Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung? Fehlanzeige! Copyright by Photographee.eu/Adobe Stock
Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung? Fehlanzeige! Copyright by Photographee.eu/Adobe Stock

Behinderte Menschen mit einem Grad der  Behinderung von weniger als 50 können bei der Bundesagentur für Arbeit einen Antrag stellen, mit einem schwer behinderten Menschen gleichgestellt zu werden. Nach dem Gesetz genießen nur Schwerbehinderte bestimmte Schutzrechte. So muss der Arbeitgeber nur bei Schwerbehinderten vor Ausspruch einer Kündigung das Integrationsamt um Erlaubnis fragen und die Schwerbehindertenvertretung vor bestimmten Maßnahmen wie Kündigung oder Umsetzung beteiligen. Für behinderte Menschen ist daher die Gleichstellung von großer praktischer Bedeutung.
 

Entscheidung der Bundesagentur wirkt grundsätzlich rückwirkend

Wenn die Bundesagentur für Arbeit über diesen Antrag positiv entschieden hat, wirkt die Gleichstellung auf den Tag des Eingangs des Antrags zurück. Das bedeutet, dass der Antragsteller ab Antragstellung als Schwerbehinderter gilt. Da wäre es konsequent, wenn der Arbeitgeber ab dem Tag der Antragstellung die Schwerbehindertenvertretung beteiligt, wenn er Maßnahmen vorhat, die den/die Behinderte*n betreffen.
 

Arbeitsgericht Berlin: Arbeitgeber muss Schwerbehindertenvertretung vorsorglich beteiligen

So sah es auch das Arbeitsgericht Berlin, das über den Antrag einer Schwerbehindertenvertretung entscheiden musste. In diesem Verfahren hatte eine behinderte Arbeitnehmerin bei der Bundesagentur für Arbeit einen Antrag auf Gleichstellung gestellt und ihren Arbeitgeber darüber informiert.
 
Ein Jahr später erhielt sie die Gleichstellung. Noch bevor die Bundesagentur über ihren Antrag entschieden hatte, setzte der Arbeitgeber die Beschäftigte in ein anderes Team um, ohne zuvor die Schwerbehindertenvertretung unterrichtet und angehört zu haben.
 
Die Schwerbehindertenvertretung des Betriebes der Arbeitnehmerin wollte sich das nicht gefallen lassen und stellte daher beim Arbeitsgericht Berlin den Antrag, dass der Arbeitgeber sie vor der Umsetzungsmaßnahme vorsorglich hätte beteiligen müssen.
 
Das Arbeitsgericht gab ihr recht. Seiner Auffassung nach muss der Schutz schwerbehinderter Menschen schon dann gewährleistet werden, wenn ein Antrag auf Gleichstellung vorliegt und der Arbeitgeber das weiß. Ansonsten sei das Arbeitsverhältnis gefährdet, da der Arbeitgeber ungehindert Maßnahmen durchsetzen könne, ohne die Schwerbehindertenvertretung beteiligen zu müssen.
 

Bundesarbeitsgericht: keine vorsorgliche Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg und schließlich auch das Bundesarbeitsgericht entschieden jedoch anders. Nach ihrer Auffassung muss der Arbeitgeber erst dann die Schwerbehindertenvertretung beteiligen, wenn der Gleichstellungsbescheid vorliegt.
 
Das ergebe sich aus der gesetzlichen Regelung, nach der der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung nur beteiligen müsse, wenn die Belange von Schwerbehinderten betroffen seien. Wenn der Gesetzgeber gewollt hätte, dass der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung auch dann heranziehen müsse., wenn der Status des Beschäftigten noch nicht geklärt ist, hätte er das ausdrücklich anordnen müssen. Das sei aber nicht der Fall.
Der Antrag der Schwerbehindertenvertretung wurde daher zurückgewiesen.
 
Hier gehts zur Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts
 
Lesen Sie hierzu auch:
Krankheitsbedingte Kündigung kein Grund für Gleichstellung - DGB Rechtsschutz GmbH
Anspruch auf Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen trotz sicheren Arbeitsplatzes - DGB Rechtsschutz GmbH
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Das sagen wir dazu:

Diese Entscheidung zeigt, dass der Schutz behinderter Menschen in Deutschland nach wie vor lückenhaft ist.

Nach der EU-Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung von Behinderten müssen die nationalen Gesetzgeber geeignete Maßnahmen treffen, um eine Eingliederung behinderter Menschen zu gewährleisten.

EU-Richtlinie nicht ausreichend umgesetzt

Der deutsche Gesetzgeber behauptet, dass er dieser Verpflichtung durch die gesetzlichen Regelungen im SGB IX nachgekommen sei. Allerdings werden durch diese Regeln nahezu ausschließlich schwerbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von 50 oder mehr geschützt, da nur in diesem Fall das Integrationsamt und die Schwerbehindertenvertretung für sie zuständig ist.

Einen objektiven Grund, warum Behinderte mit einen Grad der Behinderung von weniger als 50 weniger schutzbedürftig sein sollen, gibt es nicht. Die EU-Richtlinie und auch das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13. Dezember 2006 (UN-BRK) wollen die Integration aller behinderten Menschen fördern, nicht nur die der Schwerbehinderten.

Natürlich können Betroffene einen Antrag auf Gleichstellung bei der zuständigen Bundesagentur stellen, aber dies hilft den Betroffenen nur bedingt weiter: Zum einen ist das kein Selbstläufer, weil die Bundesagentur für Arbeit eigene Kriterien für eine Anerkennung aufstellt, die in vielen Fällen nicht erfüllt werden. Zum anderen zeigt der oben stehende Fall, dass es durchaus eine Weile dauern kann, bis die Bundesagentur darüber entscheidet. Bis dahin ist der  Arbeitnehmer schutzlos.

Abgesehen davon stellt sich die Frage, warum dann der Gesetzgeber die rückwirkende Wirkung von Gleichstellungsbescheiden angeordnet hat. Wenn das Bundesarbeitsgericht recht hätte, würde diese Vorschrift ins Leere laufen. Es bleibt abzuwarten, ob und wie sich das Bundesarbeitsgericht damit in seinen Entscheidungsgründen auseinandersetzen wird.

Rechtliche Grundlagen

SGB IX

§ 178 Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung
(1) Die Schwerbehindertenvertretung fördert die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den Betrieb oder die Dienststelle, vertritt ihre Interessen in dem Betrieb oder der Dienststelle und steht ihnen beratend und helfend zur Seite. Sie erfüllt ihre Aufgaben insbesondere dadurch, dass sie
1.
darüber wacht, dass die zugunsten schwerbehinderter Menschen geltenden Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen und Verwaltungsanordnungen durchgeführt, insbesondere auch die dem Arbeitgeber nach den §§ 154, 155 und 164 bis 167 obliegenden Verpflichtungen erfüllt werden,
2.
Maßnahmen, die den schwerbehinderten Menschen dienen, insbesondere auch präventive Maßnahmen, bei den zuständigen Stellen beantragt,
3.
Anregungen und Beschwerden von schwerbehinderten Menschen entgegennimmt und, falls sie berechtigt erscheinen, durch Verhandlung mit dem Arbeitgeber auf eine Erledigung hinwirkt; sie unterrichtet die schwerbehinderten Menschen über den Stand und das Ergebnis der Verhandlungen.Die Schwerbehindertenvertretung unterstützt Beschäftigte auch bei Anträgen an die nach § 152 Absatz 1 zuständigen Behörden auf Feststellung einer Behinderung, ihres Grades und einer Schwerbehinderung sowie bei Anträgen auf Gleichstellung an die Agentur für Arbeit. In Betrieben und Dienststellen mit in der Regel mehr als 100 beschäftigten schwerbehinderten Menschen kann sie nach Unterrichtung des Arbeitgebers das mit der höchsten Stimmenzahl gewählte stellvertretende Mitglied zu bestimmten Aufgaben heranziehen. Ab jeweils 100 weiteren beschäftigten schwerbehinderten Menschen kann jeweils auch das mit der nächsthöheren Stimmenzahl gewählte Mitglied herangezogen werden. Die Heranziehung zu bestimmten Aufgaben schließt die Abstimmung untereinander ein.
(2) Der Arbeitgeber hat die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Die Durchführung oder Vollziehung einer ohne Beteiligung nach Satz 1 getroffenen Entscheidung ist auszusetzen, die Beteiligung ist innerhalb von sieben Tagen nachzuholen; sodann ist endgültig zu entscheiden. Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung nach Satz 1 ausspricht, ist unwirksam. Die Schwerbehindertenvertretung hat das Recht auf Beteiligung am Verfahren nach § 164 Absatz 1 und beim Vorliegen von Vermittlungsvorschlägen der Bundesagentur für Arbeit nach § 164 Absatz 1 oder von Bewerbungen schwerbehinderter Menschen das Recht auf Einsicht in die entscheidungsrelevanten Teile der Bewerbungsunterlagen und Teilnahme an Vorstellungsgesprächen.
(3) Der schwerbehinderte Mensch hat das Recht, bei Einsicht in die über ihn geführte Personalakte oder ihn betreffende Daten des Arbeitgebers die Schwerbehindertenvertretung hinzuzuziehen. Die Schwerbehindertenvertretung bewahrt über den Inhalt der Daten Stillschweigen, soweit sie der schwerbehinderte Mensch nicht von dieser Verpflichtung entbunden hat.
(4) Die Schwerbehindertenvertretung hat das Recht, an allen Sitzungen des Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- oder Präsidialrates und deren Ausschüssen sowie des Arbeitsschutzausschusses beratend teilzunehmen; sie kann beantragen, Angelegenheiten, die einzelne oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe besonders betreffen, auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung zu setzen. Erachtet sie einen Beschluss des Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- oder Präsidialrates als eine erhebliche Beeinträchtigung wichtiger Interessen schwerbehinderter Menschen oder ist sie entgegen Absatz 2 Satz 1 nicht beteiligt worden, wird auf ihren Antrag der Beschluss für die Dauer von einer Woche vom Zeitpunkt der Beschlussfassung an ausgesetzt; die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes und des Personalvertretungsrechts über die Aussetzung von Beschlüssen gelten entsprechend. Durch die Aussetzung wird eine Frist nicht verlängert. In den Fällen des § 21e Absatz 1 und 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes ist die Schwerbehindertenvertretung, außer in Eilfällen, auf Antrag einer betroffenen schwerbehinderten Richterin oder eines schwerbehinderten Richters vor dem Präsidium des Gerichtes zu hören.
(5) Die Schwerbehindertenvertretung wird zu Besprechungen nach § 74 Absatz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes, § 66 Absatz 1 des Bundespersonalvertretungsgesetzes sowie den entsprechenden Vorschriften des sonstigen Personalvertretungsrechts zwischen dem Arbeitgeber und den in Absatz 4 genannten Vertretungen hinzugezogen.
(6) Die Schwerbehindertenvertretung hat das Recht, mindestens einmal im Kalenderjahr eine Versammlung schwerbehinderter Menschen im Betrieb oder in der Dienststelle durchzuführen. Die für Betriebs- und Personalversammlungen geltenden Vorschriften finden entsprechende Anwendung.
(7) Sind in einer Angelegenheit sowohl die Schwerbehindertenvertretung der Richter und Richterinnen als auch die Schwerbehindertenvertretung der übrigen Bediensteten beteiligt, so handeln sie gemeinsam.
(8) Die Schwerbehindertenvertretung kann an Betriebs- und Personalversammlungen in Betrieben und Dienststellen teilnehmen, für die sie als Schwerbehindertenvertretung zuständig ist, und hat dort ein Rederecht, auch wenn die Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung nicht Angehörige des Betriebes oder der Dienststelle sind.


§ 151 Geltungsbereich
(1) Die Regelungen dieses Teils gelten für schwerbehinderte und diesen gleichgestellte behinderte Menschen.
(2) Die Gleichstellung behinderter Menschen mit schwerbehinderten Menschen (§ 2 Absatz 3) erfolgt auf Grund einer Feststellung nach § 152 auf Antrag des behinderten Menschen durch die Bundesagentur für Arbeit. Die Gleichstellung wird mit dem Tag des Eingangs des Antrags wirksam. Sie kann befristet werden.
(3) Auf gleichgestellte behinderte Menschen werden die besonderen Regelungen für schwerbehinderte Menschen mit Ausnahme des § 208 und des Kapitels 13 angewendet.
(4) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind auch behinderte Jugendliche und junge Erwachsene (§ 2 Absatz 1) während der Zeit ihrer Berufsausbildung in Betrieben und Dienststellen oder einer beruflichen Orientierung, auch wenn der Grad der Behinderung weniger als 30 beträgt oder ein Grad der Behinderung nicht festgestellt ist. Der Nachweis der Behinderung wird durch eine Stellungnahme der Agentur für Arbeit oder durch einen Bescheid über Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht. Die Gleichstellung gilt nur für Leistungen des Integrationsamtes im Rahmen der beruflichen Orientierung und der Berufsausbildung im Sinne des § 185 Absatz 3 Nummer 2 Buchstabe c.