Dass die Arztpraxis die AU-Meldung rechtzeitig wegschickt, darauf kann man sich nicht immer verlassen. Copyright by Adobe Stock/Andrey Popov
Dass die Arztpraxis die AU-Meldung rechtzeitig wegschickt, darauf kann man sich nicht immer verlassen. Copyright by Adobe Stock/Andrey Popov

Die Klägerin war Mitglied einer Innungskrankenkasse. Sie erkrankte arbeitsunfähig. Ihr behandelnder Arzt, der auch die Arbeitsunfähigkeit feststellte, sammelte die von ihm ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU-Bescheinigungen) seiner Patienten. Jeweils am Ende eines Monats schickte er sie an die Krankenkassen. Die AOK und Betriebskrankenkassen stellten ihm dafür Freiumschläge zur Verfügung. Eine entsprechende Vereinbarung mit den Innungskrankenkassen hatte der Arzt nicht.
 

Bei früheren Erkrankungen hatte die Klägerin ihre AU-Bescheinigungen jeweils selbst erhalten

Bei früheren Erkrankungen hatte die Klägerin die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durch ihren Arzt jeweils selbst erhalten, damit sie sie auch selbst weiterleiten konnte - nicht so jedoch in diesem Fall. Ihr Arzt behielt die Bescheinigung ein. Das fiel der Klägerin erst zu Hause auf.
 
Sie telefonierte anschließend mit der Praxis. Dort erhielt sie die Auskunft, die Praxis sammele die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ihrer Patienten. Anschließend würden diese an die entsprechende Krankenkasse weitergeleitet. Dafür gebe es Freiumschläge.
 

Wie sich Versicherte verhalten müssen, wurde schon vielfach gerichtlich entschieden

Wie sich Versicherte verhalten müssen, wenn ihr Arzt Ihnen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellt, wurde schon vielfach gerichtlich entschieden. Grundsätzlich liegt die Pflicht beim Versicherten. Dieser muss dafür sorgen, dass die Bescheinigung rechtzeitig, d. h. innerhalb einer Woche, bei seiner Krankenkasse eingeht damit sein Krankengeld nicht gestrichen wird.
 
Dazu einige weiterführende Links:

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Eingriff in den Postlauf: Krankengeld trotz verspäteter Meldung 

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In dem hier besprochenen Fall verließ sich die Klägerin darauf, dass ihre Arztpraxis die Bescheinigung rechtzeitig an die Kasse schickt. Das geschah jedoch nicht.  Die Krankenkasse strich ihrer Versicherten daraufhin das Krankengeld bis zu dem Tag, an welchem die weitere Krankschreibung dort einging.
 

Die Klägerin vertrat die Auffassung, sie habe ihre Verpflichtung erfüllt

Die Klägerin vertrat im anschließenden Rechtsmittelverfahren die Auffassung, sie habe ihre Verpflichtung erfüllt, sich rechtzeitig krankschreiben zu lassen und dafür zu sorgen, dass die Krankmeldung auf den Weg gebracht werde.
 
Sie sah in der Konstellation ihres Falles eine rechtlich zulässige Ausnahme von der gesetzlichen Regelung. Dies sei nämlich beispielsweise dann so, wenn die Krankenkasse zu verantworten habe, dass der Versicherte die Bescheinigung nicht oder zu spät abgibt.
 

Hat der Versicherte alles in seiner Macht stehende getan, kommt die Weiterzahlung des Krankengeldes in Betracht

Die Kasse müsse Krankengeld nämlich dann weiter zahlen, wenn der Versicherte alles in seiner Macht stehende und ihm zumutbare getan habe. Dies gelte jedenfalls dann, wenn er durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehleinschätzung daran gehindert war, die AU-Bescheinigung rechtzeitig vorzulegen. Dann brauche er seine Rechte bei der Krankenkasse nur noch unverzüglich geltend machen und würde rückwirkend sein Krankengeld bekommen. So sei auch die Lage der Klägerin gewesen.
 

Das Landessozialgericht schloss sich der Rechtsauffassung der Klägerin nicht an

Dem schloss sich das Landessozialgericht nicht an. Es gebe zwar die von der Klägerin beschriebene Ausnahme. Das gelte etwa für Fälle, in welchen die Krankenkasse selbst initiiert habe, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht so wie es das Gesetz eigentlich vorsieht vom Patienten an die Krankenkasse gesandt werde.
 
In diesen Fällen dürfe ein Versicherter durch den Kontakt mit seinem Arzt den Eindruck gewinnen, dass er nichts zusätzlich unternehmen müsse, um seine Ansprüche zu wahren. Dies sei beispielsweise dann der Fall, wenn dem Versicherten bekannt sei, dass dem Arzt Freiumschläge der Krankenkasse zur Verfügung stünden, die speziell dafür gedacht seien, die AU-Bescheinigungen der Patienten an die Krankenkasse zu senden.
 

Ganz ohne Weiteres ist das nicht möglich

So ganz ohne Weiteres sei das allerdings nicht möglich. Dazu müsse es zumindest gewisse Grundsätze geben, die zwischen Arztpraxis und Krankenkasse vereinbart seien. Damit das Übermittlungsrisiko auf die Krankenkasse verlagert werden könne, sei es dabei allerdings ausreichend, wenn die Kasse Freiumschläge an den Arzt abgebe, damit dieser seinerseits die AU-Bescheinigungen seiner Patienten sammeln könne und mit diesen Freiumschlägen an die Kasse weiterleite.
 
Im Falle der Klägerin sei das Risiko einer rechtzeitigen Übermittlung der AU-Bescheinigung nicht auf die beklagte Krankenkasse übergegangen. Die Innungskrankenkasse habe dem Arzt nämlich keine Freiumschläge zur Verfügung gestellt. Sie habe auch keineswegs geduldet, dass die Arztpraxis regelmäßig über einen längeren Zeitraum AU-Bescheinigungen gesammelt und an sie geschickt habe.
 

Der Arzt hatte der Klägerin die AU-Bescheinigung versehentlich ausgehändigt

Vielmehr sei es so gewesen, dass der Arzt die Bescheinigung versehentlich nicht an die Klägerin aushändigte, sondern stattdessen wie bei Versicherten der AOK und der BKK vorging. Mit diesen Kassen habe er nämlich vereinbart, die AU-Bescheinigungen zu sammeln und am Ende des Monats an die Kasse zu schicken.
 
Dass die Klägerin in der Arztpraxis auf Ihren Anruf hin eine fehlerhafte Auskunft erhalten habe, müsse die Krankenkasse nicht vertreten.
 
Obwohl die Klägerin damit vermeintlich alles in ihrer Macht stehende getan hatte, um ihren Anspruch zu sichern, ging sie wegen des Fehlers der Arztpraxis letztlich zumindest sozialversicherungsrechtlich leer aus. Ob und wenn ja in welcher Form sie eventuell haftungsrechtliche Ansprüche gegenüber dem Arzt geltend machen könnte, blieb im sozialgerichtlichen Verfahren natürlich offen.

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. Mai 2020