer anzuhören. Es handelt sich bei der Verdachtskündigung um einen eigenen Kündigungsgrund, der nicht in der Tatkündigung enthalten sei. In der Diskussion wurde dieser Punkt in der konkreten Rechtsprechung des BAG als unklar herausgearbeitet. 

Kündigung wegen Verdacht?

Zum Kündigungsrecht stellte Angelika Kapeller die These auf, dass die Verdachtskündigung als außerordentliche Kündigung an den Schranken der ordentlichen Kündigung scheitert. Sie bezweifelte die Subsumtion unter einen der drei Gründe aus § 1 Kündigungsschutzgesetz und warf die Frage auf, ob es sich dabei um Gründe im Verhalten oder in der Person des Arbeitnehmers handle. 

In der Diskussion machte die Richterin am Bundesarbeitsgericht Stephanie Rachor deutlich, dass wohl eine Einordnung als personenbedingter Grund erst kürzlich zur Debatte stand. Daneben bezweifelte sie die Objektivierung des Kündigungsgrundes „Verdacht“. Gefragt wird: „Kann ein verständiger AG aus objektiven Tatsachen den dringenden Verdacht herleiten?“

Andererseits bieten sich dem Arbeitgeber durch den fortschreitenden subjektiven Erkenntnisprozess neue Kündigungssachverhalte. Weil die neuen Erkenntnisse keine Wiederholungskündigung darstellen sollen, ermögliche dies quasi eine Serienkündigung. Der Ermittlungsstand hinsichtlich des Kündigungssachverhalts werde selbst zum Kündigungssachverhalt – ein eigenständiger Kündigungsgrund?

Frage nach dem Beurteilungszeitpunkt

Im Verfahrensrecht, so die Referentin, gehe es um den Beurteilungszeitpunkt. Eigentlich verlange das Prognoseprinzip, dass der Verdacht zum Zeitpunkt der Kündigung eine Prognose rechtfertigte, die die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Kündigung schon vorlagen, aber dem Arbeitgeber unbekannt waren, können im Prozess nur noch berücksichtigt werden, um unerträgliche Ergebnisse zu vermeiden. 

Davon werden aber nicht solche Tatsachen erfasst, die erst später eingetreten sind und nach der Rechtsprechung daher nicht verwertet werden können. Folgerichtig wäre der Beurteilungszeitpunkt die letzte mündliche Verhandlung in den Tatsacheninstanzen. Dies passe aber nicht zum sonstigen System des Kündigungsschutzes.

Hier helfe auch der Wiedereinstellungsanspruch nicht, da er wegen der Beschäftigungslücke keine volle Rehabilitation darstelle. Hinzu komme das Problem der Durchsetzbarkeit, wenn der Arbeitsplatz wieder besetzt und keine vergleichbare Stelle unbesetzt sei. 

Verstoß gegen die Unschuldsvermutung?

Verfassungsrechtlich gelte die Unschuldsvermutung, die sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt. Auch zivilrechtlich müsse der Grundsatz gelten, dass der Arbeitgeber die Kündigungsgründe beweisen muss. 

Nicht ausreichen könne es, wenn er beweist, dass er den Sachverhalt erforscht und dabei auch den Arbeitnehmer angehört hat. Zudem könne eine unzulässige Rechtsfortbildung darin liegen, dass Kündigungsgründe verwendet würden, die vom Kündigungsschutzgesetz nicht erfasst seien, oder die Beweisanforderungen verringert würden. Dies könne unverhältnismäßig sein, da die Verdachtskündigung zum – meist unwiederbringlichen – Verlust des Arbeitsplatzes führe. Es stelle sich also die Frage, ob die Rechtsfigur der Verdachtskündigung erforderlich ist. Denkbar wäre auch eine Tatkündigung mit dem „Notausgang“ des § 9 KSchG als Alternative, wie sich in der Diskussion herausstellte.  

Verstoß gegen Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)?

Zudem wies Angelika Kapeller auf europäische und internationale Rechtsgrundlagen hin. So ergebe sich die Unschuldsvermutung auch aus Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). In der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 18.10.2016 Alkasi ./. Türkei hat dieser entschieden, dass das Arbeitsgericht nicht die strafrechtlich festgestellte Unschuld in Frage stellen darf.

Eine solche Entscheidung wirke nach nationalem Recht gegebenenfalls  direkt, nachdem im Jahr 2007 die Gründe für eine Restitutionsklage nach § 580 Zivilprozessordnung (ZPO) um eine Nr. 8 erweitert wurden und eine Wiederaufnahme wegen durch den EGMR festgestellter Verletzung der EMRK möglich ist .

Des Weiteren führte sie aus: Art.30 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) biete Schutz vor ungerechtfertigten Kündigungen und stelle insoweit ein Gegengewicht zu Art. 16 GRC dar. Art.24 der Revidierten Europäischen Sozialcharta (R) ESC enthalte einen Katalog der triftigen Gründe für eine Kündigung; eine Ratifizierung sei zur Zeit in der politischen Diskussion. Das ILO- Abkommen Nr.158 enthalte denselben Katalog, der den Kündigungsgründen in § 1 KSchG entspricht.

Fazit: 

Der objektivierte, auf Tatsachen gestützte, dringende Verdacht ist eine Kategorie aus dem Strafverfahrensrecht, wo ihm die Unschuldsvermutung entgegentritt, um für Gerechtigkeit durch Verfahren zu sorgen. Im Kündigungsrecht hat er nichts zu suchen: 

Hier muss es beim zivilrechtlichen Grundsatz bleiben, dass derjenige, der aus einer Vertragsverletzung Rechte herleiten will, diese vor Gericht zu beweisen hat.

Mit den offenen Fragen zum Konsultationsverfahren bei Massenentlassungen befasste sich die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Berlin Brandenburg, Dr. Oda Hinrichs. Sie referierte über fünf Problembereiche im Konsultationsverfahren, die intensiv diskutiert wurden.

Problem 1: Einbeziehung der Folgenmilderung 

Zwar ist nach der Rechtsprechung klar, dass Kündigungen erst nach dem Abschluss des Konsultationsverfahrens ausgesprochen werden dürfen. Allerdings, so die Refrentin, ist noch nicht abschließend geklärt, ob in das Verfahren auch in jedem Fall die Milderung der Folgen einzubeziehen ist. Nach Auffassung der Vortragenden könnte darauf verzichtet werden, wenn Maßnahmen zur Folgenmilderung nach dem nationalen Recht - wie der Sozialplan im deutschen Recht - erzwingbar sind. Diese Frage kann aber nur der EuGH beantworten. 

Problem 2: Einleitung des Konsultationsverfahrens 

Das Konsultationsverfahren ist einzuleiten, sobald der Arbeitgeber eine Massenentlassung erwägt und sich die Planung soweit verdichtet hat, dass sinnvolle Beratungen möglich sind. Die Einleitung ist verspätet, wenn die Entscheidung über eine Massenentlassung getroffen und unumkehrbare Maßnahmen ergriffen wurden. Das heißt, solange der Arbeitgeber für ernsthafte Verhandlungen noch offen ist, also noch keine endgültige Entscheidung über die Vornahme einer Massenentlassung getroffen und auch noch keine unumkehrbaren Maßnahmen ergriffen hat, ist der Verhandlungsbeginn noch nicht verspätet. 

Problem 3: Ablauf des Konsultationsverfahrens

Die vollständige Information des Betriebsrats über eine geplante Massenentlassung im Verlauf des Verfahrens genügt. Das umfasst die im Gesetz ausdrücklich genannten Informationen sowie alle zweckdienlichen Auskünfte. Dazu gehören unter anderem die betriebswirtschaftlichen und sonstige (Hinter-)Gründe. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, auf die Vorschläge des Betriebsrats einzugehen. Er kann vorbehaltlich anderweitiger Vorschriften letztlich frei darüber entscheiden, ob er eine Massenentlassung durchführt. 

Dieses Recht wird durch die Informationspflicht jedoch nicht beschnitten. Die Konsultationspflicht des Arbeitgebers umfasst den ernsthaften Willen, mit dem Betriebsrat zu einer Einigung zu kommen. Das verlangt eine argumentative Auseinandersetzung mit den Vorschlägen des Betriebsrats und damit regelmäßig auch eine Begründung, weshalb dessen Vorschläge nicht aufgegriffen werden sollen.

Problem 4: Beendigung des Konsultationsverfahrens 

Abgeschlossen sind die Beratungen über das „Ob“ und „Wie“ einer Massenentlassung, wenn der Betriebsrat zu einer geplanten Massenentlassung abschließend Stellung genommen hat. Ein Interessenausgleich ist dann zustande gekommen ist, wenn er sich eindeutig auch auf die geplante Massenentlassung bezieht. Von einem Zustandekommen eines Interessenausgleichs ist auch dann auszugehen, wenn die Betriebsparteien die Beratungen übereinstimmend als abgeschlossen betrachten.

Außerdem darf ein Arbeitgeber das Konsultationsverfahren als beendet ansehen, wenn er den Betriebsrat über eine geplante Massenentlassung vollständig unterrichtet und ihm Beratungen angeboten hat, der Betriebsrat hierauf aber innerhalb von zwei Wochen nicht reagiert. Nach § 17 Abs. 3 Satz 3 Kündigungsschutzgesetz  ist der Arbeitgeber dann berechtigt, die Massenentlassungsanzeige zu erstatten. Er kann anschließend die Kündigungen aussprechen. Er muss lediglich gegenüber der Arbeitsbehörde glaubhaft machen, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vorher vollständig unterrichtet hat, und den Stand der Beratungen darlegen. Gleiches gilt, wenn alle Argumente ausgetauscht sind, weitere Ansätze für zielführende Verhandlungen nicht gegeben sind und der Betriebsrat trotz Aufforderung und angemessener Frist keine abschließende Stellungnahme abgibt. 

Ob die Verhandlungen gescheitert sind, kann nicht allein der Arbeitgeber bestimmen. Umstritten ist die Pflicht zur Anrufung der Einigungsstelle. Für die Einschaltung der Einigungsstelle spricht der unionsrechtliche Äquivalenzgrundsatz, der nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH verlangt, dass Verfahren, die das Unionsrecht betreffen, nicht weniger günstig oder effektiv ausgestaltet werden als entsprechende Verfahren, die nur das nationale Recht betreffen.

Denn insoweit stellt sich die Situation, was das „Ob", den Zeitpunkt und den Umfang einer Massenentlassung betrifft, nicht anders dar als beim Versuch eines Interessenausgleichs nach § 112 Abs. 3 Satz 2 BetrVG im Hinblick auf eine Betriebsänderung. Auch ein Interessenausgleich kann nicht erzwungen werden. 

Bei Verhandlungen mit einer Verhandlungskommission des Betriebsrats kann vom Arbeitgeber erwartet werden, dass er dem Betriebsrat als Gremium entweder im Anschluss an die Verhandlungen ausreichend Zeit für eine abschließende Stellungnahme einräumt, oder aber ihn im Vorfeld der Verhandlungen auffordert, parallel zu den Verhandlungen zu tagen. 

Problem 5: Sanktionen bei Verstößen 

Schließlich ist auch noch nicht geklärt, ob die Unwirksamkeit der Kündigungen als Sanktion bei Verstößen gegen die Konsultationspflicht genügt oder aufgrund des Effektivitäts- und des Äquivalenzgrundsatzes daneben auch ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats und alternativ zur Unwirksamkeit der Kündigungen ein Nachteilausgleichsanspruch der betroffenen Arbeitnehmer angezeigt wäre.

Letzterer Aspekt konnte in der Diskussion im Hinblick auf die ausstehende Begründung der erst vor kurzem getroffenen Entscheidung des 1. Senats zur Anrechnung von Nachteilsausgleichsansprüchen auf Sozialplanforderungen noch nicht vertieft werden (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.02.2019 - 1 AZR 279/17 -)

Was bedeutet Effektivitäts- und des Äquivalenzgrundsatz?

Art. 4 32014L0104, Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union Text von Bedeutung für den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)

Art. 4 32014L0104 – Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz

Im Einklang mit dem Effektivitätsgrundsatz gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass alle nationalen Vorschriften und Verfahren für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen so gestaltet sind und so angewandt werden, dass sie die Ausübung des Unionsrechts auf vollständigen Ersatz des durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schadens nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Im Einklang mit dem Äquivalenzgrundsatz dürfen nationale Vorschriften und Verfahren für Klagen auf Ersatz des Schadens, der aus Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) entsteht, für mutmaßlich Geschädigte nicht weniger günstig sein als die Vorschriften und Verfahren für ähnliche Klagen auf Ersatz des Schadens, der aus Zuwiderhandlungen gegen nationales Recht entsteht.

Zum Thema „Beweisverwertungsverbote“ referierte die Richterin am Bundesarbeitsgericht, Stephanie Rachor. Zu Beginn ihres Referats machte sie deutlich, dass die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu Beweisverwertungsverboten schon vor einer gesetzlichen Regelung zum Datenschutz erfolgt sei. Unklar sei, ob für die Zukunft die bestehende Rechtsprechung unter Geltung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGRVO) gelten würde.  

Voraussetzung für Beweisverwertungsverbot

Die Referentin  stellte zunächst die Voraussetzungen für ein Beweisverwertungsverbot dar. Dieses sei nur anzunehmen, wenn eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechtes vorliege, was eine Abwägung der beiderseitigen Interessen auf zwei Ebenen erfordere. 

Es sei zu prüfen, ob der Arbeitgeber materiell durch eine Kontroll- oder Überwachungsmaßnahme das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers verletzt hat und ob das verletzte Recht ein Verwertungsverbot im Rechtstreit erfordert. 

Die Rechtsprechung des BAG sei im Vergleich zu der des Bundesgerichtshofs (BGH) weitergehender. Im Grundsatz kenne der Zivilprozess keine Verwertungsverbote im Sinne des Grundgesetzes. Vielmehr gelte uneingeschränkt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung.

Prozessrecht muss im Sinne der Grundrechte ausgelegt werden

Da aber die Gerichte bei der Verfahrensgestaltung an die materiellen Grundrechte gebunden seien, hätten BVerfG und BAG daraus – auch für den Zivil- bzw. Arbeitsgerichtsprozess – die Möglichkeit eines Beweisverwertungsverbotes abgeleitet (BVerfG 31.7.2001 - 1 BvR 304/01; 9.10.2002 - 1 BvR 1611/96 ua.; BAG 2.6.1982 - 2 AZR 1237/79; 27.3.2003 - 2 AZR 51/02).

Allerdings verhindere eine Informations- oder Beweisgewinnung unter Verstoß gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht automatisch die gerichtliche Verwertung der Erkenntnis oder des Beweismittels. Der Schutzzweck des verletzten Grundrechts müsse ein solches Verwertungsverbot vielmehr zwingend erforderlich machen. 

Eine gerichtliche Verwertung ist demnach ausgeschlossen, wenn mit ihr ein erneuter Eingriff in die Grundrechte der anderen Prozesspartei oder die Perpetuierung eines solchen Eingriffs verbunden wäre und dies auch durch schutzwürdige Interessen der Gegenseite nicht gerechtfertigt werden könne.

Verwertungsverbot bezieht sich auch auf unstreitigen Sachverhalt

Der Schutzzweck des bei der Informationsgewinnung verletzten Allgemeinen Persönlichkeitsrechtes könne auch einer gerichtlichen Verwertung unstreitigen Sachvortrags entgegenstehen. Eine Partei im zivil- und arbeitsgerichtlichen Verfahren unterliege der Wahrheitspflicht. Sie müsse grundrechtswidrig über sie erlangte Informationen nicht wahrheitswidrig bestreiten, um ihre Rechte zu wahren.

Nach der Rechtsprechung des BAG hat die reine Missachtung von Beteiligungsrechten des Betriebsrats keine Auswirkungen auf die Verwertung von Sachvortrag und Beweismitteln in einem Individualprozess.

Frau Rachor stellte einige Entscheidungen dar, die in der anschließenden Diskussion kritisch hinterfragt wurden.

Videoüberwachung

Am Beispiel der Videoüberwachung verdeutlichte sie den Grundsatz: Als besonders gravierender Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht sei eine verdeckte Videoüberwachung nur zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers bestehe. 

Außerdem müssten weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sein. Die verdeckte Videoüberwachung müsse also das praktisch einzig verbleibendes Mittel und insgesamt nicht unverhältnismäßig sein (BAG 20.10.2016 - 2 AZR 395/15; 22.9.2016 - 2 AZR 848/15; 27.3.2003 - 2 AZR 51/02).

Kein Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht liege vor, soweit die Unzulässigkeit der Überwachung allein aus der (Dritt-)Betroffenheit anderer Beschäftigter resultiere (BAG 20.10.2016 - 2 AZR 395/15). Ein Verwertungsverbot bestehe nach der Rechtsprechung des BAG nicht, wenn Dokumentationspflichten gem. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG aF (§ 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG 2018), die grundsätzlich vor der Datenerhebung zu erfüllen seien, nicht ausreichend beachtet wurden, der AG den Verdacht von Straftaten aber spätestens im Rechtsstreit durch konkrete Tatsachen untermauern könne und dadurch eine Rechtmäßigkeitskontrolle gesichert sei (BAG 20.10.2016 - 2 AZR 395/15).

Sonderproblem Zufallsfund

Die Verwertung eines „Zufallsfundes" aus einer gerechtfertigten verdeckten Videoüberwachung könne noch zulässig sein (BAG 22.9.2016 - 2 AZR 848/15).

Hierzu wurde in der Diskussion kritisch angemerkt, dass der Maßstab der Verhältnismäßigkeit nach § 32 I S.1 BDSG wohl nicht ausreiche, weil genau in diesem Fall die besonderen Voraussetzungen des Satzes 2 nicht vorlägen.

Die Speicherung von Bildsequenzen aus einer rechtmäßigen offenen Videoüberwachung, die vorsätzliche Handlungen zu Lasten des Eigentums des Arbeitgebers zeige, werde nicht durch bloßen Zeitablauf unverhältnismäßig, solange die Ahndung der Pflichtverletzung durch den Arbeitgeber arbeitsrechtlich möglich sei (BAG 23.08.2018 - 2 AZR 133/18). 

In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass die 48-Stunden- Aufzeichnungsfrist ansonsten im öffentlichen Bereich zugrunde gelegt würden, mithin dem Arbeitgeber nicht zugerstanden werden könne, irgendwann auszuwerten und dann einen beliebig langen Zeitraum auswerten zu können.

Überwachung durch Detektiv und Keylogger

Eine verdeckte Überwachung durch einen Detektiv könne zur Aufdeckung eines auf Tatsachen gegründeten konkreten Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Arbeitnehmers nach zulässig sein (BAG 29.6.2017 - 2 AZR 597/16).  2 AZR 133/18).

Der Einsatz eines Software-Keyloggers, mit dem alle Tastatureingaben an einem dienstlichen Computer für eine verdeckte Überwachung und Kontrolle des Arbeitnehmersaufgezeichnet würden, sei unzulässig, wenn kein auf den Arbeitnehmer bezogener, durch konkrete Tatsachen begründeter Verdacht einer Straftat oder einer anderen schwerwiegenden Pflichtverletzung bestehe (BAG 27.7.2017 - 2 AZR 681/16).

Die Frage eines Verwertungsverbotes auch bei Erkenntnissen aus einer persönlichkeitsrechtsverletzenden offenen Überwachung wurde von der Referentin aufgeworfen, weil der Schutz sich „nur“ auf den Entfaltungs-,  Fixierungs- und Verbreitungsschutz beziehe und bei vorsätzlicher strafbarer Handlung trotz der bekannten  Überwachung und das Ergebnis nicht weiterverbreitet werde, als die Nutzung durch den AG im Prozess. 

Angeregte Diskussion

Die Frage, ob kollektivrechtliche Verwertungsverbote mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung vereinbar und deshalb ggf. nicht anzuwenden wären, bewegte das Publikum und Podium. Hinweise ergingen dahin, dass eine in einer Kollektivvereinbarung formulierte unzulässige Datenerhebung den Arbeitgeber materiell-rechtlich binde, diese in unzulässiger Weise gewonnene Fakten in den Prozess nicht einzuführen und damit materiell-rechtlichen Gehalt haben, somit prozessualen Gesetzesregelungen nicht entgegenstehen.

In der Diskussion wurde auch hervorgehoben, dass neben der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) auch der Anspruch auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EGMRK zu beachten sei. Dieses könne Beweismittel ausschließen, die unzulässig erworben wurden.

Die neue Rechtslage nach Inkrafttreten der DSGVO am 25. Mai 2018 könnte  neue Fragen aufwerfen hinsichtlich der notwendigen Transparenz bei einer ( zuvor) verdeckten Videoüberwachung. Es stelle sich auch die Frage, ob mit der DSGVO eine Vollharmonisierung auch im Bereich des Beschäftigtendatenschutzes gewollt sei, sodass das in der DSGVO nicht erwähnte Beweisverwertungsverbot möglicherweise als Mittel untersagt wäre.

Zudem sei fraglich, ob die Gerichte prozessual im Hinblick auf die DSGVO gebunden seien. Dem wurde entgegengehalten, dass die Rechtssetzungskompetenz der EU im Bereich des Arbeitsrechtes nur eine Mindestregelungsbefugnis sei - darunter falle dann auch der Beschäftigtendatenschutz. Im Übrigen zeige Art. 88 II DSGVO, dass keine Vollharmonisierung gewollt sei. Einigkeit bestand jedenfalls darin, dass offenen Fragen dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt werden müssen.

Hier geht es zu den von Frau Rachor benannten Entscheidungen im Volltext

1. Entscheidungen zum Prozessrecht:

2. Entscheidungen zum Thema „Videoüberwachung“

3. Entscheidungen zur Verwertung eines „Zufallfundes“:

4. Entscheidungen zur Überwachung durch Detektiv und Keylogger: