Frisöre arbeiten überwiegend im Stehen. Geht das nicht mehr, bleibt der Arbeitsplatz erst einmal leer. Copyright by Adobe Stock/marog-pixcells
Frisöre arbeiten überwiegend im Stehen. Geht das nicht mehr, bleibt der Arbeitsplatz erst einmal leer. Copyright by Adobe Stock/marog-pixcells

Bis zum Landessozialgericht musste sich die Klägerin durchkämpfen. Erst da bekam sie Recht. Und auch dort war ihre Krankenkasse immer noch nicht einsichtig. Es ging um Krankengeld für etwa ein halbes Jahr. Das wollte die Kasse nicht zahlen, obwohl die Gerichtsgutachten eindeutig für die Klägerin sprachen. So dauerte es drei Jahre, bis die Frau ihr Geld erhielt. Nicht gerade eine Ruhmesgeschichte für ihren Versicherungsträger.
 

Was war geschehen?

Als Frisörin arbeitete die Klägerin überwiegend im Stehen. Das konnte sie schon 2017 wegen Beschwerden in den Kniegelenken nicht mehr. Ihr Arzt schrieb sie krank. Neben der Erkrankung der Kniegelenke litt die Klägerin an Depressionen.
 
Anfang 2018 bewilligte die Rentenversicherung ihr ein Heilverfahren zur medizinischen Rehabilitation. Im dortigen Abschlussbericht heißt es, die Klägerin könne ihre Tätigkeit als Friseurin nicht mehr ausüben. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien ihr leichte bis mittelschwere Arbeiten zeitweise im Stehen, überwiegend im Gehen und überwiegend in Sitzen in Wechselschicht vollschichtig möglich. Den Beruf als Frisörin könne sie nicht mehr ausüben.
 

Eine wundersame Heilung?

Nach dem Heilverfahren bestand weiter Arbeitsunfähigkeit, wobei der behandelnde Arzt in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen die Diagnose einer Depression aufführte. Die Klägerin begann eine psychotherapeutische Behandlung.
 
Die Rentenversicherung hatte zwischenzeitlich zugesagt, der Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren. Ihren Beruf als Friseurin hatte sie zwischenzeitlich wegen Mobbings am Arbeitsplatz aufgegeben. Die Krankenkasse nahm das zum Anlass, die Krankengeldzahlung einzustellen. Die Klägerin könne ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Friseurin wieder aufnehmen, so die Kasse. Sie begründete diesen Hinweis nicht weiter.
 

Worauf gründete die Entscheidung?

Das DGB Rechtsschutzbüro Koblenz nahm sich nun der Sache an. Für die Prozessbevollmächtigten der Klägerin war nicht nachvollziehbar, von welcher Tätigkeit die Krankenkasse in ihrer Entscheidung ausgegangen war. War es diejenige der Frisörin oder eine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes?
 
Auch die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seitens des Rentenversicherungsträgers waren aus Sicht des DGB Rechtsschutzes kein taugliches Argument für die Beendigung der Arbeitsunfähigkeit.
 
Dennoch beharrte die Krankenversicherung auf ihrer Ansicht. Sie beauftragte ihren medizinischen Dienst mit der Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens. Dieses Gutachten ergab, dass die Klägerin noch vollschichtig mittelschwere leidensgerechte Tätigkeiten verrichten könnte. Auch als Friseurin sei die Klägerin einsetzbar.
 

War alles plötzlich wieder gut?

Der Gutachter bezog sich darauf, dass das Knie operiert sei. Die Nachsorge habe zu einer Stabilisierung des Schadens am Kniegelenk geführt. Die ambulante Psychotherapie, die die Klägerin im Frühjahr 2018 begonnen hatte, habe ihr nach eigenen Angaben "sehr geholfen."
 
Die Kasse wies den Widerspruch zurück. Vor dem Sozialgericht macht die Klägerin insbesondere geltend, ihre psychische Erkrankung sei auf eine Mobbingsituation zurückzuführen und habe keineswegs mit dem Tag der tatsächlichen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses geendet, wie die Krankenkasse zuvor behauptet hatte.
 

Gibt die Kasse immer noch keine Ruhe?

Das Sozialgericht zog die Patientenkartei und die medizinischen Behandlungsunterlagen des Hausarztes der Klägerin bei. Das Gericht befragte außerdem den Therapeuten der Klägerin. Die Unterlagen bestätigten, dass im Vordergrund der Beschwerden der Klägerin die Depressionen standen. Die Klägerin habe Kränkungen durch ihren Arbeitgeber erfahren. Ihr Zustand habe sich zunächst stabilisiert, was jedoch nicht von Dauer gewesen sei.
 
Die Krankenkasse konterte mit zwei weiteren Gutachten ihres medizinischen Dienstes. Das Verfahren dauerte zu diesem Zeitpunkt schon ein Jahr lang. Nach einem weiteren Jahr ging ein vom Sozialgericht in Auftrag gegebenes neurologisch-psychiatrisches Gutachten ein. Der Gerichtsgutachter bestätigte die Schwere der Depressionen.
 

Wer hat hier recht?

Der Gutachter wies darauf hin, dass die Klägerin wegen einer tiefergehenden seelischen Störung nicht einmal körperlich leichte Tätigkeiten verrichten könne. Die Frau leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer Angststörung und sozialen Phobien. Außerdem bestünden mittelgradige Depressionen.
 
Die Kasse zeigte sich noch nicht überzeugt und legte zwei weitere gutachterliche Stellungnahmen Ihres medizinischen Dienstes vor. Diese Gutachten stellten die Diagnose einer anhaltenden posttraumatischen Belastungsstörung infrage. Auch die Depressionen und die Angstzustände der Klägerin bestätigten die Gutachter der Krankenkasse nicht. Bereits zum Zeitpunkt des ersten Gutachtens hätten sich die Beschwerden der Klägerin wesentlich gebessert.
 

Und jetzt auch noch in die Berufung?

Die Argumentation der Krankenkasse überzeugte das Sozialgericht nicht. Es gab der Klage statt. Die Kasse sollte das Krankengeld an die Klägerin zahlen. Zweieinhalb Jahre waren zwischenzeitlich vergangen. Die Krankenkasse blieb weiter stur. Sie ging in Berufung.
 
Nun musste sich auf das Landessozialgericht mit dieser Angelegenheit befassen. Weitere Zeit verstrich. Nun, drei Jahre nach Einstellung der Krankengeldzahlungen hat das Landessozialgericht entschieden.
 

Kann das Landessozialgericht ein Machtwort sprechen?

Nach den medizinischen Feststellungen im Verfahren habe bei der Klägerin auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine tiefgreifende seelische Störung im Sinne einer mittelgradigen depressiven Episode bestanden. Das habe zur Arbeitsunfähigkeit als Friseurin mit Kundenkontakt geführt. Ob und inwiefern zusätzliche Diagnosen vorlägen, spiele keine Rolle.
 
Die Beurteilung der Ärzte des medizinischen Dienstes der Krankenkasse, wonach quasi übergangslos mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Besserung des Gesundheitszustandes der Klägerin eingetreten sei, überzeugte das Gericht nicht.
 

Wäre das nicht auch schneller gegangen?

Auch die Kniegelenkserkrankung habe die Klägerin dauerhaft außerstande gesetzt, ihre Tätigkeit als Friseurin oder eine gleichgeartete Tätigkeit auszuüben. Zwar habe das Reha-Verfahren Anfang 2018 zu einer besseren Belastbarkeit des Kniegelenks geführt. Für die überwiegend im Stehen zu verrichtende Tätigkeit als Friseurin habe die Reha-Klinik jedoch auf Dauer weitere Arbeitsunfähigkeit angenommen.
 
Die Frau hat nun mit Unterstützung des DGB Rechtsschutzes ihr Krankengeld erhalten. Bleibt zu hoffen, dass sie vor drei Jahren genügend finanzielle Mittel oder Unterstützung hatte, um das halbe Jahr zu überstehen, in dem ihr die Kasse rechtswidrig das Krankengeld verweigert hatte.


Hier geht es zum Urteil

Das sagen wir dazu:

Nicht selten dauern sozialgerichtliche Verfahren sehr lang. Weil es dabei oft um finanzielle Leistungen geht, die den Lebensunterhalt sichern sollen, hat das vielfach schlimme Folgen. Wer ist schon in der Lage, ein mehrmonatiges Einkommensloch problemlos zu überbrücken?

Umso schlimmer ist es, wenn sich Sozialversicherungsträger trotz eindeutiger medizinischer Gutachten standhaft weigern, die beantragte Sozialleistung zu gewähren. Leider mahlen auch dann die Mühlen der Gerichtsbarkeit oft langsam.

Das musste auch ein Gebäudereiniger aus Detmold erfahren. Lesen Sie dazu:
Drei schwere Jahre in der Schwebe