Mindestlohn – Keine Anrechnung von Urlaubsgeld und jährlicher Sonderzahlung (Bildquellenangabe: GG-Berlin /pixelio.de)
Mindestlohn – Keine Anrechnung von Urlaubsgeld und jährlicher Sonderzahlung (Bildquellenangabe: GG-Berlin /pixelio.de)

Der Klägerin wurde von der Beklagten vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohns gegen eine Grundvergütung von 6,44 EUR je Stunde zuzüglich Leistungszulage und Schichtzuschlägen beschäftigt. Des Weiteren erhielt sie ein zusätzliches Urlaubsgeld und  eine nach Dauer der Betriebszugehörigkeit gestaffelte Jahressonderzahlung.

Nachdem feststand, dass ab Januar 2015 der Mindestlohn in Höhe von 8,50 EUR brutto zu zahlen ist, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis und bot der Klägerin an, das Arbeitsverhältnis mit einem Stundenlohn von 8,50 EUR bei Wegfall der Leistungszulage, des zusätzlichen Urlaubsgeldes und der Jahressonderzahlung fortzusetzen.

Das Berliner Arbeitsgericht hält die Änderungskündigung für unwirksam. 

Da der gesetzliche Mindestlohn unmittelbar die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers entgelten soll, kam das Berliner Arbeitsgericht zu dem Ergebnis, dass die der Klägerin ausgesprochene Änderungskündigung unwirksam ist. Denn, so die Richter der 54. Kammer des Arbeitsgericht Berlin:  Der Arbeitgeber darf Leistungen, die – wie das zusätzliche Urlaubsgeld und die Jahressonderzahlung – nicht diesem Zweck dienen, nicht auf den Mindestlohn anrechnen. Eine Änderungskündigung, mit der diese unzulässige Anrechnung erreicht werden solle, sei unzulässig.

Die von der Beklagten eingelegte Berufung wurde zwischenzeitlich durch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zurückgewiesen (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. September 2015 – 8 Sa 677/15). Hiergegen hat die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht (BAG) eingelegt die dort unter dem Az: 2 AZN 1079/15 geführt wird. Über den Ausgang des beim BAG anhängigen Verfahrens werden wir berichten.

Anmerkung:

Als eines der ersten Gerichte hat das Arbeitsgericht Berlin klar Stellung zu der Frage bezogen, ob Leistungen, die bisher außerhalb der vereinbarten und unter 8,50 EUR liegenden Bruttostundenvergütung gezahlt wurden, wie z.B. Sonderzahlungen und Urlaubsgeld, nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Wegfall kommen können, um durch die hierdurch ersparten Kosten den Mindestlohn zu zahlen. Es bleibt nun abzuwarten, ob die Beklagte sich des Rechtsmittels der Berufung bedient und es zu einer Überprüfung der Entscheidung der I. Instanz durch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg kommen wird.

Aus der Sicht des Autors setzt die Entscheidung des Berliner Arbeitsgerichts Zeichen und ist durchaus geeignet, den Arbeitgebern, die meinen, bisher außerhalb des vereinbarten Stundenlohns gezahlte Leistungen kürzen, oder in Gänze wegnehmen zu können, um den  maßgebenden gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen, klar zu machen, dass derartige „Taschenspielertricks“ im Rahmen gerichtlicher Überprüfungen keine Chance haben werden.

Was ist eine Änderungskündigung?

Die Änderungskündigung ist eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses, verbunden mit dem Angebot an die andere Seite, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen fortzusetzen, falls der andere sich mit der Arbeitsvertragsänderung einverstanden erklärt. Besteht für den/die Arbeitnehmer*in Sonderkündigungsschutz, so ist für die Kündigung die erforderliche behördliche Zustimmung einzuholen. Existiert ein Betriebsrat, so ist dieser vor Ausspruch der Kündigung gem. § 102 BetrVG anzuhören. Die für ordentliche Kündigungen maßgebenden Kündigungsfristen sind auch bei einer Änderungskündigung einzuhalten.

Wird einem Arbeitnehmer eine Änderungskündigung ausgesprochen, so ist folgendes zu beachten:

Wenn der Arbeitnehmer mit den vom Arbeitgeber verfolgten Änderungen der Arbeitsbedingungen nicht einverstanden ist, so sollte er diese unter dem Vorbehalt annehmen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist  (§ 2 KSchG).  

Ein solcher Vorbehalt muss der Arbeitnehmer innerhalb der Kündigungsfrist, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erklären (§ 2 Satz 2 KSchG). 

Der Arbeitnehmer kann dann innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung eine Änderungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht erheben. Mit der Änderungsschutzklage wird überprüft ob die Änderung der Arbeitsbedingungen gerechtfertigt und die Änderungskündigung wirksam ist (§ 4 Satz 2 KSchG). Gewinnt der Arbeitnehmer die Änderungsschutzklage, besteht das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen fort. Verliert der Arbeitnehmer, besteht sein Arbeitsverhältnis zu den geänderten Arbeitsbedingungen fort.

Der Arbeitnehmer kann die Änderung der Arbeitsbedingungen auch ablehnen. Er kann dann innerhalb einer Frist von drei Wochen ab Zugang der Kündigung bei dem Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage erheben. Ist die Kündigungsschutzklage rechtzeitig erhoben und sind die vom Arbeitgeber verlangten Änderungen der Arbeitsbedingungen nicht gerechtfertigt (§ 2 KSchG), gewinnt der Arbeitnehmer die Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsverhältnis besteht dann zu unveränderten Arbeitsbedingungen fort. Verliert der Arbeitnehmer, ist das Arbeitsverhältnis beendet. Wenn man an dem Arbeitsverhältnis, ggfs. auch zu geänderten Bedingungen, festhalten will, so empfiehlt sich die Annahme der Änderungskündigung unter dem Vorbehalt gem. § 2 KSchG.

Änderungskündigungen die aus Anlass der Einführung des Mindestlohns ausgesprochen werden gerichtlich überprüfen lassen! 

Vertragsänderungen im Rahmen einer Änderungskündigung mit dem Ziel, bisher gezahltes Urlaubsgeld, jährliche Sonderzahlungen und/oder Zulagen den Arbeitnehmer*innen wegzunehmen um mit den eingesparten Kosten einen unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns liegenden Bruttostundenlohn auf 8,50 EUR brutto zu erhöhen dürften nach Auffassung des Autors nicht möglich sein.

Vorsicht beim Angebot einer „einvernehmlichen“ Änderung des Arbeitsvertrags durch den Arbeitgeber!

Es ist davon auszugehen, dass Arbeitgeber versuchen werden mit den Arbeitnehmer*innen „einvernehmliche“ Vertragsänderungen zu erzielen um keine Änderungskündigungen aussprechen zu müssen. Erklärt sich der/die Arbeitnehmer*in mit einer Änderung der Arbeitsbedingungen einverstanden, in dem man z. B, auf bisher gezahlten Sonderzahlungen ganz oder teilweise verzichtet und dafür den gesetzlichen Mindestlohn erhält, so ist eine gerichtliche Überprüfung im Rahmen einer Änderungskündigung nicht mehr möglich. Also, nicht ungeprüft ein „Änderungsangebot“ unterschreiben, sondern sich eine Überlegungsfrist einräumen und eine Überprüfung durch die Kollegen*innen der zuständigen Gewerkschaft vornehmen lassen!


Hier die vollständige Entscheidung des Arbeitsgericht Berlin vom 04.03.2015, Az: 54 Ca 14420/14.

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. September 2015 (Az.:8 Sa 677/15) könne sie hier nachlesen.