Das Bundessozialgericht hat zwei Klagen um die Rente mit 63 abgewiesen, weil die Kläger nicht die erforderlichen 45 Beitragsjahre erfüllt hatten.

Fall 1: Wenn Insolvenz droht

Im ersten Fall war der Kläger zu Ende Januar 2014 gekündigt worden, weil die Arbeitgeberin in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Sie begründete die Kündigung mit einer Kostensenkungsmaßnahme, die die seinerzeit drohende Insolvenz abwenden sollte.

Die Maßnahme war im Ergebnis erfolglos, die Arbeitgeberin musste zwei Monate nach Ablauf der Kündigungsfrist Insolvenz anmelden.

Der Kläger erhielt nach Ende des Arbeitsverhältnisses von Februar bis August 2014 Arbeitslosengeld und beantragte dann eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte („Rente mit 63“) ab September 2014.

Diese wurde abgelehnt, weil er die erforderliche Anzahl von 540 Beitragsmonaten (45 Jahre) nicht aufgewiesen habe. Die Beitragsmonate von Februar bis August 2014 seien nach den gesetzlichen Vorgaben nicht auf die 45-jährige Wartezeit anzurechnen.

Aufhebungsvertrag führt zu Arbeitslosigkeit

Im zweiten Verfahren war der Kläger als Verkäufer beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund eines Aufhebungsvertrages vom Jahresende 2011 mit einer Abfindungszahlung von 45.000 Euro. Im Jahre 2012 bezog der Kläger Arbeitslosengeld.

Den Antrag auf eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte lehnte die Rentenversicherung ab. Das Versicherungskonto des Klägers enthalte statt der erforderlichen 540 Monate bis zum Stichtag nur 525 Beitragsmonate.

Beide Kläger hatten weder vor dem Sozial- noch vor dem Landessozialgericht Erfolg. Die Gerichte lehnten die Klagen jeweils mit der Begründung ab, dass nach dem Gesetz die Zeiten des Bezuges von Arbeitslosengeld in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nur berücksichtigt werden könnten, wenn sie durch eine Insolvenz oder eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt seien.

Arbeitslosigkeit muss durch Insolvenzverfahren bedingt sein

Auch vor dem Bundessozialgericht blieben die Kläger erfolglos. In beiden Fällen sei die erforderliche Wartezeit von 45 Jahren nicht erfüllt, da die Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht mitzuzählen seien.

Insbesondere liege kein Fall der Insolvenz vor. Dieser sei so zu interpretieren, dass „die Beendigung der Beschäftigung als Ergebnis einer verfahrensrechtlich durch die Insolvenzordnung gelenkten Tätigkeit darstellt“.

Es reiche also nicht, wenn die Kündigung, wie im ersten Fall, zur Abwehr eines solchen Verfahrens erfolge. Erst Recht könne eine Beendigung aus sonstigen Gründen, wie im zweiten Fall, den Ausnahmefall nicht begründen.

Die Vorschrift dürfe nämlich nicht so verstanden werden, dass jede unfreiwillige und unverschuldete Beendigung der Beschäftigung ausreicht, um die Zeit der Arbeitslosigkeit anrechenbar zu machen. Denn als Ausnahmevorschrift sei die Regelung eng auszulegen.

Keine verfassungsrechtlichen Bedenken

Auch verfassungsrechtliche Bedenken lies das Bundessozialgericht nicht durchgreifen. Insbesondere liege kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot vor. Dem Gesetzgeber habe es frei gestanden, den verfrühten Rentenbezug an Bedingungen zu knüpfen, also habe er auch bei der Einschränkung einen Gestaltungsspielraum.

Die Einschränkung, wonach Zeiten der Arbeitslosigkeit im Zeitraum von zwei Jahren vor rentenbeginn nicht zählen sollen, entspringe dem legitimen Zweck, missbräuchliche Frühverrentung zu verhindern.

Deshalb sei es ebenso legitim, diejenigen zu begünstigen, die aufgrund einer Insolvenz oder vollständigen Geschäftsaufgabe zwei Jahre vor Rentenbeginn Arbeitslosengeld beziehen. Denn nur in diesen Fällen verliere der Arbeitgeber die unkontrollierte Verfügungsbefugnis über seinen Betrieb, so dass ein Rechtsmissbrauch ausgeschlossen sei.

Daher sei nicht jede betriebsbedingte Kündigung zur Vermeidung der Insolvenz unter die Vorschrift zu fassen, erst recht nicht eine freiwillige Beendigung durch einen Aufhebungsvertrag.

Hier direkt zu den Terminsberichten des Bundessozialgerichts zu den Urteilen vom 17.08.2017 - B 5 R 8/16 R, B 5 R 16/16 R,

Lesen Sie auch unsere Beiträge

Einschränkungen bei der neuen "Rente mit 63" rechtmäßig?

Rente mit 63: Ausnahme verfassungswidrig? - Ratgeber für Betroffene

Kein Wechsel in abschlagsfreie Rente mit 63 für Bestandsrentner

Das sagen wir dazu:

Die „Rente mit 63“ sollte keine „Rente mit 61“ zu Lasten der Arbeitslosenversicherung werden. Das Kalkül: Die Arbeitsvertragsparteien schließen einen Aufhebungsvertrag oder der Arbeitgeber kündigt, wenn der Arbeitnehmer zwei Jahre vor der Rente steht. Er kann diese beiden Jahre mit Arbeitslosengeld überbrücken, die Differenz zum Arbeitslohn wird durch die Abfindung ausgeglichen.

Gesetzgeber wollte Missbrauch verhindern

Einem solchen Konstrukt wollte der Gesetzgeber den Riegel vorschieben und zur Vermeidung von Missbrauch nur solche Zeiten der Arbeitslosigkeit vor Rentenbeginn gewertet, die durch Insolvenz oder Geschäftsaufgabe verursacht sind.

 

Vor diesem Hintergrund hat das Bundessozialgericht im Ergebnis wohl zu Recht die beiden Klagen abgewiesen. Insbesondere der zweite Fall, in dem der Arbeitnehmer eine hohe Abfindung erhalten hatte, gab es keinen Bezug zur gesetzgeberischen Wertung.

 

Aber wie ist der Fall zu werten, wenn nicht das Unternehmen, sondern nur ein einzelner Standort aufgegeben wird? Für den Betroffenen macht es faktisch keinen Unterschied, ob sein Betrieb ein Einzelunternehmen oder eine Filiale ist. In der rentenrechtlichen Bewertung hätte er in dem einen Fall Anspruch auf Rente mit 63, in dem anderen nicht.

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen

Auch bei Kündigung aufgrund von Krankheit würden Arbeitslosenzeiten nicht anerkannt, nicht einmal, wenn beide Parteien sich darüber einig sind, dass das Arbeitsverhältnis nicht mehr sinnvoll fortgeführt werden kann.

 

Vieles spricht also dafür, dass es zwischen dem Missbrauch der „Rente mit 63“ und den Einschränkungen, die der Gesetzgeber vorgenommen hat, einen erheblichen Bereich von Fällen gibt, in denen den Betroffenen eine „Rente mit 63“ zustehen müsste.

 

Bastian Brackelmann, der im Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und europäisches Recht für die DGB Rechtsschutz GmbH einige dieser Fälle betreut, ist guter Dinge, die Rechtsprechung an dieser Stelle noch im Sinne der Versicherten beeinflussen zu können. Das letzte Wort ist mit den nun ergangenen Urteilen noch nicht gesprochen.

Rechtliche Grundlagen

§ 51 SGB VI

§ 51 Anrechenbare Zeiten
[...]
(3a) Auf die Wartezeit von 45 Jahren werden Kalendermonate angerechnet mit
1. Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit,
2. Berücksichtigungszeiten,
3. Zeiten des Bezugs von
a) Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung,
[...]
soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind; dabei werden Zeiten nach Buchstabe a in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt[...].