Die Arbeitszeit von Fahrern in der Personenbeförderung kann schon ab Zuhause gelten. Copyright by Fiedels/Fotolia
Die Arbeitszeit von Fahrern in der Personenbeförderung kann schon ab Zuhause gelten. Copyright by Fiedels/Fotolia

Im Urteilsverfahren vor den Arbeitsgerichten ist es Sache der Parteien, alle relevanten Tatsachen vorzubringen, auf deren Grundlage das Gericht dann eine Entscheidung fällt. Dabei muss jede Partei beweisen, dass die Voraussetzungen der für sie günstigen Rechtsnorm tatsächlich erfüllt sind.
 
Beweisbedürftig sind nur die Behauptungen, auf die es rechtlich ankommt und die die Gegenseite bestritten hat.
 

Im Überstundenprozess gelten die Darlegungs- und Beweislastregeln in verschärfter Form

Auf der ersten Stufe ist der Arbeitnehmer an der Reihe und muss vortragen. Ausreichend ist dabei, anzugeben, an welchen Tagen er von wann bis wann gearbeitet hat oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat.
 
Darauf muss der Arbeitgeber vortragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen dieser den Weisungen von wann bis wann nicht nachgekommen ist. Soll heißen: Wenn der Arbeitnehmer sagt, er hat an einem bestimmten Tag 9 Stunden lang in der Zeit von 7 Uhr bis 17 Uhr gearbeitet, reicht es nicht, wenn der Arbeitgeber sagt, das stimme nicht. Vielmehr muss er sagen, wann und wie lange der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet haben soll.
 

Unbestrittene Tatsachenbehauptungen gelten als zugestanden

Es ist zwischen dem einfachen Bestreiten einer Behauptung und dem substantiierten Bestreiten zu unterscheiden. Ein substantiiertes Bestreiten erfordert den Vortrag von Tatsachen, die zeigen, dass der Vortrag des Gegners falsch ist. Ein einfaches „stimmt nicht“ reicht nicht.
 
Im Überstundenprozess hat der Arbeitgeber sich substantiiert, also mit weiteren Angaben und Erläuterungen, zu den vorgetragenen Arbeitszeiten einzulassen. Tut er dies nicht, gilt der Vortrag des Arbeitnehmers als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO).
 
An diesem Punkt ging die beklagte Arbeitgeberin im Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Paderborn „baden“.
 

Streit über Vergütungs- und Urlaubsabgeltungsansprüche

Die Klägerin war ein gutes Jahr bei dem Unternehmen für Bustouristik als Fahrerin beschäftigt. Sie fuhr Personen zur Schule oder Behindertenwerkstatt und wieder zurück nach Hause. Der Arbeitsvertrag regelte keine genaue Arbeitszeit, nur, dass sich diese nach der jeweiligen Tour richtet.
Die Klägerin begann jede Tour von Zuhause, wohin sie den Kleinbus mitnehmen durfte.
 
Als das Arbeitsverhältnis endete, kam es zum Streit über den noch offenen Urlaub und noch zu vergütende Stunden. Die Klägerin erhob mit Hilfe des DGB Rechtsschutz Paderborn Klage beim Arbeitsgericht.
 
Das Gericht hatte zu klären, ob die Beklagte die tatsächliche Arbeitszeit vergütet hatte.
 

Gericht wertet die von der Klägerin vorgetragenen Arbeitszeiten als unbestritten

Die Klägerin trug vor, an welchen Tagen sie von wann bis wann welche Tour gefahren ist. Die Beklagte legte die von ihr erstellten Arbeitszeitnachweise vor. Diese habe die Klägerin nie beanstandet. Die Fahrtzeiten, wie sie die Klägerin benannt hat, seien weder angeordnet noch erforderlich gewesen. Unnötige Standzeiten seien ebenso wenig vergütungspflichtige Arbeitszeit wie der Weg von Zuhause zum Beginn der jeweiligen Tour.
 
Den Sachvortrag der Klägerin hielten die Arbeitsrichter für ausreichend, den der Arbeitgeberseite jedoch nicht. Sie sprachen dem Gewerkschaftsmitglied den eingeklagten Betrag von über 2.000 € zu. Denn: Der Vortrag der Klägerin zu den geleisteten (Über-)Stunden gelte mangels substantiierten Bestreitens der Beklagten als zugestanden.
 

Ermittlung der Arbeitszeiten durch die Beklagte bleibt unklar

Es reichte also für die Beklagte nicht aus, die behaupteten Arbeitszeiten insgesamt zu bestreiten und die Daten aus der von ihr erstellten Zeitnachweisen vorzutragen. Sie hätte im Einzelnen erläutern müssen, aus welchen Gründen für welche Zeiträume der Vortrag der Klägerin unrichtig sein sollte, etwa, weil eine Tour kürzer als behauptet sei.
 
Das Gericht moniert hier auch, dass die Beklagte nicht vorträgt, wie sie die von ihr vorgetragenen Arbeitszeiten ermittelt haben will. Das fällt hier besonders ins Gewicht, da die Klägerin verschiedene Touren gefahren ist und unklar war, ab welcher Stelle die Beklagte bei welcher Tour den Beginn der Arbeitszeit festgelegt hatte. Zudem kommt es bei dieser Art von Fahrten zu Standzeiten, zu denen sich die Beklagte auch nicht konkret geäußert hat.
 

Arbeitszeit gilt ab dem Wohnhaus der Klägerin

Die Beklagte unterlag aber nicht nur aufgrund nicht geleisteten Vortrags. Das Gericht stellte sich auch bei den Fahrtzeiten vom Wohnhaus der Klägerin zu ersten abzuholenden Person und zurück gegen die Auffassung der Beklagten. Diese stellten vergütungspflichtige Arbeitszeit dar.
 
Der Weg zur Arbeit ist normalerweise keine Arbeitszeit. Anders ist das zu sehen, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebes zu erbringen hat und ein Fahrzeug das hauptsächliche Arbeitsmittel ist. Dann gehört auch die Fahrt zum ersten Kunden und die Fahrt zurück vom letzten Kunden zur Arbeitszeit.
 
Hier kommt es allerdings auf die Regelung im Arbeitsvertrag an. In einem ähnlich gelagerten Fall hatte sich zum Beispiel das Arbeitsgericht Bielefeld auf den Standpunkt gestellt, die Arbeitszeit beginne nicht schon, wenn der Fahrer die Tour zuhause starte. Das Unternehmen hatte vertraglich die Schule, zu der die Kinder zu befördern waren, als (möglichen) Abstellort für die Busse und damit zum Arbeitsort erklärt. Die Richter sahen hier eine Situation vergleichbar mit einem Busfahrer, der seinen Bus morgens im Depot abholt.
 

Das Urteil ist rechtskräftig

Nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts Paderborn konnte sich die Klägerin noch nicht endgültig freuen: Die Beklagte hat Berufung eingelegt. Das änderte am Ergebnis aber nichts. Das Landesarbeitsgericht Hamm bestätigte den Zahlungsanspruch der Klägerin.
 
 
LINKS:
Das Urteil vom Arbeitsgericht Paderborn ist hier im Volltext nachzulesen
 
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