Begleitpersonen sind bei einer Begutachtung nicht immer gestattet. Copyright by Adobe Stock/Racle Fotodesign
Begleitpersonen sind bei einer Begutachtung nicht immer gestattet. Copyright by Adobe Stock/Racle Fotodesign

Der 60-jährige Kläger war aufgrund einer Vielzahl von Beschwerden bereits länger krankgeschrieben. Er bezog zuletzt Arbeitslosengeld. Neben vielen orthopädischen Krankheiten litt er auch an einer Alkoholsucht. Wegen seines eingeschränkten Leistungsvermögens wollte er gerne eine Erwerbsminderungsrente bekommen.
 

Die Alkoholkrankheit des Klägers hatte schon zu Leberschäden geführt

Die Rentenversicherung lehnte seinen Antrag jedoch ab. Er wandte sich daraufhin an das Sozialgericht. Im gerichtlichen Verfahren erstellte ein Nervenfacharzt, der vom Gerichts beauftragt worden war, ein medizinisches Gutachten. Dabei war der Kläger mit einer „Alkoholfahne“ zur Untersuchung erschienen, was der Gutachter auch ausdrücklich vermerkte.
 
Die vom Kläger gewünschte Begleitperson ließ der Arzt zur Untersuchung nicht zu. Der Kläger lehnte diesen im gerichtlichen Verfahren deshalb wegen Befangenheit ab. Dennoch stützte das Sozialgericht seine Entscheidung auf das Ergebnis dieser Untersuchung. Dem Befangenheitsantrag gab es nicht statt.
 

Auch das Landessozialgericht erachtete den Gutachter nicht als befangen

Der Betroffene war hiermit nicht einverstanden und beschritt anschließend den Weg zum Landessozialgericht. Doch auch die Richter in Mainz stimmten ihm nicht zu. Der Gutachter habe die Begleitperson ausschließen dürfen.
 
Der Kläger meinte im weiteren Verfahren, der Gutachter habe seine Begleitperson abgelehnt, ohne ihm medizinische Gründe dafür zu nennen. Außerdem habe der Arzt ihm gegenüber geäußert, er sei betrunken. Sämtliche Beschwerden, die er anlässlich der Untersuchung geäußert habe, seien von dem Arzt auch auf einen angeblichen Alkoholmissbrauch zurückgeführt worden.
 

Der Kläger gab an, er habe keine „Fahne“ gehabt

Seine Begleitperson hätte allerdings bestätigen können, dass er morgens keinen Alkohol konsumiert habe. Darüber hinaus habe er auch keine „Fahne“ gehabt.
 
Der Gutachter selbst äußerte sich gegenüber dem Sozialgericht zu diesen Vorwürfen. Er gab an, er habe bei der Untersuchung eine etwaige Einflussnahme Angehöriger ausschließen wollen. Erfahrungsgemäß öffneten sich die Menschen nicht in dem erforderlichen Maß, wenn Begleitpersonen an der Untersuchung teilnähmen. Manche verhielten sich sogar völlig anders. Die Alkoholsucht des Klägers sei aktenkundig gewesen und genau dazu habe er den Kläger persönlich und unbeeinflusst befragen wollen.
 

Der Gutachter war nicht befangen

Das Sozialgericht hatte im erstinstanzlichen Verfahren bereits keinen Grund gesehen, der es rechtfertigen könnte, den Gutachter als voreingenommen zu betrachten. Das Landessozialgericht schloss sich nun dieser Bewertung an. Der Gutachter habe die Erkrankungen des Klägers auf seinem Fachgebiet angemessen berücksichtigt. Eine Befangenheit des Arztes bestehe nicht.
 
Generell dürfe eine Begleitperson zur Untersuchung allerdings nicht ausgeschlossen werden. Das erfordere der rechtliche Grundsatz, wonach Gerichte die Beweisaufnahme und ein faires Verfahren öffentlich durchführen müssten. Damit sei es nicht zu vereinbaren, wenn die Anwesenheit eines Anwaltes oder einer anderen Vertrauensperson nicht gestattet werde. Hiervon gebe es allerdings Ausnahmen.
 

Ein plausibler Grund rechtfertigt die Ablehnung einer Begleitperson zur Untersuchung

Ein Gutachter könne sehr wohl widersprechen, wenn ein Kläger wünsche, eine weitere Person zur Untersuchung mitzubringen. Er müsse hierfür nur einen plausiblen Grund angeben.
 
Gerade bei psychiatrischen Gutachten könne es notwendig sein, die Untersuchung und die Befunderhebung unbeeinflusst durch Dritte zu erheben. Deshalb könnten im Einzelfall bei Begutachtungen auf diesem Fachgebiet Gründe gegen die Anwesenheit einer Begleitperson sprechen, die den Ausschluss rechtfertigten.
 

Beim Kläger bestand eine Ausnahmesituation

Müsse der Gutachter in diesem Fall eine weitere anwesende Person dulden, bestünde insbesondere bei psychiatrischen Gutachten die Gefahr, dass kein sachlich zutreffendes Ergebnis der Begutachtung erreicht werden könne. Diese Ausnahmesituation sei im Falle des Klägers gegeben.
 
Der Gutachter habe ausschließen wollen, dass eine Begleitperson die Untersuchung beeinflusse. Dies sei vorliegend auch wegen des Alkoholkonsums des Klägers von Bedeutung. Der Kläger sollte während der Untersuchung darauf angesprochen werden. Wäre er in dieser Situation von einer Vertrauensperson begleitet worden, hätte dies das Ergebnis des Gutachtens verfälschen können.
 

Der Gutachter muss den Einzelfall prüfen

Der Gutachter hatte aufgrund dessen ausreichende Gründe dafür, die Anwesenheit der Begleitpersonen abzulehnen. Er habe das auch bezogen auf den Einzelfall geprüft und begründet. Für den Gutachter wäre es nur dann notwendig gewesen, die Begleitperson zu dulden, wenn diese Person als Dolmetscher eingesetzt worden wäre oder wegen einer schweren Behinderung des Klägers notwendig gewesen sei. Entsprechendes sei hier jedoch nicht der Fall.
 
Aus den konkreten Überlegungen des Gutachters ergebe sich auch, dass er eine Begleitperson nicht generell ausschließen wollte. Die individuelle Prüfung des Einzelfalles, wie der Gutachter sie beschrieben habe, bestätige das. Das Sozialgericht habe dieses Gutachten deshalb auch in seinem Urteil zugrunde legen dürfen.

Urteil LSG Meinz vom 8.Juli 2020
 
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Gutachtenkrimi beim Landessozialgericht

Das sagen wir dazu:

Die Erfahrung zeigt, dass Gutachter regelmäßig und häufig Begleitpersonen zur Untersuchung ablehnen. Die Gründe, die sie für diese Ablehnung nennen, sind aber nicht immer nachvollziehbar. Dies gilt insbesondere bei psychiatrischen Gutachten. Dort kommt es ganz wesentlich darauf an, wie Versicherte sich äußern und ihre Beschwerden beschreiben.

Häufig erscheint da sogar eine Fremdanamnese zwingend geboten. Hier wird eine dritte Person insbesondere zur Beantwortung der Fragen beigezogen, die sich mit dem Verhalten, den sozialen Kontakten und den Beschwerden eines Versicherten im Alltagsleben befassen.

Oft haben kranke Menschen aber auch Angst, alleine vom Gutachter überprüft zu werden. All diese Aspekte sind einzubeziehen, wenn es um die Frage geht, eine Vertrauensperson zur Untersuchung mitbringen zu dürfen. Hier gilt der Rat, sich nicht einfach abwimmeln zu lassen. Wird man mit den Gutachter überhaupt nicht einig, ist stets zu empfehlen, sich zunächst einmal mit dem Gericht darüber auseinanderzusetzen, ob man nun jemanden mitnehmen darf oder nicht. Die Entscheidung hierüber obliegt nämlich dem Gericht.