Eigentlich hatte der Kläger noch einmal auf Verständnis beim Arbeitgeber gehofft. © Adobe Stock von auremar
Eigentlich hatte der Kläger noch einmal auf Verständnis beim Arbeitgeber gehofft. © Adobe Stock von auremar

Der Mann aus der Region Hannover war 40 Jahre alt, erkrankte in seinem Arbeitsverhältnis im Jahr 2019 aber schon so häufig, dass er an 42 Tagen nicht zur Arbeit erscheinen konnte. Er arbeitete als Topfreiniger und musste Bauteile bestrahlen. Dabei kam er mit Bremsflüssigkeiten in Kontakt. Sein Arzt bescheinigte ihm, wegen allergischer Beschwerden solle er längeren Kontakt zu reizenden Chemikalien bei der Arbeit möglichst meiden. 

 

Der Chef setze den Mitarbeiter um

 

Der Arbeitgeber hatte ein Einsehen und versetzte seinen Mitarbeiter. Statt dem Strahlen von Bauteilen und dem Kontakt zu Bremsmitteln, sollte er fortan Tätigkeiten im Aluminiumbereich ohne Berührung mit Chemikalien verrichten. Die Umsetzung erfolgte 2020. Dennoch wurde der Mann oft krank und fehlte schon 2020 an insgesamt 39 Arbeitstagen.

 

Die Fehlzeiten setzten sich auch im nächsten Jahr fort. 2021 fehlte der Kläger an 16 Tagen. Er legte seinem Chef ein weiteres Attest vor. Demnach sollte er das Heben und Tragen von Lasten über 10 kg meiden. Offensichtlich war das dem Arbeitgeber dann doch zu viel. Er kündigte.

 

Für die Jurist*innen vom Rechtsschutzbüro Hannover, war die Sache klar. Für eine Kündigung bedarf es einer negativen Zukunftsprognose. Die fehlte hier. Das stellte nun auch das Arbeitsgericht Hannover nach einem kurzen Prozess von nicht mehr als dreieinhalb Monaten klar.

 

Der Betriebsrat hatte ein BEM gefordert

 

Unmittelbar nach der Vorlage des zweiten Attestes hatte der Betriebsrat schon die Einleitung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) gefordert. Im Kontakt mit bestimmten Chemikalien erkrankte der Mitarbeiter zwar, körperlich schweres Arbeiten sei ihm auch nicht mehr möglich, im Rahmen eines BEM gebe es jedoch die Möglichkeit, zu prüfen, ob es Einsatzmöglichkeiten gebe, ihm Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen.

 

Zu einem BEM war es jedoch nicht gekommen. Aus dem Rechtsschutzbüro Hannover heißt es, das zweite Attest habe dem Mann den „Todesstoß“ versetzt. Der Arbeitgeber habe nun eine Chance gesehen, sich von dem angeschlagenen Mitarbeiter zu trennen, denn auch nach der Umsetzung seien die Fehlzeiten sehr hoch gewesen. Der Arbeitgeber habe seinem Mitarbeiter letztlich überhaupt keine Chance mehr geben wollen.

 

Krankheitsbedingte Kündigungen nur bei negativer Gesundheitsprognose

 

Im Urteil bezieht sich das Arbeitsgericht auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur krankheitsbedingten Kündigung. Diese setzt eine negative Gesundheitsprognose voraus. Bereits im Kündigungszeitpunkt müssen objektiv nachvollziehbare Tatsachen vorliegen, die befürchten lassen, dass der*die Betroffene auch in Zukunft wenigstens im bisherigen Umfang krankheitsbedingt fehlen wird.

 

Die prognostizierten Fehlzeiten können nur dann eine krankheitsbedingte Kündigung rechtfertigen, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Steht das fest, muss der Arbeitgeber seine Interessen gegen diejenigen des*der Betroffenen abwägen. Eine Kündigung ist möglich, wenn der Arbeitgeber die Beeinträchtigung billigerweise nicht mehr hinnehmen muss.

 

Gemessen daran habe die Kündigung keinen Bestand, sagt das Arbeitsgericht. Es fehle nämlich an der negativen Zukunftsprognose. Der Arbeitgeber habe den Kläger 2020 gesundheitsbedingt umgesetzt. Die Zeiten vorher könne er deshalb bei der prognostischen Betrachtung nicht mehr zugrunde legen. Erst die Fehlzeiten, die der Kläger ab dem Zeitpunkt der innerbetrieblichen Umsetzung aufweise, könnten einer Zukunftsprognose zugrunde gelegt werden.

 

Die Fehlzeiten reichen für die Kündigung nicht aus

 

Es sei nicht anzunehmen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers, die vor der Umsetzung angefallen sein, sich in gleicher Höhe auch im neuen Beschäftigungsbereich wiederholten. Dafür gebe es keine Anhaltspunkte. Die Fehlzeiten nach der Umsetzung seien nicht übermäßig hoch. Deshalb lasse sich eine negative Gesundheitsprognose nicht erstellen.

 

Auf ein BEM kam es dem Gericht nicht an. Der Mann arbeitet übrigens wieder. Mehr als 10 kg muss er nicht heben und fährt beispielsweise Gabelstapler. Das kann er ohne krankheitsbedingte Unterbrechungen machen. Der Arbeitsplatz ist vorerst gerettet!

 

Noch mal Glück gehabt, mag man meinen. Nein, Gesetz und Rechtsprechung geben Regeln vor. An die muss der Arbeitgeber sich halten. 

 

Nichts desto trotz: Die Vorlage ärztlicher Atteste beim Arbeitgeber kann immer auch ein zweischneidiges Schwert sein!

 

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Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Hannover.