Die SBV ist im BEM-Verfahren nicht nur schmückendes Beiwerk. Der Schulungsbedarf ist groß. Copyright by Adobe Stock/Dmitry Vereshchagin
Die SBV ist im BEM-Verfahren nicht nur schmückendes Beiwerk. Der Schulungsbedarf ist groß. Copyright by Adobe Stock/Dmitry Vereshchagin

Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) war in einem großen Krankenhaus mit über 4.000 Beschäftigten, darunter geschätzten 330 schwerbehinderten Menschen, bereits fest etabliert. Allerdings hielt der Arbeitgeber hier die Zügel fest in der Hand. Er sah allein seine Rolle bei der Vorbereitung und Durchführung von BEM-Gesprächen als maßgeblich an. Die Rolle der SBV war nach seinem Verständnis auf die Gesprächsteilnahme beschränkt. Allein die BEM-Koordinator*innen des Arbeitgebers hätten die Gespräche verantwortlich zu führen.
 
Der Arbeitgeber hat auch einen Werbeflyer für die BEM-Teilnahme erstellt und in der Belegschaft verteilt. Weiter gibt es eine Betriebsvereinbarung zum BEM.
 

Arbeitgeber hält BEM-Seminar für Fortgeschrittene nicht für erforderlich

Die SBV hat sich ihrerseits des Themas intensiv angenommen und Mitglieder auf ein Grundlagen- und Aufbauseminar entsandt. Um jedoch die Interessen der betroffenen Mitarbeiter*innen noch besser vertreten zu können, sollte auch ein BEM-Seminar für Fortgeschrittene besucht werden. Diesen Schulungsbedarf hat der Arbeitgeber nicht gesehen. Die bereits besuchten Seminare seien für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben ausreichend.
 
Leider hat der private Schulungsveranstalter sehr plakativ die dritte Veranstaltung seiner Schulungsreihe für SBV-Vertrauenspersonen beworben, so als ob die Führungskräfte noch vom BEM überzeugt werden müssten. Auch nahm es der Veranstalter mit seiner eigenen Terminologie nicht besonders genau. In der Schulung würden einerseits über den zweiten Teil hinaus weitergehende Kenntnisse auf Fortgeschrittenenniveau vermittelt, andererseits sei diese Schulung speziell für erfahrene BEM-Koordinatoren vorgesehen. Die werden jedoch erst im vierten Teil der Schulungsreihe ausgebildet.
Der Arbeitgeber bestritt deshalb die Notwendigkeit der Teilnahme an dieser Veranstaltung, was unmittelbar den bezahlten Freistellungsanspruch und die Kostenseite berührte.
 

Die SBV gab nicht klein bei

Sie beauftragte das Büro Pirmasens der DGB Rechtsschutz GmbH mit der gerichtlichen Verfahrensführung. Ansprüche der SBV sind wie die des Betriebsrates im gerichtlichen Beschlussverfahren zu verfolgen.
 
Im Beschlussverfahren wurde vom Arbeitgeber vorgetragen, die SBV sei nicht der Berater der Betroffenen im BEM-Verfahren. Sie sei lediglich so zu beteiligen, dass sie eigene Vorschläge einbringen könne. Nach Ansicht des Arbeitgebers genügen hierfür Kenntnisse, wie sie bereits Mitgliedern der SBV in den BEM-Grundseminaren vermittelt wurden. Ein weitergehender Schulungsanspruch bestehe nicht, insbesondere kein Anspruch auf Fortgeschrittenenseminare, in denen beispielsweise Kenntnisse zu Rhetorik und SBV-Öffentlichkeitsarbeit vermittelt werden.
 
Die SBV konnte sich verständlicherweise mit der ihr zugeteilten Rolle im BEM-Verfahren nicht zufriedengeben. Schließlich hat der Gesetzgeber ihr im SGB IX vielfältige Aufgaben und Pflichten auferlegt, gerade im Bereich des BEM nach § 167 Abs. 2 SGB IX. Ihre Aufgabe kann es nicht sein, das gesamte BEM-Verfahren dem Arbeitgeber zu überlassen und nur schmückendes Beiwerk in den maßgeblichen Gesprächen des Arbeitgebers mit den betroffenen Arbeitnehmer*innen zu sein.
 

Das Gericht entscheidet zugunsten der SBV  

Das Arbeitsgericht folgte der SBV in seiner Argumentation, sie könne ihre gesetzlichen Aufgaben nur wahrnehmen, wenn schwerbehinderte Menschen tatsächlich bereit sind am BEM-Verfahren teilzunehmen. Dieses Verfahren soll schließlich einen Arbeitsplatzverlust aufgrund hoher krankheitsbedingter Fehlzeiten verhindern. Damit soll es in erster Linie Hilfestellung geben, um mit Rücksicht auf die körperliche Situation und Leistungsfähigkeit ein behindertengerechtes Arbeiten zu ermöglichen. Hierfür ist Aufklärungsarbeit notwendig, zumal auch die SBV nur diejenigen schwerbehinderten Beschäftigten namentlich kennt, die sich ihr gegenüber offenbaren.
 
Die Werbung für die BEM-Teilnahme muss die SBV ausdrücklich nicht allein den Bemühungen des Arbeitgebers überlassen, auch wenn dieser seine eigene Haltung zum BEM schon in einem Werbeflyer im Betrieb bekannt gemacht hat. Auch der Abschluss einer BEM-Betriebsvereinbarung schließt weitergehende Eigenbemühungen der SBV nicht aus. Eine Betriebsvereinbarung bindet zunächst die Führungskräfte der Arbeitgeberin, sie schafft nicht durch ihre bloße Existenz das Vertrauen der Betroffenen in ein für sie hilfreiches BEM-Verfahren. Hierfür ist eine verantwortungsvolle Beratung gerade durch die SBV notwendig, um die Mitarbeiter von einer Teilnahme zu überzeugen. Dies kann zum Beispiel durch Aushänge oder einen eigenen Flyer der SBV erfolgen, auch wenn dieser nur kopiert und damit weniger bunt und glänzend ist als der des Arbeitgebers.
 

SBV hat über Sinn und Zweck des BEM-Verfahrens zu informieren und zu werben

Das Arbeitsgericht griff die Ausführung der Arbeitgeberseite zur Rolle der SBV auf. Gerade deshalb durfte die SBV es als erforderlich ansehen „arbeitgeberfern“ parallel über Sinn und Zweck des BEM-Verfahrens zu informieren und zu werben, damit dieses erfolgreich sein kann. Diese Aufgabe muss der SBV zukommen, da sie anders als der Arbeitgeber nicht gleichzeitig Entscheider über eine mögliche Kündigung ist.
 
Um behinderten Menschen mit erheblichen Fehlzeiten die Angst vor einer BEM-Teilnahme zu nehmen, sind insbesondere rhetorische Kenntnisse erforderlich, die typischerweise in BEM-Grund- und Aufbauseminaren nicht vermittelt werden. Auch die mit der Schulungen vermittelten Kenntnisse in der Öffentlichkeitsarbeit dienen diesem Zweck, da es notwendig ist, die betroffenen Arbeitnehmer überhaupt betrieblich anzusprechen und zu erreichen.
 

Arbeitgeber wird die Rolle der SBV neu bewerten

Das Verfahren hat über die reine Schulungsteilnahme hinaus noch etwas erreicht: Auf Arbeitgeberseite wurde eine Neubewertung der Rolle der SBV angestoßen. Das kommt allen schwerbehinderten Beschäftigten ebenso zugute wie der Qualität und dem Erfolg des BEM.

  

LINKS:
Den vollständigen Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern können Sie hier nachlesen.
 
Lesen Sie auch: Teilbesuch von Schulungen

Rechtliche Grundlagen

SGB IX Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen
§ 167 Prävention
(2) Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). Soweit erforderlich, wird der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die Rehabilitationsträger oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Leistungen oder Hilfen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Absatz 2 Satz 2 erbracht werden. Die zuständige Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können die Klärung verlangen. Sie wachen darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt.