Der niedersächsische Zimmermannmeister stürzte 2009 bei der Arbeit von einem Gerüst und verletzte sich an der Schulter. Der Durchgangsarzt diagnostizierte zunächst nur eine Schulterprellung und eine Zerrung der Muskulatur. Die Beschwerden besserten sich nicht, sodass der Mann sich einer Operation am Schultergelenk unterziehen musste. Dabei stellte sich heraus, dass innerhalb des Schultergelenks Sehnen und Muskeln eingeklemmt waren, was die Schmerzen verursachte.

Die Gutachter stellten keinen Vorschaden fest

Darüber hinaus erkannten die Operateur*innen, dass eine Sehne des Schultergelenks angerissen war. Die Berufsgenossenschaft (BG) gab daraufhin ein Gutachten in Auftrag, in dem ein Unfallchirurg bestätigte, dass sämtliche Beschwerden des Klägers im Schultergelenk vom Arbeitsunfall herrührten.

Eine altersbedingte Arthrose sei nicht erkennbar. Der Gutachter meinte aber, im Laufe der Zeit würde aufgrund des Unfalls sehr wahrscheinlich eine Arthrose auftreten. Die BG bestätigte daraufhin, dass die Beschwerden des Zimmermanns durch den Arbeitsunfall verursacht wurden und setzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) hierfür auf 10 v.H. fest.

Drei Jahre später ließ die Berufsgenossenschaft den Kläger noch einmal medizinisch untersuchen. Eine Änderung des Befundes stellte der Gutachter nicht fest. Es blieb bei der MdE von 10 v. H.

Nach zehn Jahren bestand eine Arthrose

Rund zehn Jahre nach dem Arbeitsunfall beantragte der Mann 2018 eine Neufeststellung seiner Unfallfolgen und die Gewährung einer Rente. Die BG veranlasste daraufhin noch einmal eine medizinische Untersuchung. Der Gutachter stellte nun eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. fest. Seiner Auffassung nach hatte sich die Bewegungseinschränkungen im Schultergelenk verschlechtert. Die schon damals prognostizierte Arthrose war tatsächlich hinzugekommen.

Eine Unfallrente wollte die BG dennoch nicht zahlen. Die Arthrose in der Schulter habe schon vor dem Unfall bestanden. Die BG wertete diese als Vorschaden. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beließ sie trotz des entgegenstehenden Gutachtens bei 10 v.H.

Der DGB Rechtsschutz überzeugte im Verfahren

Nachdem auch der Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid der BG ohne Erfolg blieb, erhoben die Jurist*innen des DGB Rechtsschutzbüros Braunschweig Klage. Das Sozialgericht verglich die vorliegenden Gutachten im folgenden Prozess ganz genau miteinander.

Dabei stellte sich heraus, dass die BG den von ihr behaupteten Vorschaden medizinisch nicht beweisen konnte. Von Beginn an habe der Kläger eine Verschlimmerung des Befundes der Schulter befürchten müssen, die auch in Form einer Arthrose auftreten könne, meinen die Richter*innen.

Das Gericht war auf der Seite des Klägers

Das Sozialgericht findet eindeutige Worte:

„Nicht nachvollziehbar ist für die Kammer auch die Annahme der Beklagten, wonach beim Kläger im Bereich des Schultergelenks eine Vorerkrankung vorgelegen haben soll. Genau das hat der von ihr beauftragte Sachverständige Dr. O. Bei seiner Begutachtung im April 2011 auf der Grundlage einer eingehenden Untersuchung des Klägers und der Auswertung der medizinischen Befunde verneint. Dass die Beklagte entgegen der von ihr beauftragten Gutachter nur zehn Jahre später einen erheblichen Vorschaden annimmt, überrascht nicht nur den Kläger.“

Nach dem Motto, man kann es ja mal versuchen, hat sich gezeigt, dass es so einfach wie von der BG angenommen nicht geht. Gut, dass der Kläger mit seinen Prozessbevollmächtigen am Ball geblieben ist.

Das Urteil des Sozialgericht Braunschweig vom 6. August 2021 – Az.: S 14 U 80/19 hier im Volltext

Das sagen wir dazu:

Im Unfallrecht stellt sich oft die Frage eines Vorschadens. Gerade ältere Versicherte haben regelmäßig Verschleißerscheinungen im Bewegungsapparat. Lagen diese vor einem Arbeitsunfall nachweislich vor, können die darauf zurückzuführenden Beschwerden nicht als Folge des Unfalls anerkannt werden.

Lesen Sie mehr dazu hier:

Unfall oder Vorschaden – was war geschehen?