Während des Kündigungsschutzprozesses wollte der Chef den Kläger weit entfernt einsetzen, dabei wäre auch mobiles Arbeiten von zu Hause aus möglich gewesen. © Adobe Stock: Gorodenkoff
Während des Kündigungsschutzprozesses wollte der Chef den Kläger weit entfernt einsetzen, dabei wäre auch mobiles Arbeiten von zu Hause aus möglich gewesen. © Adobe Stock: Gorodenkoff

Der in Teilzeit als Bürokraft arbeitende junge Mann war gerade erst Vater geworden, als der Arbeitgeber ihm kündigte. Den Kündigungsschutzprozess gewann er. Das Arbeitsgericht entschied, dass der Arbeitgeber ihn zu unveränderten Bedingungen als Bürokraft weiter beschäftigen muss.

 

Mit dem Ergebnis des gerichtlichen Verfahrens war der Chef nicht einverstanden und ging in Berufung. Seinem Mitarbeiter bot er eine sogenannte Prozessbeschäftigung in 300 km Entfernung von dessen Wohnsitz an.

 

300 km fährt man nicht jeden Tag hin und zurück

 

Der Gekündigte hatte zuvor bereits kurz Arbeitslosengeld bezogen und im Krankengeldbezug gestanden. Die vom Arbeitgeber während des Berufungsverfahrens angebotene Prozessbeschäftigung nahm der Mann nicht an. Er müsse seine Kinder betreuen bzw. deren Betreuung gewährleisten. Eine Verlegung seines Lebensmittelpunktes für eine ungewisse Prozessbeschäftigung sei ihm nicht möglich. Die Beklagte betreue auch wieder neue Projekte, sodass sie ihn auch im Homeoffice beschäftigen könne.

 

Von der Agentur für Arbeit habe er nur zwei Vermittlungsvorschläge bekommen.

 

Weil der Chef ihm keine zumutbare Prozessbeschäftigung angeboten habe, stehe ihm die Vergütung auch ohne Arbeitsleistung zu. Er klagte diese beim Arbeitsgericht ein.

 

Der Arbeitgeber blieb bei seinem Angebot

 

Die beiden Verwaltungsstandorte in der Nähe des Wohnorts des Klägers habe er aufgegeben, teilte der Arbeitgeber dem Gericht mit. Den Kläger könne er mithin nur noch in dem verbliebenen Standort einsetzen. Nachdem er die Prozessbeschäftigung abgelehnt habe, könne der Kläger keine Vergütung beanspruchen.

 

Der Arbeitgeber bezweifelte darüber hinaus, dass der Mann lediglich zwei Vermittlungsvorschläge von der Agentur für Arbeit erhalten habe. Konkretes dazu gab er nicht an. Er verwies nur darauf, im Tätigkeitsbereich des Klägers bestehe ein erhebliches Beschäftigungspotenzial. Das Gericht solle den Kläger daher verpflichten, Auskunft darüber zu erteilen, welche Vermittlungsvorschläge die Agentur für Arbeit und das Jobcenter ihm unterbreitet hätten.

 

Die gesetzlichen Vorschriften sprachen für den Kläger

 

Die Jurist*innen von DGB Rechtsschutz Hannover gewannen die Zahlungsklage. Der Arbeitgeber habe die vereinbarte Vergütung fortzuzahlen, wenn er mit der Annahme der Dienste in Verzug gerate, heißt es im Urteil. Sei für die vom Arbeitgeber vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, sehe das Gesetz vor, dass Arbeitnehmer*innen keine Arbeitsangebote abgeben müssten, wenn der Arbeitgeber seinerseits die notwendige Handlung nicht rechtzeitig vornehme.

 

Die nach dem Kalender bestimmte Mitwirkungshandlung bestehe darin, dem*der Arbeitnehmer*in für jeden Arbeitstag einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Der Arbeitgeber müsse die Leistungserbringung ermöglichen. Dazu müsse er den Arbeitseinsatz fortlaufend planen und durch Weisungen hinsichtlich Ort und Zeit näher konkretisieren. Geschehe das nicht, gerate er in Annahmeverzug. Dann bedürfe es eines Angebots der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer nicht.

 

Nach einer unwirksamen Kündigung müsse deshalb der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Arbeit wieder zuweisen, wenn er nicht in Annahmeverzug geraten wolle.

 

Arbeitnehmer*innen habe die Pflicht, den entgangenen Verdienst niedrig zu halten

 

Allerdings müsse sich der Arbeitnehmer den Verdienst anrechnen lassen, den er für die Zeit nach der Entlassung während des Kündigungsschutzprozesses erzielt habe. Das gelte auch für das Entgelt, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen.

 

Böswillig handele der Arbeitnehmer, wenn er vorsätzlich untätig bleibe und die Aufnahme einer Arbeit bewusst verhindere. Arbeitnehmer*innen müssten jedoch nicht von sich aus aktiv werden. Böswilligkeit bestehe nur, wenn sie es unterließen, eine Arbeit "anzunehmen".

 

Arbeitnehmer*innen müssen zu Vermittlungsvorschlägen wahrheitsgemäße Angaben machen

 

Soweit es um entgangenen Verdienst gehe, sei der Kläger im Prozess dazu verpflichtet, wahrheitsgemäße Angaben auf Äußerungen des Arbeitgebers zu machen. Der Arbeitgeber selbst habe regelmäßig keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung. Demgegenüber seien dem*der klagenden Arbeitnehmer*in nähere Angaben dazu ohne weiteres möglich und zumutbar.

 

Das kehre die Beweislast nicht um. Der Kläger müsse keineswegs alle für den Prozesserfolg des Arbeitgebers benötigten Informationen verschaffen. Denn mit der erteilten Auskunft stehe keineswegs fest, dass er es böswillig unterlassen habe, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Ob die Agentur für Arbeit oder das Jobcenter „zumutbare" Arbeit angeboten hätten und das Verhalten des Klägers, diese Angebote nicht anzunehmen, als "böswilliges" Unterlassen angesehen werden müsse, habe der Arbeitgeber im Rechtsstreit über die Zahlung des Annahmeverzugslohns im Streitfall zu beweisen.

 

Die Beklagte hatte zu wenig vorgetragen

 

Genau das habe die Beklagte nicht getan. Sie habe nicht ausreichend dazu vorgetragen, dass der Kläger es böswillig unterlassen habe, eine ihm zumutbare Arbeit aufzunehmen. Der Vortrag der Beklagten erschöpfe sich darin, es bestünden erhebliche Zweifel, dass die vom Kläger mitgeteilten Vermittlungsvorschläge vollständig seien. Sie habe weder behauptet, dass es weitere Vermittlungsangebote gegeben hätte, noch, dass der Kläger die mitgeteilten Stellenangebote ohne ausreichenden Grund nicht angenommen habe. Daher müsse der Kläger auch keine weiteren Auskünfte über etwaige Vermittlungsangebote erteilen.

 

Der Kläger müsse sich auch nicht anrechnen lassen, was er bei der Beklagte bei Annahme des Angebots zum Abschluss eines Prozessrechtsverhältnisses verdient hätte. Die ihm angebotene Arbeit müsse zumutbar gewesen sein. Das sei sie nicht gewesen.

 

Den Umzug des Klägers kann der Arbeitgeber nicht verlangen

 

Der Kläger sollte an einem über 300 km entfernten Ort arbeiten. Eine tägliche Rückkehr zum Wohnsitz sei bei dieser Entfernung nicht möglich. Dem Kläger könne es auch nicht zugemutet werden, allein aufgrund einer befristeten Prozessbeschäftigung seinen Lebensmittelpunkt zu verlegen. Schließlich erscheine die Anmietung einer Zweitwohnung unter dem Gesichtspunkt des Betreuungsbedarfs der Kinder und der relativ geringen monatlichen Vergütung aufgrund der Teilzeitbeschäftigung nicht angemessen.

 

Für das Gericht fehlte der notwendige Beweis des Arbeitgebers, dass der Kläger die Aufnahme eines Arbeitsangebotes der Bundesagentur für Arbeit oder des Jobcenters böswillig unterlassen hat. Weil der Arbeitgeber selbst darüber hinaus keine unzumutbare Prozessbeschäftigung angeboten hatte, muss der eingeklagte Lohn nun gezahlt werden.

 

Offen blieb im Prozess, ob die Standorte des Unternehmens in Wohnortnähe des Klägers komplett geschlossen wurde, Es spielte auch keine Rolle, ob der Kläger in Homeoffice hätte arbeiten können. Der fehlende Beweis gab den Ausschlag für die Entscheidung.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Hannover.

Rechtliche Grundlagen

§ 615 BGB, § 296 BGB

§ 615 Vergütung bei Annahmeverzug und bei Betriebsrisiko
Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.

§ 296 Entbehrlichkeit des Angebots
Ist für die von dem Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, so bedarf es des Angebots nur, wenn der Gläubiger die Handlung rechtzeitig vornimmt. Das Gleiche gilt, wenn der Handlung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Handlung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt.