Jürgen Baumann, DGB Rechtsschutz Chemnitz:"Offensichtlich eine Retourkutsche für engagierte Betriebsratsarbeit".
Jürgen Baumann, DGB Rechtsschutz Chemnitz:"Offensichtlich eine Retourkutsche für engagierte Betriebsratsarbeit".

Der Arbeitgeber kann das Mitglied eines Betriebsrates ganz oder teilweise von der Arbeit freistellen, damit er sich der Betriebsratsarbeit widmen kann. Hat ein Betrieb mindesten 200 Beschäftigte, ist der Arbeitgeber sogar dazu verpflichtet.
 
Vielen Arbeitgebern sind Freistellungen ein Dorn im Auge. Schließlich müssen sie das Betriebsratsmitglied bezahlen, ohne dafür Arbeitsleistungen zu erhalten. Nach Auffassung einiger Arbeitgeber könnten Betriebsräte etwas sinnvolleres tun, als sich Betriebsratsangelegenheiten zu widmen. Dass Betriebsratsarbeit ebenso eine Tätigkeit wie jede andere ist, wird dabei gerne übersehen.
 

Freigestelltes Betriebsratsmitglied arbeitet auf Bitten des Arbeitgebers

Ganz anders lief es in diesem Fall, mit dem sich das Arbeitsgericht Chemnitz zu befassen hatte.
 
Max B. ist Beschäftigter an einer medizinischen Berufsschule eines großen Klinikums und gleichzeitig Betriebsratsmitglied. Er ist von seinem Arbeitgeber im Umfang von 20 % seiner Arbeitszeit bzw. 8 Stunden pro Woche freigestellt .Max B. nimmt die Freistellung normalerweise freitags in Anspruch.
 
An drei Freitagen im Jahr 2018 hatte er aber auf ausdrücklichen Wunsch seines Arbeitgebers trotzdem gearbeitet und an diesen Tagen Unterricht am Bildungszentrum erteilt. Zuvor hatte er mit dem Betriebsrat abgestimmt, dass er seine Betriebsratstätigkeit auf andere Tage verlagern konnte.
 

Der „Dank“ des Arbeitgebers: Antrag auf Ausschluss aus dem Betriebsrat

Unter diesen Umständen hätte man von dem Arbeitgeber erwarten können, dass er Max B. für dessen Entgegenkommen dankbar ist. Nicht so bei Max B.: der Arbeitgeber war der Auffassung, dass Max B. gegen seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten verstoßen habe. Er habe die Zeit, in der er freigestellt gewesen sei, nicht dafür benutzt, für den Betriebsrat zu arbeiten. Außerdem warf er ihm vor, dass er die Vor-und Nacharbeitszeiten nicht ordnungsgemäß angegeben habe.
 
Obwohl der Betriebsrat dagegen war, beantragte der Arbeitgeber den Ausschluss des Max B. aus dem Betriebsrat.
 
Das wolle sich Max B nicht gefallen lassen. Er und der Betriebsrat zogen vor Gericht und bekamen mithilfe der DGB Rechtsschutz GmbH Chemnitz auch recht.
 

Arbeitsgericht Chemnitz: Antrag abgewiesen

Das Arbeitsgericht Chemnitz hat in seinem Beschluss zunächst einmal darauf hingewiesen, dass ein Betriebsratsmitglied aus dem Betriebsrat nur dann ausgeschlossen werden kann, wenn es seine gesetzlichen Pflichten grob verletzt hat. Das Betriebsratsmitglied muss durch ein Verhalten, das ihm zuzurechnen ist, die Arbeit des Betriebsrates ernstlich bedroht oder sogar seine Funktion lahmgelegt haben.
 
Davon könne im Falle des Max B. nicht ansatzweise ausgegangen werden. Er habe mit der Betriebsratsvorsitzenden abgeklärt dass er seine Arbeit für den Betriebsrat zu einem anderen Zeitpunkt ausüben könnte.
 
Außerdem habe sich in der mündlichen Anhörung herausgestellt, dass der Arbeitgeber keine konkreten Vorgaben gemacht habe, wie Betriebsratsmitglieder, die freigestellt sind, ihre Arbeitszeit erfassen sollen. Er konnte Max B. somit nicht vorwerfen, sich nicht ordnungsgemäß verhalten zu haben.
 
Schließlich wies das Arbeitsgericht noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass Max B. auf besonderen Wunsch seines Arbeitgebers an den Tagen, an denen er eigentlich freigestellt war, gearbeitet hatte. Vor diesem Hintergrund konnte das Arbeitsgericht Chemnitz keine Pflichtverletzung des Max B erkennen, sodass es den Antrag des Arbeitgebers abwies. Max B. darf also Betriebsratsmitglied bleiben.

Hier geht es zum Urteil
 
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Arbeitgeber mahnt Betriebsrat ab - DGB Rechtsschutz GmbH
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Das sagen wir dazu:

Eigentlich gehört dieser Fall in die Rubrik  “ Wie kann ich als Arbeitgeber meinen Betriebsrat am meisten ärgern “. Anders ist das Verhalten der Arbeitgeberin nicht zu erklären. Es gehört schon einiges dazu, ein freigestelltes Betriebsratsmitglied aufzufordern, zu arbeiten, und dann im Nachgang seinen Ausschluss aus dem Betriebsrat zu betreiben. Diese Vorgehensweise hat mit einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, wie es das Betriebsverfassungsgesetz fordert, nichts mehr zu tun.

Das hat das Arbeitsgericht Chemnitz im vorliegenden Fall erkannt und den Manövern des Arbeitgebers mithilfe der DGB Rechtsschutz GmbH zu Recht einen Riegel vorgeschoben.

Kein Direktionsrecht des Arbeitgeber

Freigestellten Betriebsratsmitglieder unterstehen einen besonderen Schutz: Sie sind grundsätzlich von ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtung zur Arbeitsleistung (im Falle eine Teilfreistellung anteilmäßig) befreit und können sich nur noch der Erfüllung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben widmen. Deshalb besteht insoweit auch nicht mit dem Direktionsrecht des Arbeitgebers-Max B. hätte sich im vorliegenden Fall durchaus weigern können, in der Freistellungszeit für seinen Arbeitgeber zu arbeiten. Wenn es aber keine klare Regelung gibt, wann die Freistellungszeit beginnt und endet, wird es problematisch. In diesem Fall setzt sich das Betriebsratsmitglied der Gefahr aus, wegen Arbeitsverweigerung eine Abmahnung zu erhalten, wenn es einer Aufforderung des Arbeitgebers zur Arbeitsleistung nicht nachkommt. Daher müssen mit dem Arbeitgeber eindeutige Regelungen getroffen werden.

Was vom  Arbeitsgericht Chemnitz nicht mehr problematisiert worden ist, ist die Frage, ob der Arbeitgeber überhaupt einen Anspruch darauf hat, dass ein Betriebsratsmitglied sich Betriebsratsaufgaben widmet. Wir meinen, dass das nicht der Fall ist. Es ist Aufgabe des Betriebsrats, dafür zu sorgen, dass seine Mitglieder ihre Aufgaben erfüllen.

Rechtliche Grundlagen

Betriebsverfassungsgesetz

§ 38 Freistellungen
(1) Von ihrer beruflichen Tätigkeit sind mindestens freizustellen in Betrieben mit in der Regel

200 bis 500 Arbeitnehmern ein Betriebsratsmitglied,
501 bis 900 Arbeitnehmern 2 Betriebsratsmitglieder,
901 bis 1.500 Arbeitnehmern 3 Betriebsratsmitglieder,
1.501 bis 2.000 Arbeitnehmern 4 Betriebsratsmitglieder,
2.001 bis 3.000 Arbeitnehmern 5 Betriebsratsmitglieder,
3.001 bis 4.000 Arbeitnehmern 6 Betriebsratsmitglieder,
4.001 bis 5.000 Arbeitnehmern 7 Betriebsratsmitglieder,
5.001 bis 6.000 Arbeitnehmern 8 Betriebsratsmitglieder,
6.001 bis 7.000 Arbeitnehmern 9 Betriebsratsmitglieder,
7.001 bis 8.000 Arbeitnehmern 10 Betriebsratsmitglieder,
8.001 bis 9.000 Arbeitnehmern 11 Betriebsratsmitglieder,
9.001 bis 10.000 Arbeitnehmern 12 Betriebsratsmitglieder.

In Betrieben mit über 10.000 Arbeitnehmern ist für je angefangene weitere 2.000 Arbeitnehmer ein weiteres Betriebsratsmitglied freizustellen. Freistellungen können auch in Form von Teilfreistellungen erfolgen. Diese dürfen zusammengenommen nicht den Umfang der Freistellungen nach den Sätzen 1 und 2 überschreiten. Durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung können anderweitige Regelungen über die Freistellung vereinbart werden.
(2) Die freizustellenden Betriebsratsmitglieder werden nach Beratung mit dem Arbeitgeber vom Betriebsrat aus seiner Mitte in geheimer Wahl und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Wird nur ein Wahlvorschlag gemacht, so erfolgt die Wahl nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl; ist nur ein Betriebsratsmitglied freizustellen, so wird dieses mit einfacher Stimmenmehrheit gewählt. Der Betriebsrat hat die Namen der Freizustellenden dem Arbeitgeber bekannt zu geben. Hält der Arbeitgeber eine Freistellung für sachlich nicht vertretbar, so kann er innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach der Bekanntgabe die Einigungsstelle anrufen. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Bestätigt die Einigungsstelle die Bedenken des Arbeitgebers, so hat sie bei der Bestimmung eines anderen freizustellenden Betriebsratsmitglieds auch den Minderheitenschutz im Sinne des Satzes 1 zu beachten. Ruft der Arbeitgeber die Einigungsstelle nicht an, so gilt sein Einverständnis mit den Freistellungen nach Ablauf der zweiwöchigen Frist als erteilt. Für die Abberufung gilt § 27 Abs. 1 Satz 5 entsprechend.
(3) Der Zeitraum für die Weiterzahlung des nach § 37 Abs. 4 zu bemessenden Arbeitsentgelts und für die Beschäftigung nach § 37 Abs. 5 erhöht sich für Mitglieder des Betriebsrats, die drei volle aufeinanderfolgende Amtszeiten freigestellt waren, auf zwei Jahre nach Ablauf der Amtszeit.
(4) Freigestellte Betriebsratsmitglieder dürfen von inner- und außerbetrieblichen Maßnahmen der Berufsbildung nicht ausgeschlossen werden. Innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Freistellung eines Betriebsratsmitglieds ist diesem im Rahmen der Möglichkeiten des Betriebs Gelegenheit zu geben, eine wegen der Freistellung unterbliebene betriebsübliche berufliche Entwicklung nachzuholen. Für Mitglieder des Betriebsrats, die drei volle aufeinanderfolgende Amtszeiten freigestellt waren, erhöht sich der Zeitraum nach Satz 2 auf zwei Jahre.