Der Grundsatz ist dabei so einfach wie unmissverständlich: Der Mindestlohn ist pro geleisteter Zeitstunde zu zahlen. Doch was heißt das konkret? Hier ist noch manches offen, vieles wird erst durch die Rechtsprechung geklärt werden. Anderes ist dagegen völlig eindeutig, was nicht bedeutet, dass dies von den Arbeitgeber*innen auch eingehalten wird. Im Gegenteil versuchen manche, mit rechtlich unhaltbaren Taschenspielertricks, den Mindestlohn zu drücken, indem sie den Begriff der Arbeitszeit völlig neu definieren.

Umkleiden und Fahrzeiten – keine wirkliche Arbeit?

Dabei ist der Grundsatz auch hier wieder ganz einfach: Die Zeit, in der der/die Arbeitnehmer*in sich in den Arbeitsablauf des/der Arbeitgeber*in unterordnet und die er/sie deshalb nicht nach eigenem Belieben gestalten kann, ist Arbeitszeit und muss entsprechend bezahlt werden.

Dementsprechend gehört auch zur Arbeitszeit, wenn sich der/die Arbeitnehmer*in nach Eintreffen im Betrieb erst mal umziehen muss bzw. sich vor Verlassen des Betriebes erst wieder seine/ihre normale Straßenkleidung anziehen muss. Jedenfalls dann, wenn der/die Arbeitgeber*in eine bestimmte Kleidung vorschreibt, zum Beispiel aus Gründen der Arbeitssicherheit oder weil er/sie ein einheitliches Erscheinungsbild der Beschäftigten wünscht. Der/die Arbeitgeber*in ordnet das Umziehen an, deshalb muss er/sie die hierfür erforderliche Zeit bezahlen.

Ähnlich sieht es bei Fahrten aus, die der/die Arbeitnehmer*in im Dienst macht, zum Beispiel die Fahrt vom Betrieb zur Baustelle und zurück. Auch diese Fahrten sind kein Privatvergnügen und sind entsprechend zu vergüten.

Anders verhält es sich bei der Fahrt von zu Hause zur Arbeit. Die Zeit ist zwar notwendig, um die Arbeit aufzunehmen, aber hier hat es der/die Arbeitnehmer*in selbst in der Hand, wie weit entfernt er/sie von der Arbeitsstätte wohnt. Der Arbeitsweg fällt also in die Sphäre des/der Arbeitnehmer*in. Er/sie bekommt ihn nicht vom Arbeitgeber bezahlt.

Standzeiten und andere Wartezeiten – keine echte Freizeit

In manchen Branchen ist nicht gleichmäßig etwas zu tun, Leerlauf gehört zum Berufsbild. Klassischerweise ist dies bei Taxifahrer*innen der Fall, die erhebliche Standzeiten haben und auf Kunden warten. In dieser Zeit könnten sie doch eigentlich Pause machen, oder?

Der Versuch, diesen tätigkeitsimmanenten Leerlauf mit der nach Arbeitszeitgesetz vorgeschriebenen Pause zu verrechnen, ist so durchschaubar wie rechtswidrig. Eine Pause soll der/die Arbeitnehmer*in so gestalten können, wie er/sie das möchte, damit er/sie sich erholen kann. Dies ist gerade nicht möglich, wenn die Pause sich dem Arbeitsablauf unterordnen muss.

Die Pause ist nach Arbeitszeitgesetz im Voraus festzulegen, bei einer Arbeitszeit von sechs bis neun Stunden mindestens 30 Minuten, am Stück oder zweimal 15 Minuten. Ein/eine Taxifahrer*in, der auf Fahrgäste wartet macht keine Pause, er/sie muss ständig damit rechnen, dass die Wartezeit endet. Er/sie weiß auch nicht, wann die Pause sein wird und wie lange sie dauert – eine Erholung ist so nicht möglich.

Bereitschaftsdienst – Arbeit oder Freizeit?

Eine ähnliche Thematik besteht bei Bereitschaftsdienst, Arbeitsbereitschaft und Rufbereitschaft, also bei Zeiten, in denen der/die Arbeitnehmer*in zwar nicht durchgängig arbeitet, aber gewissermaßen „Gewehr bei Fuß“ steht. Auch hier sind Arbeitgeber*innen in der Versuchung, solche Zeiten nicht mit Mindestlohn zu vergüten.

Bei Bereitschaftsdienst und Arbeitsbereitschaft ist dies nicht gestattet. Der Unterschied bei diesen beiden Kategorien liegt lediglich darin, dass sich der/die Arbeitnehmer*in bei Arbeitsbereitschaft im Betrieb befinden muss, der Bereitschaftsdienst kann auch außerhalb des eigentlichen Einsatzortes geleistet werden. Entscheidend ist, dass in beiden Fällen zwar nicht durchgängig gearbeitet wird, dass aber in der Regel innerhalb der Zeit Arbeit anfällt.

Für diese Zeiten kann (tarif)vertraglich ein geringeres Entgelt vereinbart werden, der Gesetzgeber hat dies beim Mindestlohn aber gerade nicht vorgesehen, so dass für Zeiten von Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst der Mindestlohn zu zahlen ist.

Anders sieht dies im Falle der Rufbereitschaft aus. Hier ist der/die Arbeitnehmer*in grundsätzlich frei in seiner Zeitgestaltung, auch örtlich ist er nicht gebunden. Er/sie muss sich lediglich bereithalten, gegebenenfalls die Arbeit aufzunehmen, was aber eher die Ausnahme ist. Rufbereitschaft ist keine Arbeitszeit, der/die Arbeitgeber*in muss nur die in dieser Zeit tatsächlich geleistete Arbeit vergüten.

Keine Aufträge – das klassische unternehmerische Risiko

Zeiten mit geringem Arbeitsanfall gibt es überall, manchmal ist tatsächlich einfach nichts zu tun. Allerdings trägt der/die Arbeitgeber*in das wirtschaftliche Risiko, ob er die von ihm bezahlten Arbeitskräfte auch tatsächlich entsprechend einsetzen kann. Die Arbeitnehmer*innen behalten dann trotzdem ihren Anspruch auf Lohn, und zwar in voller Höhe.

Manche Arbeitgeber*innen versuchen sich zu behelfen, in dem sie die Arbeitnehmer*innen nach Hause schicken und die nicht gearbeiteten Stunden vom Arbeitszeitkonto abziehen. Hierauf muss sich der/die Arbeitnehmer*in nicht einlassen. Auch eine spontane Beurlaubung ist nicht ohne weiteres möglich, da bei der Urlaubsgewährung die Wünsche des/der Arbeitnehmer*in zu berücksichtigen sind.

Der Anspruch auf Mindestlohn besteht also in voller Höhe auch dann, wenn der/die Arbeitgeber*in den/die Arbeitnehmer*in aufgrund fehlender Arbeit nicht beschäftigen kann. 

Krankheit, Urlaub, Feiertag – Fälle der Entgeltfortzahlung

Gleiches gilt, wenn der Lohn aufgrund von Krankheit, Urlaub oder an Feiertagen weiter gezahlt wird, wobei sich der Anspruch dann aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz oder dem Bundesurlaubsgesetz ergibt. Das Mindestlohngesetz sagt dies zwar nicht ausdrücklich, es ergibt sich aber aus den allgemeinen Regeln.

Bei Krankheit und an Feiertagen gilt das Lohnausfallprinzip, so dass der/die Arbeitnehmer*in den Lohn erhalten muss, den sie/er erhalten hätte, wenn sie/er tatsächlich gearbeitet hätte. Da dies mindestens der Mindestlohn ist, kann die Entgeltfortzahlung nicht geringer ausfallen.

Bei der Berechnung des Urlaubsgeldes nach den gesetzlichen Regeln hat der/die Arbeitnehmer*in Anspruch auf den durchschnittlichen Lohn der dem Urlaub vorangegangenen 13 Wochen. Da dieser Durchschnitt ebenfalls nicht unter einem Stundenlohn von 8,50 € liegen kann, ist auch das Urlaubsentgelt wenigstens in Höhe des Mindestlohnes zu zahlen.

Akkord und andere Stückzahlvorgaben – was, wenn die Zeit nicht reicht?

Da man also nicht darum herum kommt, einen Stundenlohn von 8,50 € zu zahlen, kommen manche Arbeitgeber*innen auf die Idee, diese Stunden einfach zu verdichten, so dass in dieser Stunde einfach mehr geleistet werden muss. 

Praktisch wird dies durch eine Erhöhung der Vorgaben erreicht. Der /die Arbeitnehmer*in bekommt gesagt, er/sie habe in einer Stunde so viele Zimmer mehr zu reinigen, Werbeflyer zu verteilen, Pflegebedürftige zu versorgen. Und wenn die Zeit nicht ausreicht? Pech gehabt, wer die Vorgaben nicht erfüllt, muss halt unbezahlte Überstunden machen.

Durch derartige Tricks soll versucht werden, den Mindestlohn für sich kostenneutral zu gestalten. Legal sind sie nicht. Der/die Arbeitnehmer*in schuldet nämlich keine Stückzahl, sondern nur ihre Arbeitsleistung nach besten Kräften. Und die von manchen Arbeitgeber*innen vorgegebenen Stückzahlen sind so angesetzt, dass auch die dynamischsten Arbeitnehmer*innen dies unter Aufbietung aller Kräfte nicht schaffen können.

Gerade, wenn im Zusammenhang mit der Einführung des Mindestlohnes die Normen angehoben werden, so entspricht dies nicht dem, was tatsächlich zu schaffen ist, sondern einer reinen Rechengröße, um beim Mindestlohn nicht draufzahlen zu müssen. Die Hungerlöhne werden durch unbezahlte Überstunden ausgetauscht.

Was tun?

Als Arbeitnehmer*in sollte man zum einen genau dokumentieren, wann man gearbeitet hat. Bei Lohnersatzleistungen wie dem Urlaubsentgelt sollte man die Abrechnung genau kontrollieren. Hat man den Eindruck, die Bezahlung liege aufgrund von Manipulationen bei der Arbeitszeit unterhalb des Mindestlohnes (oder auch eines höheren vereinbarten Lohnes), sollte man zunächst den/die Arbeitgeber*in darauf ansprechen, sofern vorhanden unter Einbeziehung des Betriebsrates.

Wenn es dennoch keine Lösung gibt, sollte man sich an seine zuständige Gewerkschaft wenden, die den ausstehenden Loh  geltend macht und den/die Arbeitgeber*in noch einmal auf die Rechtslage hinweist. Bleibt auch dies fruchtlos, leitet die Gewerkschaft die Sache an die DGB-Rechtsschutz GmbH weiter, die den Lohn einklagt und falls erforderlich auch vollstreckt.