Klar ist, dass man sich als Arbeitnehmer nicht einfach beim Strom des Arbeitgebers bedienen kann. Aber deswegen eine Kündigung auszusprechen ist auch nicht in Ordnung, wie das Landesarbeitsgericht Hamm festgestellt hat.
„Hast du mal Strom, Akku ist fast alle“
Der Kläger war bei der Beklagten als Netzwerkadministrator beschäftigt. Eines Tages im Mai erschien er mit einem Elektroroller ("Segway") bei der Arbeit, den er sich gemietet hatte Dort angekommen, schloss er das Gerät für etwa eineinhalb Stunden im Vorraum zum Rechenzentrum an eine Steckdose an. Als dies sein Vorgesetzter bemerkte, forderte er ihn auf, das Segway vom Strom zu nehmen.
Zu diesem Zeitpunkt betrugen die Stromkosten für die Aufladung des Elektrorollers ca. 1,8 Cent. Dennoch wurde er einige Zeit später zum Gespräch mit dem Personalleiter gebeten, von der Arbeit freigestellt und erhielt schließlich eine fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung.
Der Netzwerkadministrator klagte gegen die Kündigung und bekam sowohl vom Arbeitsgericht Siegen, als auch vom Landesarbeitsgericht Hamm Recht. Beide erklärten die Kündigung für unwirksam.
Diebstahl bleibt Diebstahl, auch bei Bagatellbeträgen
Dabei waren sich die Gerichte einig, dass der Kläger, indem er unberechtigt den Akku seines Elektrorollers an der Steckdose der Beklagten aufgeladen hat, den Tatbestand des § 248 c StGB (Entziehung elektrischer Energie) verwirklicht hat.
Der Straftatbestand der Entziehung elektrischer Energie ist ein Sonderfall des Diebstahls und damit ein Vermögensdelikt zum Nachteil der Arbeitgebers. Ein solche rechtswidrige Verletzungshandlung des Arbeitnehmers zu Lasten des Arbeitgebers sei grundsätzlich geeignet als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung.
Allerdings seien im Rahmen der Interessenabwägung die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Die Interessenabwägung ging in beiden Instanzen zu Gunsten des Klägers.
Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers
Zunächst war zu berücksichtigen, dass sich die Höhe des Schadens „hart an der Grenze des Messbaren“ bewegte und der Kläger keineswegs mit hoher kriminelle Energie vorgegangen sei, wie dies der Beklagte behauptete.
Das LAG wertete hierfür Fotos aus, die dokumentierten, das Segway gut sichtbar im Vorraum zum Rechenzentrum abgestellt war und nicht hinter einer offenstehenden Tür, großen Kisten oder Regalen versteckt. Ohne Weiteres sei auch erkennbar gewesen auch, dass der Elektroroller an einem Ladekabel angeschlossen war.
Nicht erkennbar sei lediglich gewesen, wohin dieses Ladekabel führt, da es hinter Kisten zum Stecker verlief. Hier hielt es die Kammer für plausibel, dass es dem Kläger hier darum gegangen sei, um Stolperfallen zu vermeiden.
Private Stromnutzung beim Arbeitgeber gängig
Im Rahmen der Interessenabwägung war für das LAG auch von Bedeutung, dass der Stromverbrauch aus privaten Gründen bei der Beklagten jedenfalls zum Zeitpunkt der Kündigung durchaus gängig war. Denn im Betrieb der Beklagten wurden zahlreiche privat mitgeführte elektronische Gegenstände betrieben, wie Kaffeemaschinen, Radios und Mikrowelle. Darüber hinaus wurden aber auch Handys aufgeladen.
Diese Praxis sei zugunsten des Klägers zu berücksichtigen. Soweit die Beklagte vorgetragen hat, der Personalleiter der Beklagten habe zweimal pro Jahr Kontrollgänge durchführt, so wertete das Gericht dies ebenfalls zu Lasten des Arbeitgebers.
Denn wenn es bei der Kontrolle nur darum gehe Missstände zu unterbinden, so erkenne der Arbeitgeber damit an, dass er eine Stromnutzung unterhalb der Missbrauchsschwelle gebe. Ein Verbrauch wie hier im Umfang von 1,8 Cent dürfe diese Schwelle kaum erreichen.
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Die Judikatur zur Bagatellkündigung ist um einen bizarren Fall reicher. Zu Recht hat das Gericht festgehalten, dass der Schaden „an der Grenze des Messbaren“ lag. Die Beklagte hat den Vorwurf dem Kläger gegenüber aufzubauschen versucht, in dem sie ihm besondere kriminelle Energie unterstellte.
Dieser Meinung ist das LAG nicht gefolgt. Das Segway sei gut sichtbar gewesen und es war auch erkennbar, dass es an einem Stromkabel hing. Das Gericht hat dem Kläger in lebensnaher Betrachtung zugestanden, das Kabel so zu legen, dass keine Stolperfallen entstehen.
Und auch wenn es im Ergebnis nicht darauf ankam: Beide Gerichte haben im Verhalten des Klägers ein strafbares Verhalten gesehen, weil der Kläger der Beklagten elektrische Energie entzogen hat. Berücksichtigt man allerdings, dass die Beklagte den Stromverbrauch ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im geringfügigen Umfang duldet, so erscheint dies fragwürdig.
Dadurch, dass die Beklagte nur die Auswüchse des Stromverbrauchs beschränkt hat, hat sie zugleich deutlich gemacht, dass sie mit Stromverbrauch in kleinen Mengen einverstanden ist. Es besteht vor diesem Hintergrund keine Notwendigkeit, den Kläger dem Unwerturteil einer Straftat auszusetzen.
Rechtliche Grundlagen
§ 248c StGB
(1) Wer einer elektrischen Anlage oder Einrichtung fremde elektrische Energie mittels eines Leiters entzieht, der zur ordnungsmäßigen Entnahme von Energie aus der Anlage oder Einrichtung nicht bestimmt ist, wird, wenn er die Handlung in der Absicht begeht, die elektrische Energie sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) Die §§ 247 und 248a gelten entsprechend.
(4) Wird die in Absatz 1 bezeichnete Handlung in der Absicht begangen, einem anderen rechtswidrig Schaden zuzufügen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe. Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt.
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