Nicht jedes Reha-Verfahren bringt den gewünschten Erfolg. © Adobe Stock: DC Studio
Nicht jedes Reha-Verfahren bringt den gewünschten Erfolg. © Adobe Stock: DC Studio

Silke Müller-Thönißen aus dem Büro Koblenz vertrat den 58-jährigen Kläger vor dem Sozialgericht Koblenz. Er hatte Anfang 2018 einen schweren Herzinfarkt erlitten und zunächst Krankengeld, später Übergangsgeld, Arbeitslosengeld und dann wieder Krankengeld bezogen.

 

Der Kläger nahm an insgesamt zwei Heilverfahren teil. Eines fand Anfang 2018 nach einem Reha-Antrag des Klägers vom Januar 2018 statt. Im Dezember 2018 trat der Kläger ein weiteres Heilverfahren an, welches bis in den Januar 2019 andauerte. Im Februar 2019 beantragte der Kläger die Rente wegen voller Erwerbsminderung.

 

Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) deutete den ersten Reha-Antrag des Klägers vom Januar 2018 in einen Rentenantrag um und bewilligte dem Mann Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit aufgrund eines Leistungsfalls vom Januar 2018, also dem Zeitpunkt seines ersten Reha-Antrages.

 

Die Einschränkung des Gestaltungsrechts

 

Der Kläger wollte demgegenüber erreichen, seine Rente unter Zugrundelegung des Antrags vom Februar 2019 zu erhalten. Finanziell wäre er damit besser gestellt gewesen, denn die bezogenen Sozialleistungen waren höher als die Rente.

 

Die Krankenkasse stimmte der gewünschten Verlegung des Rentenbeginns nicht zu. Sie wies darauf hin, dass sie das Gestaltungsrecht des Klägers hinsichtlich des Rentenbeginns schon ab September 2018 eingeschränkt habe. Damals hatte die Kasse dem Kläger schriftlich mitgeteilt, er dürfe Entscheidungen bezüglich seines Rentenantrages nur noch mit Zustimmung der Krankenkasse treffen.

 

Auch die Rentenversicherung blieb bei dem ursprünglich festgelegten Rentenbeginn. Der Mann aus Koblenz erhob Klage. Ihm gelang die gewünschte Verschiebung des Leistungsfalls und Rentenbeginns auch gegen den Willen der Krankenkasse.

 

 

Der Reha-Antrag kann in einen Rentenantrag umgedeutet werden

 

Nach dem Gesetz gilt der Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben als Antrag auf Rente, wenn Versicherte vermindert erwerbsfähig sind und

 

·        ein Erfolg von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erwarten ist oder

·        Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht erfolgreich gewesen sind, weil sie die verminderte Erwerbsfähigkeit nicht verhindert haben.

 

Das Sozialgericht schreibt dazu im Urteil, die Krankenkasse dürfe Versicherten, deren Erwerbsfähigkeit nach ärztlichem Gutachten erheblich gefährdet oder gemindert sei, eine Frist von zehn Wochen setzen, innerhalb derer sie einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben stellen müssten.

                                                                    

Dies führe zu einer Einschränkung des Dispositionsrechts von Versicherten hinsichtlich der Stellung des Rentenantrages. Betroffene könnten ihr Recht, über den Beginn ihrer Rente selbständig zu entscheiden, dann nur noch mit Zustimmung der Krankenkasse ausüben.

 

Das Datum des Reha-Antrages ist maßgeblich

 

Eine dementsprechende Einschränkung des Gestaltungsrechts habe die Krankenkasse gegenüber dem Kläger im September 2018 ausgesprochen. Damals habe der Kläger ein erstes Heilverfahren aber schon abgeschlossen gehabt.

 

Schränke die Kasse das Gestaltungsrecht ab September 2018 ein, könne das für den davorliegenden, ersten Reha-Antrag und das anschließende Reha-Verfahren keine Auswirkungen mehr haben.

 

Etwas anderes gelte für das Heilverfahren, welches der Kläger im Dezember 2018 angetreten habe. Zu diesem Zeitpunkt habe die Krankenkasse bereits die Einschränkung des Gestaltungsrechts erklärt gehabt. Aus dem zweiten Heilverfahren sei der Kläger auch erwerbsgemindert entlassen worden. Das Heilverfahren hatte darüber hinaus nicht den gewünschten Erfolg gehabt.

 

Der zweite Reha-Antrag gilt

 

Dieser zweite Antrag auf Durchführung einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation gelte als Antrag auf die Gewährung einer Rente. Da das Gestaltungsrecht des Klägers durch die Krankenkasse zu diesem Zeitpunkt bereits eingeschränkt gewesen sei, gelte die Antragstellung für diese zweite medizinische Rehabilitation als maßgebliches Antragsdatum für den Rentenantrag.

 

Davon könne der Kläger nicht abweichen, denn die Krankenkasse habe der Verschiebung des Antragsdatums nicht zugestimmt. Maßgebliches Antragsdatum bleibe damit der zweite Reha-Antrag, nicht jedoch - wie von der Krankenkasse ursprünglich angenommen - der erste Antrag und auch nicht der förmliche Rentenantrag des Klägers vom Februar 2019.

 

Ein weiteres Urteil gibt es aus Neuruppin

 

Am 16. Dezember 2021 hat auch das Sozialgericht Neuruppin zum Gestaltungsrecht entschieden.

Danach muss die Krankenkasse ihre Zustimmung am Hinausschieben eines Rentenbeginns nur dann erteilen, wenn Versicherte ausnahmsweise ein berechtigtes Interesse hieran haben. Allein die Minderung der Rente nach den Vorschriften über den Zugangsfaktor stelle keinen gewichtigen Grund zugunsten der Versicherten dar, so das Sozialgericht.

Hier geht es zum Urteil des Sozialgerichts Koblenz

Hier geht es zum Urteil des Sozialgerichts Neuruppin

Das sagen wir dazu:

Der Fall aus Koblenz zeigt, dass der zeitliche Ablauf verschiedener Anträge wichtig ist. Daher unser Tipp, im Fall eines Streites mit der Krankenkasse oder auch dem Rentenversicherungsträger zur Frage des Beginns eines eingeschränkten Gestaltungsrechts immer genau die einzelnen Daten zu prüfen.

 

Hat die Krankenkasse gegenüber einem*er Versicherten erst nach Abschluss eines Heilverfahrens das Gestaltungsrecht eingeschränkt, kann der Reha-Antrag nicht in einen Rentenantrag umgedeutet werden.

 

Gleiches muss aber auch gelten, wenn ein (erstes) Reha-Verfahren mit einer ärztlich bestätigten Leistungsbeurteilung endet, die auf eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit (noch) nicht schließen lässt. Ein Reha-Antrag ist in einen Renten-Antrag nur dann umzudeuten, wenn das Heilverfahren oder die Maßnahme zur Teilhabe erfolglos beendet wurden und die Leistungsbeeinträchtigung fortbesteht.

 

 

Rechtliche Grundlagen

§ 116 SGB VI; § 51 SGB V

§ 116 SGB VI Besonderheiten bei Leistungen zur Teilhabe
(1) (weggefallen)
(2) Der Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben gilt als Antrag auf Rente, wenn Versicherte vermindert erwerbsfähig sind und
1. ein Erfolg von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erwarten ist oder
2. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht erfolgreich gewesen sind, weil sie die verminderte Erwerbsfähigkeit nicht verhindert haben.
(3) Ist Übergangsgeld gezahlt worden und wird nachträglich für denselben Zeitraum der Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit festgestellt, gilt dieser Anspruch bis zur Höhe des gezahlten Übergangsgeldes als erfüllt. Übersteigt das Übergangsgeld den Betrag der Rente, kann der übersteigende Betrag nicht zurückgefordert werden.

§ 51 Wegfall des Krankengeldes, Antrag auf Leistungen zur Teilhabe
(1) Versicherten, deren Erwerbsfähigkeit nach ärztlichem Gutachten erheblich gefährdet oder gemindert ist, kann die Krankenkasse eine Frist von zehn Wochen setzen, innerhalb der sie einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen haben. Haben diese Versicherten ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland, kann ihnen die Krankenkasse eine Frist von zehn Wochen setzen, innerhalb der sie entweder einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben bei einem Leistungsträger mit Sitz im Inland oder einen Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bei einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung mit Sitz im Inland zu stellen haben.
(1a) Beziehen Versicherte eine Teilrente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung und ist absehbar, dass die Hinzuverdienstgrenze nach § 34 Absatz 2 des Sechsten Buches nicht überschritten wird, so kann die Krankenkasse eine Frist von vier Wochen setzen, innerhalb derer die Versicherten einen Antrag nach § 34 Absatz 3e des Sechsten Buches zu stellen haben.
(2) Erfüllen Versicherte die Voraussetzungen für den Bezug der Regelaltersrente der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Alterssicherung der Landwirte mit Erreichen der Regelaltersgrenze, kann ihnen die Krankenkasse eine Frist von zehn Wochen setzen, innerhalb der sie den Antrag auf diese Leistung zu stellen haben.
(3) Stellen Versicherte innerhalb der Frist den Antrag nicht, entfällt der Anspruch auf Krankengeld mit Ablauf der Frist. Wird der Antrag später gestellt, lebt der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tag der Antragstellung wieder auf. Ergibt sich im Falle des Absatzes 1a, dass die Hinzuverdienstgrenze nach Feststellung des Rentenversicherungsträgers überschritten wird, besteht abweichend von Satz 1 rückwirkend ein Anspruch auf Krankengeld ab Ablauf der Frist.