Kirchliche Beschäftigte profitieren von Lohnerhöhungen auch bei späterem Betriebsübergang auf privaten Erwerber.
Kirchliche Beschäftigte profitieren von Lohnerhöhungen auch bei späterem Betriebsübergang auf privaten Erwerber.


Das Bundesarbeitsgericht hat in Fortführung seiner Rechtsprechung entschieden, dass dynamische Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen trotz eines Betriebsübergangs weiter gelten. Die Beschäftigten profitieren damit auch künftig von Lohnerhöhungen.

Rettungsdienst wird outgesourct

In Einrichtungen des Diakonischen Werkes gelten aufgrund der Besonderheiten des Staatskirchenrechts keine Tarifverträge. Kollektive Regelungen werden stattdessen in Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) niedergelegt.

So war es auch beim Kläger, der ursprünglich bei einem dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche angeschlossenem Rettungsdienst beschäftigt war. In seinem Arbeitsvertrag war vereinbart, dass die AVR des Diakonischen Werks „in der jeweils gültigen Fassung“ gelten sollten.

Als das Arbeitsverhältnis im Jahre 2014 auf eine private Arbeitgeberin überging, wollte diese die Lohnerhöhungen aus den AVR nicht zahlen. Sie begründete dies damit, dass sie auf den Inhalt der AVR keinen Einfluss nehmen könne. Daher könne sie auch an Änderungen nicht gebunden sein.

Der Kläger verlangte nun die im AVR festgelegte Erhöhung seines Lohnes um 1,9 % bzw. von 2,7 %.

Asklepios-Entscheidung des EuGH

In einer ähnlichen Fallkonstellation befanden sich auch zwei ver.di-Mitglieder, die in einer kommunalen Einrichtung beschäftigt waren. Auf ihre Klage hin hatte das Bundesarbeitsgericht die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vorgelegt.

Der EuGH gab den ver.di-Mitgliedern  - vertreten vom Prozessvertreter des DGB Rechtsschutz  - im April 2017 recht

Gewerkschaftliches Centrum gewinnt vor dem Europäischen Gerichtshof

Die dynamische Bezugnahmeklausel gelte trotz des Betriebsüberganges weiter und gewähre den Arbeitnehmern auch die dort festgelegten Rechte.

Der Regeln des Tarifvertrags wirkten nicht aufgrund der kollektiven Vereinbarung, sondern individuell aufgrund der arbeitsvertraglichen Klausel. Der Arbeitsvertrag könne aber einseitig nicht verändert werden.

Asklepios-Entscheidung gilt auch bei AVR

Das Bundesarbeitsgericht war der Entscheidung des EuGH gefolgt.

Dynamische Bezugnahmeklausel und Betriebsübergang: BAG folgt EuGH


In dem nun entschiedenen Fall ging es um die Frage, ob nicht nur ein Tarifvertrag, sondern auch die kirchlichen AVR aufgrund einer dynamischen Bezugnahmeklausel nach einem Betriebsübergang auf einen privaten Betreiber weiterwirken.

Das Bundesarbeitsgericht hat dies bejaht. Der neue Arbeitgeber sei kraft Gesetzes in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen eingetreten. Zu diesen Verpflichtungen zähle die arbeitsvertraglich vereinbarte Bindung an die AVR. Lohnerhöhungen, die sich aus der Änderung der AVR ergeben, seien daher weiterhin zu zahlen.

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Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts

Das sagen wir dazu:

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist konsequent. Es macht keinen Unterschied, ob die Bezugnahmeklausel auf einen Tarifvertrag oder die Allgemeinen Arbeitsvertragsrichtlinien verweist. Entscheidend ist die Klassifizierung als individualrechtlicher Anspruch.

Es gilt die Vertragsfreiheit

Dass es sich um einen solchen Anspruch des einzelnen Arbeitnehmer gegen seinen Arbeitgeber handelt, hat der EuGH in der Asklepios-Entscheidung deutlich gemacht: Arbeitsverträge sind einzuhalten, auch wenn der Betriebserwerber auf deren Gestaltung keinen Einfluss hatte.

Der Erwerber übernimmt den Betrieb und die Beschäftigten so, wie er sie vorfindet, mit den entsprechenden Verträgen. Diese muss er erfüllen. Er kann nicht so tun, als ginge es ihn nichts an, was vor seinem Eintritt geschehen ist.

Kirchliches Arbeitsrecht in Bewegung

Man könnte aber die Frage stellen, warum diese Entscheidung ergehen musste. Diese wäre nicht notwendig gewesen, wenn es statt der AVR einen Tarifvertrag gegeben hätte. Von der Möglichkeit, Tarifverträge abzuschließen, sind Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen aufgrund der Sonderstellung der Kirchen ausgeschlossen.

Kirchliches Arbeitsrecht noch zeitgemäß?

Aber auch hier könnte der EuGH bald wegweisendes entscheiden. Auf dem europarechtlichen Prüfstand ist derzeit zwar nur die Frage, ob die kirchlichen Träger selbst festlegen dürfen, wann sie Konfessionsgebundenheit als zwingend erachten.

Beschränkt der EuGH die Macht kirchlicher Arbeitgeber?

Sollte der EuGH dieses Privileg kippen, wie es der Generalanwalt fordert, könnten bald auch andere Vorrechte der kirchlichen Träger ins Wanken geraten. Dies gilt nicht nur für den Ausschluss von Tarifverträgen, sondern auch von hierfür erforderlichen Streiks.

Rechtliche Grundlagen

§ 613 a BGB

Rechte und Pflichten bei Betriebsübergang

(1) 1Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. 2Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. 3Satz 2 gilt nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden. 4Vor Ablauf der Frist nach Satz 2 können die Rechte und Pflichten geändert werden, wenn der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung nicht mehr gilt oder bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags dessen Anwendung zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer vereinbart wird.

(2) 1Der bisherige Arbeitgeber haftet neben dem neuen Inhaber für Verpflichtungen nach Absatz 1, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig werden, als Gesamtschuldner. 2Werden solche Verpflichtungen nach dem Zeitpunkt des Übergangs fällig, so haftet der bisherige Arbeitgeber für sie jedoch nur in dem Umfang, der dem im Zeitpunkt des Übergangs abgelaufenen Teil ihres Bemessungszeitraums entspricht.

(3) Absatz 2 gilt nicht, wenn eine juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft durch Umwandlung erlischt.

(4) 1Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist unwirksam. 2Das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen bleibt unberührt.

(5) Der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber hat die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform zu unterrichten über:
1. den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,
2. den Grund für den Übergang,
3. die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und
4. die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.
(6) 1Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach Absatz 5 schriftlich widersprechen. 2Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden.