Wird der gesamte Betrieb stillgelegt, ist eine Kündigung regelmäßig sozial gerechtfertigt.
Wird der gesamte Betrieb stillgelegt, ist eine Kündigung regelmäßig sozial gerechtfertigt.


Der Kläger war seit 1993 bei der Beklagten, einer GmbH, beschäftigt. Der Kläger wurde als Montagehelfer beschäftigt, die Beklagte stellte Fenster, Türen und Fassaden aus Aluminium her. Sie montierte und wartete ihre Produkte auch bei den Kunden.
 
Ende April 2014 waren 61 Arbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt. Ein Betriebsrat bestand nicht.
 

Arbeitgeberin fasst Entschluss zur Stilllegung

 
Der Geschäftsführer der Beklagten war zugleich alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter. 
Am 22. April 2014 fasste er den Beschluss, seinen Betrieb stillzulegen. Zwei Tage später zeigte er die beabsichtigte Entlassung aller Mitarbeiter der Agentur für Arbeit an.
 
In der Massenentlassungsanzeige erläuterte die Beklagte ihre Beweggründe für die Stilllegung des Betriebes:
Der Betrieb erwirtschafte seit Jahren keine Gewinne mehr, die Auftragslage sei sehr schlecht. Es würden nunmehr nur noch Altaufträge abgearbeitet und Garantiefälle abgewickelt. Zudem wolle der Geschäftsführer der Beklagten aus Altersgründen und mangels vorhandenem Nachfolger den Betrieb stilllegen.
 
Die konkrete Stilllegung zu Ende April erfolge zur Abwendung eines nach diesem Zeitpunkt notwendigen Insolvenzverfahrens. Daher seien die Arbeitsverhältnisse aller Arbeitsnehmer unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zu beenden.
 
Einen Tag später informierte der Geschäftsführer die Belegschaft über den Entschluss. Auch auf der Internetseite teilte die Beklagte ihre Absicht mit, den Betrieb stillzulegen.
 
So kündigte die Beklagte noch im April das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30.11.2014.
 

Kläger wehrt sich gegen Kündigung 

 
Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht Koblenz wies die Klage ab, der Kläger ging in Berufung.
 
Mit seiner Berufung wollte der Kläger erreichen, dass er von der Beklagten nach Ablauf der Kündigungsfrist weiterbeschäftigt wird. Für den Fall, dass auch das Landesarbeitsgericht Mainz die Kündigung der Beklagten als rechtmäßig ansehen würde, verlangte der Kläger von der Beklagten zudem die Zahlung einer Abfindung.
 
Der Kläger war der Ansicht, die Beklagte habe viel zu spät offenbart, dass sie den Betrieb stilllegen wolle. Konkret argumentierte der Kläger, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, ihn rechtzeitig über die Stilllegung zu informieren. Dann hätte seiner Meinung nach für ihn die Chance bestanden, schnellstmöglich einen neuen Arbeitsplatz zu bekommen.
 

Kläger macht Abfindung geltend

 
Zudem trug der Kläger vor, er habe einen Anspruch auf eine angemessene Abfindung.
Denn die Beklagte verfüge über ausreichend finanzielle Mittel, die letztlich mit der Arbeitskraft der Arbeitnehmer*innen erwirtschaftet worden wären. Das Arbeitsgericht der I. Instanz habe fälschlicherweise keine Feststellung darüber getroffen, welche finanziellen Mittel der Beklagten für Abfindungen zur Verfügung standen.
 
Auch habe es das Arbeitsgericht versäumt, die Entscheidung der Beklagten, ihren Betrieb stillzulegen, zu überprüfen. Eine soziale Abwägung bei der Auswahl der gekündigten Arbeitnehmer sei auch nicht erfolgt.
 
Außerdem sei das Genehmigungsverfahren der Agentur für Arbeit nicht geprüft worden. Dieses habe nur sehr kurz gedauert. So habe das Arbeitsgericht nicht geprüft, ob im Rahmen der Genehmigung die sozialen Auswirkungen für den Kläger ausreichend beachtet wurden.
 
Aufgrund dieser Versäumnisse sei von der Beklagten eine Abfindung zu zahlen, wenn schon keine Weiterbeschäftigung möglich sei. 
 

Landesarbeitsgericht stützt Urteil des Arbeitsgerichts

 
Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung des Klägers zurück.
 
Die betriebsbedingte Kündigung war laut Ansicht des LAG sozial gerechtfertigt. „Dringende betriebliche Erfordernisse“, wie sie das Gesetz fordert, lägen in Gestalt der vollumfänglichen Stilllegung des Betriebes vor.
 
Das Berufungsgericht folgt damit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur betriebsbedingten Kündigung: Die Stilllegung des gesamten Betriebes stellt regelmäßig eine soziale Rechtfertigung für die Kündigung dar.
 

BAG zum Begriff „Stilllegung“

 
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt eine Betriebsstilllegung dann vor, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam nichts mehr produzieren oder Dienstleistungen nicht mehr erbringen. Dies wird wiederum deutlich, wenn der Arbeitgeber als Unternehmer seine wirtschaftliche Betätigung einstellt. Geschieht das in der Absicht, den bisherigen Betriebszweck für immer zu beenden, liegt eine Betriebsstilllegung vor. Gleiches gilt für den Fall einer wirtschaftlich erheblichen zeitlichen Unterbrechung der Geschäftstätigkeit.
 
Mit der gänzlichen Einstellung des Betriebes entfallen alle Beschäftigungsmöglichkeiten. Es gibt keine Verpflichtung des Arbeitgebers, eine Kündigung erst nach der tatsächlichen Stilllegung auszusprechen. Notwendig - aber auch ausreichend - ist bereits der ernstgemeinte und endgültige Beschluss zur Stilllegung des Betriebes. Maßgeblicher Zeitpunkt hierfür ist die Entwicklung bei Zugang der Kündigung.
 

LAG bestätigt einen ernsthaften und endgültigen Entschluss

 
Im vorliegenden Fall sahen sowohl Arbeitsgericht als auch Landesarbeitsgericht einen ernsthaften und endgültigen Entschluss der Beklagten zur vollumfänglichen Stilllegung. Die Entscheidung habe bei Zugang der Kündigung bereits die notwendigen greifbaren Formen angenommen.
 
„Greifbare Formen“ sieht die Rechtsprechung stets dann, wenn eine unternehmerische Entscheidung sich in einem für Dritte wahrnehmbaren Verhalten äußert. Hier waren wirtschaftliche und persönliche Gründe maßgeblicher Hintergrund für den Entschluss, alle geschäftlichen Tätigkeiten einstellen zu wollen.
 

Arbeitsgericht prüft nicht das „Warum?“

 
Arbeitgeber sind in ihrer Entscheidung frei, ob sie ihre wirtschaftliche Betätigung einstellen wollen oder nicht. Eine „Pflicht zur unternehmerischen Tätigkeit“ gibt es nicht. Die Arbeitsgerichte prüfen deshalb die Entscheidung des Arbeitgebers lediglich darauf, ob der Entschluss ernsthaft oder lediglich willkürlich gefasst wurde. Eine rein willkürliche Entscheidung wird von der Rechtsprechung nicht anerkannt.
 
Dahinter steckt folgende Überlegung:
Nicht der Staat trägt das wirtschaftliche Risiko des Unternehmers. Daher dürfe er auch nicht durch staatliche Gerichte entscheiden, ob eine Stilllegung betriebswirtschaftlich Sinn macht oder nicht. 
 
Konkreter Anhaltspunkt für beide Gerichte war vorliegend die Ankündigung der Stilllegung gegenüber Lieferanten, Banken und Kunden durch die Beklagte.
Ein Unternehmer, der eine weitere wirtschaftliche Existent verfolgt, würde seine Geschäftsbeziehungen nicht auf diese Weise gefährden. Darüber hinaus wurde die Belegschaft von der Beklagten über die Stilllegungsabsicht informiert. Ergänzend hinzu kommt die Ankündigung auf der Firmen-Homepage.
 

Beschäftigung innerhalb der Kündigungsfrist nicht relevant

 
Der Entschluss der Beklagten hatte nach Einschätzung der Richter also im Ergebnis „greifbare Formen“ angenommen.
 
Die Weiterbeschäftigung im Zeitraum der Kündigungsfrist des Klägers war dabei für das LAG in Hinblick auf die Kündigung letztlich nicht relevant. Denn die Weiterbeschäftigung stellte hier eine „Auslaufphase“ der unternehmerischen Tätigkeit der Beklagten dar. Der Kläger wurde nur noch zur Abwendung drohender Schadensersatzansprüche durch Kunden zur Abwicklung der Alt-Verträge beschäftigt.
 

Kündigungsfrist muss stets beachtet werden

 
Der Arbeitgeber muss trotz gefasster und geäußerter Stilllegungsabsicht selbstverständlich die für seine einzelnen Arbeitnehmer*innen geltenden Kündigungsfristen beachten. Hier gilt: Auch gekündigte Verträge sind bis zum Schluss einzuhalten. Eine fristlose betriebsbedingte Kündigung ist zwar möglich, in der Praxis jedoch äußerst selten.
 
Wie bereits erwähnt: Der Entschluss zur Stilllegung muss zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vorliegen und greifbare Formen angenommen haben. Aber auch aus der Rückschau kann auf eine grundlegende Idee des Arbeitgebers zur Stilllegung geschlossen werden:
 
Schließt quasi die letzte tatsächliche Tätigkeit des Arbeitgebers mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses im Rahmen der ordentlichen Kündigungsfristen zeitgleich ab, so kann man von einer unternehmerischen Entscheidung zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ausgehen.
 

Keine Pflicht zur Vorab-Ankündigung

 
Das LAG verneint ebenfalls das Erfordernis einer Vorab-Ankündigung der Kündigung.                                       
 
Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger und seine Kolleginnen und Kollegen über ihren Entschluss schon vorab zu informieren. Für den Kläger bestand laut Gericht ausreichend Schutz durch die Länge der Kündigungsfrist und den Anspruch auf Freistellung zur Stellensuche, etwa bei Einladungen zu Vorstellungsgesprächen.
 

Keine Sozialauswahl notwendig

 
Auch das oft streitige Problem der Sozialauswahl stellte sich im vorliegenden Fall nicht:
 
Da der ganze Betrieb stillgelegt wurde, war von der Beklagten keine Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer*innen zu treffen. Es wurde ausnahmslos der gesamten Belegschaft gekündigt.
 

Genehmigungsverfahren der Agentur für Arbeit nicht zu kurz

 
Auch mit dem Argument, das Genehmigungsverfahren durch die Agentur für Arbeit sei zu kurz gewesen, drang der Kläger nicht durch.
Gemäß der maßgeblichen Regelung in § 18 Absatz 1 KSchG kann der Arbeitgeber schon sofort nach dem Eingang seiner Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit die Kündigungen aussprechen. Es darf lediglich die „Entlassung“ (=Kündigung) nach einer „Sperrfrist“ von mindestens einem Monat wirksam werden. Die Kündigungsfrist des Klägers betrug hier jedoch bereits sieben Monate, also mehr als von § 18 Absatz 1 KSchG verlangt. 
 

Kein Betriebsrat  - keine Abfindung

 
Das vorliegende Urteil macht ganz deutlich:
Arbeitnehmer*innen schauen ohne Betriebsrat bei einer Betriebsstilllegung in die Röhre!
Der landläufig bekannte Anspruch auf Zahlung einer Abfindung ist das Resultat von Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Existiert kein Betriebsrat, gibt es für den Arbeitgeber auch keinen Verhandlungspartner. Ein Sozialplan wird dann nicht geschlossen. Damit gibt es dann auch keinen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung.
 
Ohne Betriebsrat sind Arbeitnehmer*innen einer betriebsbedingten Kündigung des Arbeitgebers wegen Stilllegung des ganzen Betriebs schutzlos ausgeliefert. Es bleibt nur der vom Gesetzgeber durch die Kündigungsfristen verwirklichte minimale soziale Schutz. Nach deren Ablauf droht Arbeitnehmer*innen dann die Arbeitslosigkeit.
 
Der Sozialplan soll mit der vereinbarten Zahlung von Abfindungen den Verlust des Arbeitsplatzes abfedern. Diese Tatsache gewinnt in Zeiten von „Outsourcing“ zusätzliche Brisanz.
Aus diesen  - freilich nicht einzigen!  - Grund lohnt sich die Gründung eines Betriebsrats immer.


Links:

Das vollständige Urteil gibt es über die Seite der Justiz Rheinland-Pfalz


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