Für den Weg des technischen Assistenten durch die Produktionshalle waren unter anderem auch spezielle Arbeitsschuhe vorgeschrieben. © Adobe Stock: Rawf8
Für den Weg des technischen Assistenten durch die Produktionshalle waren unter anderem auch spezielle Arbeitsschuhe vorgeschrieben. © Adobe Stock: Rawf8

Seinen Antrag hatte der Versicherte bei der Rentenversicherung eingereicht. Diese befand sich auch für zuständig und müsse nun, so das Sozialgericht, umfassend unter Prüfung aller in Betracht kommenden Rechtsvorschriften entscheiden und zwar sowohl unter Berücksichtigung der Vorschriften des Sozialgesetzbuches IX (SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung) als auch derjenigen des Sozialgesetzbuches VI (SGB IV – Recht der gesetzlichen Rentenversicherung).

 

Die Rentenversicherung lehnte ab

 

Der Kläger leide unter vielfältigen orthopädischen Beschwerden und könne nur noch Arbeiten überwiegend im Sitzen verrichten, heißt es im ablehnenden Bescheid. Sein Arzt habe ihm zwar bescheinigt, dass er aus medizinischer Sicht dringend Einlagen in den Arbeitsschuhen benötige. Seine Erwerbsfähigkeit als technischer Assistent sei jedoch nicht gefährdet. Der Arbeitgeber habe die Pflicht, ihm ein Schuhwerk bzw. Einlagen zur Verfügung zu stellen, die seinen gesundheitlichen Erfordernissen entsprächen. Das ergebe sich aus der Verordnung über das Tragen einer persönlichen Schutzausrüstung.

 

Der Mann wollte sich damit nicht abfinden. Die Jurist*innen vom Rechtsschutzbüro Bad Kreuznach erhoben Klage beim Sozialgericht Mainz. Das Gericht gab ein Gutachten in Auftrag. Der gerichtliche Sachverständige bestätigte die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers und stellte fest, dass lediglich ergonomische Einlagen unzureichend seien. Er hielt die Verordnung maßangefertigter Einlagen für zwingend erforderlich.

 

Die Beklagte schloss sich dem Gutachten nicht an

 

Die Rentenversicherung blieb dabei, dass der Arbeitgeber leistungspflichtig sei. Das Gericht musste entscheiden. Eine vorrangige Leistungspflicht des Arbeitgebers bestehe nicht, heißt es im Urteil.

 

Die Beklagte erbringe Leistungen nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VI.

 

Das sind Leistungen zur Prävention, zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben, zur Nachsorge und sie ergänzende Leistungen, um

 

1.    den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten vorzubeugen, entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und

 

2.    dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern.

 

Diese Voraussetzungen erfülle der Kläger, so das Gericht.

 

Die Behinderung muss sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken

 

Bei der Erwerbsfähigkeit komme es auf die Fähigkeit an, den bisherigen Beruf oder die bisherige Tätigkeit weiter ausüben zu können. Die Erwerbsfähigkeit sei gefährdet, wenn aufgrund einer Krankheit oder Behinderung die Gefahr einer Minderung der Erwerbsfähigkeit bestehe.

 

Jedwede krankheits- oder behinderungsbedingte Gefährdung der Erwerbsfähigkeit genüge allerdings nicht, um einen Anspruch auf eine Teilhabeleistung zu begründen. Die Gefährdung müsse erheblich und damit so schwer sein, dass mit dem Eintritt einer Minderung der Erwerbsfähigkeit gerechnet werden müsse. Gleiches gelte, wenn eine Verschlechterung drohe, die zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit führe.

 

Diese Gefahr dürfe sich nicht erst in unbestimmter Zukunft realisieren, sondern müsse in absehbarer Zeit bevorstehen. Ferner dürfe die Erkrankung nicht nur vorübergehend sein, sondern es müsse aufgrund des Krankheitsbildes eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von gewisser Dauer drohen, die insbesondere nicht durch ambulante ärztliche oder Krankenhausbehandlung abwendbar sein dürfe.

 

Der Kläger arbeitete zu 30 Prozent in einer Produktionshalle

 

Der Kläger habe den Beruf des Betriebsschlosses erlernt und ein Studium der Wirtschaftstechnik abgeschlossen. Er sei als technischer Angestellter beschäftigt. Seine Arbeit erbringe er vornehmlich zu ca. 70 Prozent am Schreibtisch in sitzender Position in einem in der Produktionshalle gelegenen Büro und zu ca. 30 Prozent in der Produktionshalle, in der die Pflicht bestehe Arbeitssicherheitsschuhe zu tragen.

 

Bei ihm liege eine nicht nur vorübergehende Erkrankung vor. Das habe der Gutachter bestätigt. Bei weiter bestehender Fehlbelastung im Rahmen des Arbeitsprozesses verschlimmere sich demzufolge die Beschwerdesymptomatik. Erschwerend komme ein erhebliches Übergewicht des Klägers hinzu, welches ein Fortschreiten der Erkrankung beschleunige und unter Zugrundelegung des Lebensalters des Klägers regelmäßig nicht spontan vermindert werden könne.

 

Dass nach den Ausführungen des Sachverständigen die Beschwerdesymptomatik und damit die Gefährdung der Erwerbsfähigkeit insbesondere wegen des Gewichts des Klägers bestehe, führe nicht zu einer Ablehnung des Anspruchs, da dem Gewicht in dieser Höhe auch Krankheitswert beizumessen sei. So habe es das Bundessozialgericht in einem ähnlichen Fall bereits entschieden.

 

Das Gesetz regelt den Begriff des Hilfsmittels einheitlich

 

Bei den vom Kläger begehrten Einlagen handele es sich um ein Hilfsmittel. Nach der für alle Sozialversicherungsbereiche allgemein geltenden gesetzlichen Definition (§ 47 Abs. 1 SGB IX) sei ein Hilfsmittel anzunehmen, wenn dies von Leistungsempfänger*innen getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden könne.

 

Hilfsmittel müssten erforderlich sein, um

 

1.    einer drohenden Behinderung vorzubeugen,

2.    den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder

3.    eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen, soweit sie keine allgemeinen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens seien.

 

Entscheidend sei, ob das Mittel im Einzelfall der kranken oder behinderten Person dadurch zugutekomme, dass die Auswirkungen ihrer Krankheit oder Behinderung behoben oder gemildert werde.

 

Das Hilfsmittel soll die Behinderung ausgleichen

 

Die vom Kläger begehrten Einlagen führten zu einem unmittelbaren Behinderungsausgleich. Auf dem Gebiet der medizinischen Rehabilitation durch die Rentenversicherung stelle es auch ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens dar, eine Erwerbstätigkeit auszuüben.

 

 

Der unmittelbare Behinderungsausgleich erfolge beim Kläger dadurch, dass ihm orthopädisch angepasste Bettungseinlagen zur Verfügung gestellt würden, die die „Behinderung", also die dauerhaft regelwidrige Körperfunktion von Seiten der Füße des Klägers ausglichen. Allein orthopädische Maßbettungseinlagen können abgestimmt auf die aufwendige Anatomie des Fußes die bestehenden Schmerzen beim Gehen und Stehen verringern und eine weitere Verschlechterung verhindern.

 

Eine vorrangige Verpflichtung des Arbeitgebers auf Gewährung von individuell angefertigten Einlagen bestehe nicht. Es sei zwar grundsätzlich richtig, dass die gesetzliche Rentenversicherung nicht die Aufgabe habe, eine mangelnde ergonomische Grundausstattung des Arbeitsplatzes durch den Arbeitgeber auszugleichen, denn aus den staatlichen Arbeitsschutzvorschriften ergäben sich an den Arbeitgeber gerichtete Handlungsanleitungen für die sicherheitstechnischen und ergonomischen Anforderungen der Arbeitsplätze.

 

Persönliche Beeinträchtigung des Klägers macht Hilfsmittel notwendig

 

Die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte persönliche Schutzausstattung müsse den ergonomischen Anforderungen und den gesundheitlichen Erfordernissen der Beschäftigten entsprechen.

 

Die gesundheitliche Gefährdung des Klägers liege aber in dessen persönlichen Verhältnissen, nämlich dessen Behinderung. Daher sei es Aufgabe der Beklagten als Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, ihm die gewünschten Einlagen zur Verfügung zu stellen.

 

Hier geht es zum Urteil des Sozialgerichts Mainz.

 

Rechtliche Grundlagen

§ 47 Abs. 1 SGB IX

§ 47 Hilfsmittel

(1) Hilfsmittel (Körperersatzstücke sowie orthopädische und andere Hilfsmittel) nach § 42 Absatz 2 Nummer 6 umfassen die Hilfen, die von den Leistungsberechtigten getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles erforderlich sind, um
1. einer drohenden Behinderung vorzubeugen,
2. den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder
3. eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind.

(2) …