50 Arbeitnehmer*innen zusammengeschnürt und ab damit: Das dürfen Arbeitgeber einfach mal so machen, ganz ohne Sozialplan. Copyright by Adobe Stock/ kelly marken
50 Arbeitnehmer*innen zusammengeschnürt und ab damit: Das dürfen Arbeitgeber einfach mal so machen, ganz ohne Sozialplan. Copyright by Adobe Stock/ kelly marken

Große Firmen haben oft mehrere Standorte. Die Firmierungen weichen voneinander ab. Schaut man genauer hin, wird deutlich, dass es sich oft um Dependancen eines großen Mutterkonzerns handelt. Die Unterorganisationen sind oft in gemieteten oder gepachteten Werken untergebracht.
 

Werkhallen sind oft nur gepachtet

Dazu gibt es dann Verträge mit einer bestimmten Laufzeit. Enden die Verträge, teilen die Firmen mit, den Standort schließen zu wollen. Fällt das mit einer geplanten Betriebsratswahl zusammen, hat das schon ein gewisses „Geschmäckle“.
 
Etwa 50 Beschäftigte eines Unternehmens in Baden-Württemberg sahen sich mit einer solchen Situation konfrontiert. Ein Autozulieferer wollte dichtmachen. Kurz zuvor hatte die IG-Metall eine Betriebsratswahl eingeleitet. Die Angelegenheit schlug auch gewerkschaftspolitisch hohe Wellen.
 
Lesen Sie dazu die Veröffentlichung der IG-Metall:
IG Metall und DGB kritisieren Kündigungen bei Paragon


Alle Beschäftigten erhielten eine Kündigung

Alle Beschäftigten am Standort des Autozulieferers in Baden-Württemberg erhielten eine Kündigung. Der Mutterkonzern hatte zuvor eine Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit gemacht. Gegen die Kündigung erhoben die Betroffenen Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht. Die Jurist*innen des DGB Rechtsschutzbüros Ulm vertraten sie in den Verfahren.
 
Leider ist es dabei nicht gelungen, das Gericht davon zu überzeugen, dass der Arbeitgeber den Betrieb rein willkürlich schließen wollte, weil die Beschäftigten einen Betriebsrat gründen wollten. Auch dafür, einen Betriebsübergang zu anderen Unternehmen anzunehmen, reichten die vorliegenden Angaben dem Gericht nicht, obwohl viele Fertigungsbereiche von anderen Unternehmensteilen übernommen wurden.
 

Die Entscheidung, einen Betrieb zu schließen, berechtigt zu Kündigungen

Ausdrücklich weist das Arbeitsgericht darauf hin, dass eine unternehmerische Entscheidung, einen Betrieb zu schließen, Kündigungen rechtfertige. Der Arbeitgeber müsse auch nicht abwarten, bis der Betrieb stillgelegt sei. Es reiche aus, wenn der Beschluss zur Stilllegung des gesamten Betriebes spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist voraussichtlich dazu führe, dass der Bedarf an einer Beschäftigung des*der betroffenen Arbeitnehmer*in wegfalle.
 
Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung müsse der Arbeitgeber den ernsthaften und endgültigen Entschluss gefasst haben, den Betrieb stillzulegen. Es spiele keine Rolle, ob die gekündigten Arbeitnehmer*innen während der jeweiligen Kündigungsfrist noch für die Abarbeitung vorhandener Aufträge eingesetzt würden.
 

Die geplanten Maßnahmen müssen „greifbare Formen“ angenommen haben

Die geplanten Maßnahmen müssten zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung lediglich bereits „greifbare Formen“ angenommen haben. Das sei der Fall, wenn der Arbeitgeber seine Stilllegungsabsicht unmissverständlich äußere, allen Arbeitnehmern kündige und auch etwaige Miet-oder Pachtverträge zum nächstmöglichen Zeitpunkt auflöse. Dazu gehöre auch die Veräußerung der Betriebsmittel und die vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit.
 
Hier habe die Beklagte schon frühzeitig eine Pressemitteilung herausgegeben. Damit habe sie die Absicht veröffentlicht, Änderungen für den Standort vorzunehmen. Von einer Betriebsstilllegung sei da zwar noch nicht die Rede gewesen, dies stehe der Annahme einer bevorstehenden Änderungen aber nicht entgegen.
 

Das Pachtverhältnis endete

Darüber hinaus habe das Pachtverhältnis geendet. Was der Eigentümer mit dem Gelände danach beabsichtige, sei für die Entscheidung im Kündigungsschutzprozess bedeutungslos.
 
Die Beklagte habe sich vor Ausspruch der Kündigung ausführlich rechtlich beraten lassen. Schließlich hätten die Geschäftsführer der GmbH, die zugleich Geschäftsführer der Muttergesellschaft seien, ausdrücklich die Stilllegung des Betriebes beschlossen.
 
Das Gericht sah auch keinen Fehler im Zusammenhang mit der Massenentlassungsanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit.
 

Ernsthafte Verhandlungen können Entschluss über Betriebsstilllegung entgegen stehen

Allerdings könne es an einem endgültigen Entschluss zur Betriebsstilllegung nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts fehlen, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung noch in ernsthaften Verhandlungen über eine Veräußerung des Betriebes oder von Teilen des Betriebes stehe. Gleiches gelte, wenn er sich noch um neue Aufträge bemühe.
 
Eine Stilllegungsabsicht berechtige nur dann zur Kündigung, wenn sich die geplante Maßnahme objektiv als Betriebsstilllegung darstelle und nicht etwa als die Veräußerung eines Betriebsteils.
 

Die Veräußerung eines Betriebsteils kann zum Betriebs(teil)- Übergang führen

Werde ein Betriebsteil veräußert und der verbleibende "Rest“- Betrieb stillgelegt, komme es darauf an, welchem Betriebsteil die betroffenen Arbeitnehmer zugeordnet werden könnten. Der Arbeitgeber dürfe eine Kündigung aussprechen, wenn der*die betroffene Arbeitnehmer*in dem stillzulegenden Restbetrieb angehöre.
 
Vorliegend habe es jedoch keinen Betriebsübergang oder Betriebsteil-Übergang gegeben. Ein Betriebsübergang setze voraus, dass die entsprechende wirtschaftliche Einheit beim Übergang ihre Identität bewahrt habe.
 

Die wirtschaftliche Einheit muss einen eigenen Zweck haben

Die wirtschaftliche Einheit sei immer eine ausreichend strukturierte und selbstständig organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit mit eigenem Zweck ausübe.
 
Eine solche wirtschaftliche Einheit läge vor, wenn das Personal der Einheit, die Führungskräfte, die Arbeitsorganisation, die Betriebsmethoden und gegebenenfalls auch die Betriebsmittel identisch seien. Das setze eine ausreichende funktionelle Autonomie voraus. Die Arbeit dieser Gruppe müsse relativ frei und unabhängig organisiert sein, was insbesondere auch die Erteilung von Weisungen betreffe und die Verteilung der Aufgaben.
 

Die wirtschaftliche Einheit muss „bewahrt“ werden

Entscheidend sei, dass eine solche wirtschaftliche Einheit übergehe. Das sei hier nicht der Fall. Für den Betriebsübergang komme es nämlich entscheidend darauf an, dass die abgesonderte wirtschaftliche Einheit ihre frühere Identität bei dem Betriebsübergang "bewahrt" habe.
 
Nur wenn eine wirtschaftliche Einheit schon vor dem Übergang vorhanden gewesen sei, könne sich die Frage eines Betriebsübergangs überhaupt stellen. Für solche zuvor bereits bestehenden wirtschaftlichen Einheiten sah das Gericht keine ausreichenden Hinweise.
 

Die beabsichtigte Betriebsratswahl reißt das Gericht nur kurz an

Ganz am Ende des Urteils befasst sich das Arbeitsgericht erst damit, dass kurz vor dem Beschluss zur Betriebsstilllegung der Wunsch bei den Beschäftigten entstand, einen Betriebsrat zu gründen. Die beabsichtigte Gründung eines Betriebsrates mache eine Kündigung nicht von vorneherein unwirksam.
 
Unwirksam sei die Kündigung nur dann, wenn für jede*n einzelne*n, gekündigten Mitarbeiter*in nachgewiesen sei, dass die Kündigung gerade wegen der Beteiligung an einer Betriebsratswahl erfolgt sei.
 

Das Gericht sieht keine Anhaltspunkte für ein schikanöses Vorgehen des Arbeitgebers

Für ein derart schikanöses Vorgehen gebe es keine Hinweise. Der Kläger weise auf den sehr nahe liegenden Verdacht hin, dass der Arbeitgeber mit den Kündigungen der Gründung eines Betriebsrates zuvorkommen wollte. Damit sollte das Zustandekommen eines Sozialplans verhindern werden.
 
Es möge zwar Umstände geben, die für einen derartigen Verdacht sprechen. Weitere Forderungen könne der Kläger hieraus aber nicht ableiten, sagt das Arbeitsgericht dazu. Insbesondere stünde auch die Gründung eines Betriebsrats nicht der Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung entgegen.
 

Die unternehmerische Freiheit geht vor

Die unternehmerische Freiheit könne betriebsverfassungsrechtlich nur in wenigen Fällen eingeschränkt werden, die das Betriebsverfassungsgesetz regele.
 
Es bleibt deshalb zunächst bei der Kündigung. Nun wird geprüft, ob ein Berufungsverfahren eingeleitet werden soll. Lediglich zwei Arbeitnehmer gewannen ihre Prozesse. Sie waren schwerbehindert. Bei ihnen hatte der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung versäumt, das Integrationsamt einzuschalten.
 
Hier geht es zum Urteil

Das sagen wir dazu:

Wann die Stilllegung eines Betriebes vorliegt und zum Ausspruch von Kündigungen berechtigt, haben Gerichte schon häufig entschieden. Dafür gibt es exakt festgelegte Voraussetzungen.

Lesen Sie dazu hier:
Wann liegt eine Betriebsstilllegung vor?

Betriebstilllegung kann mit der unwiderruflichen Freistellung der Arbeitnehmer beginnen
Einer Betriebsstilllegung muss eine unternehmerische Entscheidung vorausgehen. Diese unternehmerische Entscheidung trifft der Unternehmer. Daran hält die Rechtsprechung fest. Weder Betriebsräte noch Gewerkschaften oder gar die Arbeitnehmer*innen allein können diese Entscheidung verhindern.

Gerichte haben auch keine Möglichkeit die Entscheidung selbst infrage zu stellen. Was Gerichte prüfen können, ist die Umsetzung eines entsprechenden Beschlusses. Dieser muss geltendem Recht entsprechen. Betroffenen sei daher empfohlen, bereits auf erste Signale zu achten und diese zu dokumentieren, damit für einen späteren Kündigungsschutzprozess dem Arbeitgeber damit möglicherweise Argumente entgegengehalten werden können.