Einladung zu einem Vorstellungsgespräch – für viele Behinderte eine große Hürde. Copyright by pict rider/Adobe Stock
Einladung zu einem Vorstellungsgespräch – für viele Behinderte eine große Hürde. Copyright by pict rider/Adobe Stock

Offensichtlich hat sich bei vielen (öffentlich-rechtlichen) Arbeitgebern noch nicht herumgesprochen, dass es eine Diskriminierung darstellen kann, wenn sie eine*n behinderte*n Arbeitnehmer*in nicht zu einem Vorstellungsgespräch einladen.
 
Andernfalls wäre wohl folgender Fall nicht eingetreten, über den das Arbeitsgericht Leipzig zu entscheiden hatte:
 
Die beklagte Stadt L. schrieb die Stelle eines „Mitarbeiters zur Beratung von Asylbewerbern“ aus. Der Kläger bewarb sich auf die ausgeschriebene Stelle und teilte in seinem Bewerbungsschreiben mit, dass er einen Schwerbehindertenausweis besitzt. Er fügte den Bewerbungsschreiben seinen Lebenslauf sowie Prüfungsdokumente bei, aber keinen Nachweis über seine Behinderung.
 

Trotz Schwerbehinderung keine Einladung zum Vorstellungsgespräch

Die Stadt L. lud dem Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein. Sie teilte ihm per Mail mit, dass sie inzwischen über die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle entschieden und eine andere Person ausgewählt habe.
 
Der Kläger war erstaunt, denn eigentlich hatte er mit einer Einladung gerechnet. Schließlich war er für diese Stelle fachlich geeignet, sodass die Stadt als öffentlich-rechtliche Arbeitgeberin gesetzlich verpflichtet gewesen wäre, ihn zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.
 
Mithilfe der DGB Rechtsschutz GmbH Berlin ging er daher vor Gericht und verklagte die Stadt L. auf Zahlung einer Entschädigung, da sie gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen habe.
 

Bewerber muss Schwerbehindertenausweis nicht automatisch vorlegen

In dem Prozess wandte die beklagte Stadt ein, dass für sie nicht klar gewesen sei, dass der Bewerber schwerbehindert war. Er habe seinem Bewerbungsschreiben keinen Nachweis über seine Schwerbehinderung beigefügt. Er habe ihn auch nicht später vorgelegt, obwohl die Stadt ihn dazu angeblich aufgefordert habe.
 
Das Arbeitsgericht Leipzig sah das aber anders und verurteilte in seiner Entscheidung vom 27. November 2019 die beklagte Stadt zur Zahlung einer Entschädigung.
 
Dabei wies das Gericht zunächst auf die (von vielen Gerichten bereits bestätigte) Regelung hin, nach der es ein Indiz für eine Diskriminierung darstellt, wenn der öffentlich-rechtliche Arbeitgeber eine*n Schwerbehinderte*n nicht zu einem Vorstellungsgespräch einlädt.
 
Der Arbeitgeber zeige nämlich dadurch, dass er nicht daran interessiert sei, eine*n Schwerbehinderte*n zu beschäftigen. Er muss nur dann nicht einladen, wenn der Bewerber für die zu besetzende Stelle offensichtlich fachlich nicht geeignet ist. Aber das konnte die beklagte Stadt L. in diesem Verfahren nicht ernsthaft behaupten.
 
Das Gericht hat auch klargestellt, dass der Kläger seinem Bewerbungsschreiben nicht von sich aus einen Nachweis über seine Schwerbehinderung (Schwerbehindertenausweis o. ä.) beifügen muss. Es reicht aus, wenn er in seinem Bewerbungsschreiben darauf hinweist. Wenn die beklagte Stadt von ihm einen Nachweis verlangt hätte, hätte er ihn vorlegen müssen, weil er Mitwirkungspflichten hat. Die Stadt konnte jedoch nicht nachweisen, dass er solch einer Aufforderung von ihr erhalten hat.
 

Entschädigungshöhe ist Ermessenssache des Gerichts

Das Gericht hat damit festgestellt, dass der Kläger wegen seiner Behinderung benachteiligt wurde und damit auch einen Entschädigungsanspruch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz hat. Das Arbeitsgericht hat eine Entschädigung in Höhe von ca. 5.000 € (1,5 Monatsgehälter) als angemessen angesehen.
 
Die Höchstgrenze von drei Monatsgehältern war seiner Meinung nach nicht erreicht, da der Verstoß der beklagten Stadt L. als nicht so schwerwiegend anzusehen sei. Ganz offensichtlich war die beklagte Stadt irrtümlich der Meinung, dass der Kläger nicht schwerbehindert war, weil kein Nachweis darüber vorgelegen hatte.
 
Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgericht Leipzig
 
Lesen Sie hierzu auch
Schadensersatz für schwerbehinderten Bewerber erstritten - DGB Rechtsschutz GmbH
Entschädigung wegen Diskriminierung eines Schwerbehinderten - DGB Rechtsschutz GmbH

Das sagen wir dazu:

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und auch die gesetzliche Regelung im IX. Sozialgesetzbuch, nach der öffentlich-rechtliche Arbeitgeber Schwerbehinderte zu einem Vorstellungsgespräch einladen müssen, bestehen bereits seit Jahren.

Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass Arbeitgeber diese Verpflichtung einfach nicht befolgen, sei es, dass sie diese Bestimmungen nicht sonderlich ernst nehmen, oder sei es, dass sie keinen Wert darauf legen, Behinderte zu beschäftigen.

Daher ist es erfreulich, dass das Arbeitsrecht Leipzig ausdrücklich klarstellt, dass ein Verstoß gegen Regelungen, die Schwerbehinderte vor Diskriminierung schützen sollen, kein Kavaliersdelikt ist.
Und noch etwas geht aus diesem Urteil hervor: die Anforderungen an Bewerber dürfen nicht überspannt werden. Es reicht aus, wenn sie in ihrem Bewerbungsschreiben darauf hinweisen, dass sie schwerbehindert sind. Allerdings sollen sie einen Nachweis vorliegen, wenn sie dazu aufgefordert werden.

Rechtliche Grundlagen

AGG/ SGB IX

15 Entschädigung und Schadensersatz
(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.
(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.
(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.
(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.
(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (Artikel 1 des Gesetzes v. 23. Dezember 2016, BGBl. I S. 3234) (Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX)
§ 165 Besondere Pflichten der öffentlichen Arbeitgeber
Die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber melden den Agenturen für Arbeit frühzeitig nach einer erfolglosen Prüfung zur internen Besetzung des Arbeitsplatzes frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze (§ 156). Mit dieser Meldung gilt die Zustimmung zur Veröffentlichung der Stellenangebote als erteilt. Haben schwerbehinderte Menschen sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur für Arbeit oder einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Eine Einladung ist entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Einer Inklusionsvereinbarung nach § 166 bedarf es nicht, wenn für die Dienststellen dem § 166 entsprechende Regelungen bereits bestehen und durchgeführt werden.