Der Weg zur Impfung ist vorgegeben – die Reihenfolge steht fest. Doch hilft das im Berufskrankheitenverfahren? Copyright by Adobe Stock/stockpics
Der Weg zur Impfung ist vorgegeben – die Reihenfolge steht fest. Doch hilft das im Berufskrankheitenverfahren? Copyright by Adobe Stock/stockpics

Das Gesetz regelt den Arbeitsunfall/Dienstunfall und die Berufskrankheit ganz genau. Zu Beginn der Pandemie hatten wir dazu schon geschrieben:
Coronavirus: Unfall oder Berufskrankheit?
Und auch nach den ersten Erfahrungen gab es einen Bericht:
Neues aus der gesetzlichen Unfallversicherung im Zusammenhang mit Corona

Erhöhtes Infektionsrisiko erforderlich

Das Gesetz sieht neben der Anerkennung eines Arbeits- oder Dienstunfalls auch die Möglichkeit vor, eine Berufskrankheit anzuerkennen. Bei einer Virusinfektion kann das immer dann geschehen, wenn bei der Arbeit generell ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht.
 
Mitte Dezember 2020 ist die erste Schutzimpfverordnung des Bundesministers für Gesundheit in Kraft getreten. Sie gibt die Reihenfolge der Berechtigten für eine Impfung gegen das Coronavirus vor. Die Verordnung bildet drei Gruppen von Anspruchsberechtigten. Nacheinander sollen Schutzimpfungen an Personen mit höchster Priorität, anschließend mit hoher Priorität und schließlich mit erhöhter Priorität erfolgen. Der Bundesminister für Gesundheit hat dabei ganz genau festgelegt, welche Personen zu welcher Gruppe gehören.
 

Hohes Ansteckungsrisiko in der Gesundheitspflege

Die Einteilung der einzelnen Gruppen hat einen Grund. Da anfangs nur eine begrenzte Menge an Impfstoffdosen zur Verfügung steht, empfahl die Ständige Impfkommission, neben Personen mit erhöhtem Risiko für schwere Krankheitsverläufe auch medizinisches Personal mit sehr hohem Ansteckungsrisiko und Personal in der Altenpflege vorrangig zu impfen.
 
Von Beginn an war aber auch ganz klar, dass es neben dem medizinischen Personal auch andere Berufsgruppen gibt, die während ihrer beruflichen Tätigkeit einem erhöhten Erkrankungsrisiko ausgesetzt sind. Daraus entwickelte das Ministerium für Gesundheit eine Impfreihenfolge.
 

Die Berufskrankheit Nr. 3101

Diese Impfreihenfolge wird im Zusammenhang mit der Anerkennung einer Berufskrankheit nicht ohne Bedeutung sein.
 
Die Berufskrankheit Nr. 3101 umfasst Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war.
 

Der Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung

Nach Merkblatt für die ärztliche Untersuchung betrifft die Berufskrankheit Nr. 3101 Krankheiten, die von Mensch zu Mensch übertragbar sind. Dies Erkrankungen fallen dann unter die entsprechende Berufskrankheit, wenn sie bei Versicherten auftreten, die infolge der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit in bestimmten Bereichen einer wesentlich erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt sind als die allgemeine Bevölkerung.
 
Dabei handelt es sich hauptsächlich um das Personal in stationären oder ambulanten medizinischen Einrichtungen der Human- und Zahnmedizin. Betroffen sind auch Beschäftigte in Einrichtungen der Wohlfahrtspflege und in Laboratorien. Schließlich führt das Merkblatt auch Personen auf, die in diesen Bereichen kurzfristig mit Arbeiten wie dem Warten, der Instandsetzung oder dem Entsorgen tätig sind. Ein Risiko in ähnlichem Maß wird auch für Tätigkeiten in der Gentechnik, Biotechnologie, Abwasser- und Kläranlagen bestätigt.
 

Keine abschließende Aufzählung im Merkblatt

Dass diese Aufzählung nicht abschließend sein kann, ist gerichtlich schon vielfach bestätigt. Das Merkblatt führt einzelne Personengruppen beispielhaft auf. Der Verordnungstext selbst bezieht sich auch auf Personen, die durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt waren wie Versicherte im Gesundheitsdienst oder der Wohlfahrtspflege.
 
Bekannt ist beispielsweise, dass die Borreliose von Waldarbeitern eine Infektionskrankheit nach der Nummer 3101 der Berufskrankheitenverordnung sein kann. Doch wonach richtet es sich, welche einzelnen beruflichen Tätigkeit wann ein erhöhtes Infektionsrisiko in sich bergen?
 

Erhebung der gesetzlichen Krankenversicherung

Nach einer Veröffentlichung von aerzteblatt.de im Anschluss an Erhebungen der BARMER und der AOK sind Erzieher, medizinische Fachangestellte und Pflegekräfte von Corona besonders erkrankt. COVID-19 habe vor allem auch diejenigen Menschen betroffen, die weiter am Arbeitsplatz präsent sein mussten und nicht ins Home-Office gehen konnten. Das seien insbesondere Berufe mit direktem Kontakt zu anderen Menschen.
 
Der durchschnittliche Anteil der COVID-19-Kranken liege bei allen Berufsgruppen bei 1,6 Prozent. Pflegekräfte hätten ein um 56 Prozent höheres Risiko, zu erkranken. Deshalb müssten Sie gemeinsam mit den über 80-jährigen zuerst geimpft werden.
 

Das Infektionsrisiko von Beamt*innen

Was bedeutet das für die Anerkennung einer Berufskrankheit?
 
Zuerst muss klargestellt werden, dass die wiedergegebene Untersuchung sich nur mit Erkrankungen gesetzlich Krankenversicherter befasst. Beamt*innen sind nicht gesetzlich krankenversichert. Zu der Frage, ob damit beispielsweise Polizeibeamt*innen auch einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind, sagt die Untersuchung nichts.
 
Die Zahl von 1,6 Prozent COVID-19-Erkrankungen in der Allgemeinbevölkerung ist dagegen durchaus ein Richtwert. Sofern die Berufskrankheitenverordnung vorgibt, dass betroffene Personen ein deutlich höheres Infektionsrisiko gegenüber der Allgemeinbevölkerung aufweisen müssen, werden entsprechende statistische Erhebungen hier möglicherweise weiterhelfen.
 

Die Verordnung zur Corona-Schutzimpfung

Doch geht es auch ohne Zahlen? Sicher nicht ganz, aber die Corona-Schutzimpfverordnung hilft durchaus weiter. Nach dieser Verordnung sollen insbesondere diejenigen Personen Schutzimpfungen mit höchster Priorität erhalten, die in der Pflege arbeiten. An deren stark erhöhtem Infektionsrisiko besteht kein Zweifel.
 
Schon zur zweiten Gruppe der Schutzimpfungen mit hoher Priorität zählt die Verordnung neben weiteren medizinischen und betreuenden Personen Polizei- und Ordnungskräfte, die in Ausübung ihrer Tätigkeit zur Sicherstellung öffentlicher Ordnung, insbesondere bei Demonstrationen, einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt sind. Deren hohes Infektionsrisiko bestätigt das Bundesministerium für Gesundheit damit ausdrücklich.
 

Polizist*innen bei Demonstrationen

Aber gilt das für alle Polizist*innen oder Ordnungsbeamte?
 
Beispielhaft nennt die Verordnung „insbesondere“ die Beamt*innen mit Einsätzen bei Demonstrationen. Das ist jedoch keine abschließende Regelung. Es dürfte gerechtfertigt sein, Polizist*innen in vergleichbaren Einsätzen der gleichen Impfgruppe und damit auch der gleichen Risikogruppe zuzuordnen.
 

Die dritte Impfgruppe mit erhöhter Priorität

Die dritte Gruppe berücksichtigt Menschen mit schweren Krankheiten. Grund hierfür ist deren erhöhtes Risiko, an einem schweren Verlauf der Infektion zu erkranken.
 
Die dritte Gruppe nennt außerdem Personen, die in besonders relevanten Positionen in staatlichen Einrichtungen tätig sind. Hier dürfte die Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung im Vordergrund stehen.
 
Genannt werden an dieser Stelle aber auch Beschäftigte im Lebensmitteleinzelhandel, Erzieher, Lehrer und Menschen in prekären Arbeitsbedingungen. Erhöhte Priorität für die Impfung haben damit jene Personen, die auch während der Pandemie weiter arbeiten mussten. Den genannten Personengruppen misst der Verordnungsgeber die Notwendigkeit einer vorrangingen Impfung zu. Auch das ist ein Hinweis darauf, dass der Bundesminister für Gesundheit die dahinter stehende beruflichen Tätigkeiten einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sieht.
 

Die Anerkennung einer Berufskrankheit

Machen die Personengruppen, die in der Corona Schutzimpfverordnung konkret genannt sind, die Anerkennung einer Berufskrankheit geltend, so wird man ihnen nicht entgegenhalten können, dass kein besonderes Infektionsrisiko besteht. Das hat der Bundesminister für Gesundheit durch die Priorisierung bei der Impfung ausdrücklich anerkannt.
 
Berufsgenossenschaften und Dienstherren werden es hier nicht ohne weiteres eine Berufskrankheit mit dem Hinweis darauf ablehnen können, ein erhöhtes Infektionsrisiko sei vom Betroffenen nicht nachgewiesen. Die Verordnung zu Corona-Schutzimpfungen bindet die Verwaltung zweifelsohne.
 

Die „wesentlich“ höhere Infektionsgefahr

Je höher der einzelne in die Prioritätengruppen eingeordnet ist, desto höher dürfte die Wahrscheinlichkeit sein, dass es ohne Probleme zur Anerkennung eines erhöhten Infektionsrisikos bei der Geltendmachung einer Berufskrankheit kommt.
 
Die Berufskrankheitenverordnung spricht davon, dass eine Infektionskrankheit nur bei denjenigen Personen anerkannt werden kann, die bei ihrer Tätigkeit „einer gegenüber der allgemeinen Bevölkerung wesentlich erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt sind“. Die Einordnung in die Personengruppe für Schutzimpfungen mit erhöhter Priorität, also in die dritte Gruppe, mag daher im Einzelfall durchaus schwer fallen.
 

Der Streitfall der „erhöhten Infektionsgefahr“

Für welche Berufsgruppen eine „erhöhte Infektionsgefahr“ gegenüber Corona besteht, werden letztlich die Gerichte entscheiden müssen. Es ist kaum vorstellbar, dass durchweg Anerkennungen erfolgen. Wann eine erhöhte Infektionsgefahr im Allgemeinen vorliegt, hat die Rechtsprechung schon vielfach entscheiden.
 
Maßgeblich ist danach die "Durchseuchung" des Umfelds der Tätigkeit und die Übertragungsgefahr, die der verrichteten Tätigkeit innewohnt. Lässt sich der Durchseuchungsgrad nicht feststellen, kann aber das Vorliegen eines Krankheitserregers im Arbeitsumfeld auch nicht ausgeschlossen werden, ist vom Durchseuchungsgrad der Gesamtbevölkerung auszugehen. Nach den zuvor gemachten Ausführungen dürfte dieser in etwa bei 1,6 Prozent liegen.
 

Der spezifische Übertragungsweg der Infektion

Eine schlichte Infektionsgefahr genügt anschließend nicht. Das Kriterium der Übertragungsgefahr ist vielmehr nach dem spezifischen Übertragungsweg eines bestimmten Krankheitserregers nach aktuell gesichertem wissenschaftlichen Erkenntnisstand und nach den individuellen Arbeitsvorgängen, die im Hinblick auf den Übertragungsweg besonders gefährdet sind, zu bestimmen.
 
Konkret bedeutet dies bezogen auf Corona, dass es letztlich darauf ankommt, ob die einzelnen Arbeitsvorgänge bei den konkreten Tätigkeiten nach aktuell gesichertem wissenschaftlichen Erkenntnisstand eine höhere Übertragungsgefahr in sich bergen als bei der Allgemeinbevölkerung. Auf persönlichen Körperkontakt ohne ausreichende Schutzmaßnahme wird es daher ganz besonders ankommen.
 

Der Fingerzeig der Corona-Schutzimpfverordnung

Die Corona-Schutzverordnung ist sicher ein Fingerzeig in die gewünschte Richtung. Leicht wird es aber dennoch nicht, wenn Personen die Anerkennung einer Berufskrankheit geltend machen, die in den Prioritätengruppen eher hinten stehen und Masken tragen sowie durchweg bei der Arbeit auch Abstand halten können.

Merkblatt Berufskrankheit Nr. 3101

Corona-Schutzimpfverordnung

aerzteblatt.de