Die gesetzliche Unfallversicherung zahlt auch dann, wenn ein Motorradfahrer sich dadurch verletzt, dass er einem Fahrradfahrer ausweicht.
Die gesetzliche Unfallversicherung zahlt auch dann, wenn ein Motorradfahrer sich dadurch verletzt, dass er einem Fahrradfahrer ausweicht.

 

Die gesetzliche Unfallversicherung, also Berufsgenossenschaften und Unfallkassen, ist nicht nur für die Versicherung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten zuständig.
 

Gesetzlich unfallversichert  - nicht nur bei Arbeitsunfällen

 
Über diese Fälle hinaus sind auch weitere Tätigkeiten gesetzlich versichert, so unter anderem:

 

  • Ausbildungsverhältnisse
  • Kindergarten- und Schulbesuch
  • Studium
  • ehrenamtliche Tätigkeit im Gesundheits- / Wohlfahrtsbereich oder im Zivilschutz
  • Blut- oder Organspende
  • Krankenhaus- oder Reha-Aufenthalte
  • Hilfe bei Unglücksfällen oder
  • Rettung eines anderen aus einer erheblichen Gefahrensituation

 
Versicherungsschutz besteht somit auch für „Retter“: Menschen, die einen anderen aus einer Gefahrensituation retten und dabei selbst zu Schaden kommen. Die Gefahr muss dabei erheblich und gegenwärtig sein, so dass unmittelbar gehandelt werden muss und es nicht ausreicht, zunächst Rettungskräfte zu benachrichtigen.
 
Gilt das auch bei einem Verkehrsunfall durch ein Ausweichmanöver, um einen Radfahrer nicht zu überfahren?
 

Vollbremsung kann Leben retten

 
Der Motorradfahrer, der in seiner Freizeit unterwegs war, hatte sich bei dem Unfall an beiden Schultergelenken schwer verletzt und hat sich daraufhin an die gesetzliche Unfallversicherung gewandt.
 
Er hatte den Unfall ohne eigene Schuld verursacht, da ihm ein Radfahrer die Vorfahrt genommen hatte. In dieser Situation hatte er versucht, noch auszuweichen, um nicht mit dem Radfahrer zusammenzustoßen und eine Vollbremsung eingelegt. Damit hat er ihn aus einer Gefahrensituation gerettet, denn ansonsten hätte sich der Radfahrer mit Sicherheit zumindest schwer verletzt. Allerdings hat er sich bei dem folgenden Sturz selbst schwere Verletzungen zugezogen.
 
Deshalb hat er den Unfall bei der Berufsgenossenschaft angezeigt und Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung beantragt. Der Radfahrer habe sich in der plötzlichen Verkehrssituation in einer unmittelbar bevorstehenden erheblichen Gefahr befunden.
 

Kein Versicherungsschutz bei Bremsreflex?

 
Allein durch den Versuch auszuweichen habe er ihn retten können, deshalb sei der Unfall durch diese Rettung des anderen Verkehrsteilnehmers verursacht worden.
 
Die Berufsgenossenschaft hat sich jedoch geweigert, für die Unfallfolgen des Motorradfahrers aufzukommen. Sie hat das damit begründet, dass er bei dem Ausweichmanöver nicht bewusst an den anderen Verkehrsteilnehmer gedacht habe, sondern nur reflexartig, in Sekundenbruchteilen eine Vollbremsung eingelegt habe.
 
Außerdem hätte er auch sich selbst und nicht nur den Radfahrer durch die Vollbremsung retten wollen, weil es bei einem Zusammenstoß auch bei ihm zu einem Schaden gekommen wäre. Radfahrer und Motorradfahrer seien im Straßenverkehr gleichen Gefährdungen ausgesetzt.  
 

Sozialgericht: Gerettet ist gerettet

 
Das hat das Sozialgericht Dortmund, das über den Fall zu entscheiden hatte, anders gesehen:
 
Es kommt nicht darauf an, ob die Rettung eines Anderen nach gründlicher Überlegung oder reflexartig in Sekundenschnelle unternommen wird. Auch bei einer plötzlichen Ausweichbewegung oder einem Bremsmanöver im Straßenverkehr handelt es sich um die Rettung eines anderen, wenn eine konkrete Gefahrensituation vorliegt.
 
Nach Sichtung der Polizeiakten ist das Gericht darüber hinaus zu dem Schluss gekommen, dass der Motorradfahrer sich selbst durch die Vollbremsung auch nicht besser gestellt hat, als wenn er stur geradeaus weiter gefahren wäre. Dann wäre es zwar mit Sicherheit zu einer Kollision gekommen, aber in Anbetracht der Geschwindigkeit und des Gewichtes des Motorrads gegenüber dem des Fahrrades könnte man sogar annehmen, dass er selbst dabei unter Umständen nicht einmal gestürzt wäre.
 
Das Gericht hat die Berufsgenossenschaft deshalb verurteilt, den (Freizeit-) Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen.

 

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Pressemitteilung des Sozialgerichts Dortmund


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Das sagen wir dazu:

Auch bei Unfällen, die nichts mit einer Berufstätigkeit zu tun haben, kann unter Umständen ein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung bestehen.
 
Das betrifft zum Beispiel Verkehrsunfälle, die in einer unmittelbaren Gefahrensituation verursacht werden, um schwere Verletzungen eines anderen Verkehrsteilnehmers zu verhindern. So wie im hier besprochenen Fall der Motorradfahrer, der einen Zusammenstoß mit einem Radfahrer nur dadurch vermeiden konnte, dass er ein plötzliches Ausweichmanöver gefahren ist.
 
Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Rettung eines anderen überlegt und geplant geschieht, oder ob in einer plötzlichen Gefahrenlage eher reflexartig gehandelt wird. In beiden Fällen geht es (zumindest auch) um die Rettung eines anderen aus einer unmittelbaren Gefahr.

Rechtliche Grundlagen

§ 8 SGB VII

§ 8 Arbeitsunfall

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.

(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch

1. das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,

2. das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
a) Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder
b) mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen,

3. das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, daß die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten oder deren Lebenspartner fremder Obhut anvertraut werden,

4. das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben,

5. das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt.