Der als Taxifahrer tätige Kläger war in einem Gespräch mit Kollegen, als sich zwei ihm unbekannte Männer schreiend dem Taxistand näherten. Er ging von einem Streit aus und wollte schlichten. Nachdem er die die Männer mehrfach erfolglos aufforderte, ruhig zu sein und abzuhauen, zog einer der Männer eine Schusswaffe und zielte auf den Kopf des Taxifahrers, ohne dass sich jedoch ein Schuss löste. Der Kläger ging daraufhin weiter auf ihn zu und forderte ihn erneut auf abzuhauen. Da lud der Mann die Pistole durch, schoss den Taxifahrer in den Bauch und verletzte ihn dabei schwer. Das Landgericht Darmstadt verurteilte den Täter wegen versuchten Mordes zu 8 Jahren Freiheitsstrafe.

Berufsgenossenschaft lehnt Anerkennung als Arbeitsunfall ab.

Mit dem Argument, dass ein Unfall infolge einer Streitigkeit nur dann gesetzlich unfallversichert sei, wenn der Streit mit der betrieblichen Tätigkeit zusammenhänge, lehnte die BG die Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Der Kläger, so die BG, habe nicht aus betrieblichen Gründen gehandelt, sondern die Bevölkerung vor einer Ruhestörung schützen wollen. Ferner, so die Beklagte, habe der Kläger sich einer selbst geschaffenen Gefahr ausgesetzt, weil er nach der ersten Bedrohung mit der Schusswaffe den Streit nicht unverzüglich beendete habe.

Der Taxifahrer begründete die Anerkennung als Arbeitsunfall damit, dass er den Täter und seinen Begleiter als mögliche Kunden angesehen habe und sie im Hinblick auf eine störungsfreie Fahrt mäßigen wollte. Auch könnten lärmende Personen im Bereich des Taxistandes andere Kunden abschrecken. Im Übrigen habe er die Schusswaffe zunächst nicht als solche erkannt. Er sei vielmehr von einem Elektroschocker ausgegangen.

Richter heben Entscheidung der BG auf und bejahen versicherten Arbeitsunfall

Das Sozialgericht sowie der 9. Senat des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) gaben dem Kläger Recht und bejahten einen versicherten Arbeitsunfall. Der Kläger habe einen störungsfreien Taxibetrieb sicherstellen wollen. Potentielle Kunden sollten nicht durch Lärm abgeschreckt werden. Damit habe er aus betriebsbezogenen Gründen gehandelt. Insoweit sei unbedeutend, dass er auch die Bevölkerung vor Lärm habe schützen wollen. 

Ein privates Überfallmotiv, so das Hessische LSG, liege nicht vor. Der Taxifahrer habe sich zudem nicht sorglos und unvernünftig verhalten, dass eine selbstgeschaffene Gefahr als allein wesentliche Ursache anzusehen sei. Er sei zunächst von einem Elektroschocker ausgegangen. Daher sei er sich der Gefahr aufgrund der Schusswaffe nicht bewusst gewesen.

Anmerkung: Negative Entscheidungen der Gesetzlichen Unfallversicherung immer überprüfen lassen!

Es mutet doch immer wieder befremdend an, mit welchen Argumenten die Gesetzlichen Unfallversicherungen bestehende Ansprüche geschädigter Arbeitnehmer*innen meinen verweigern zu können. 

Der nach § 2 Sozialgesetzbuch (SGB) VII dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung unterfallende Kläger erlitt im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit einen Arbeitsunfall i. S. des § 8 SGB VII. Dies aber sah die BG anders und verweigerte die Anerkennung als Arbeitsunfall mit der Begründung, dass der Kläger nicht aus betrieblichen Gründen gehandelt habe, sondern die Bevölkerung vor einer Ruhestörung schützen wollte. Überdies habe der Kläger sich einer selbst geschaffenen Gefahr ausgesetzt, weil er nach der ersten Bedrohung mit der Schusswaffe den Streit nicht unverzüglich beendete habe. Es ist mehr als ärgerlich, dass die BG mit einer solchen Begründung versuchte dem Kläger Leistungen vorzuenthalten und der geschädigte Taxifahrer erst die Sozialgerichtsbarkeit bemühen musste um die Folgen eines im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit erlittenen Mordversuchs als Arbeitsunfall anerkannt zu bekommen. Dieser zu Gunsten des Klägers entschiedene Fall zeigt einmal mehr, dass Entscheidungen der Gesetzlichen Unfallversicherung dann nicht widerspruchslos hingenommen werden sollten, wenn die Abläufe eines Unfallgeschehens dafür sprechen, dass ein entschädigungspflichtiger Arbeitsunfall vorliegt.

Hier können sie die Pressemitteilung des Hessischen LSG vom 21.07.2015 zum Urteil lesen:


Hinweise zur Rechtslage

§ 8 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) "Arbeitsunfall"

§ 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) "Versicherung kraft Gesetzes"