Verstößt ein Arbeitgeber gegen seine Pflicht, über einen Interessenausgleich zu verhandeln, muss er höhere Abfindungen zahlen. Copyright by Robert Kneschke / Fotolia
Verstößt ein Arbeitgeber gegen seine Pflicht, über einen Interessenausgleich zu verhandeln, muss er höhere Abfindungen zahlen. Copyright by Robert Kneschke / Fotolia

Mit seinem Urteil zu einem recht anschaulichen Fall nimmt das LAG Hamm Stellung zur Höhe eines vom Arbeitgeber zu zahlenden Nachteilsausgleich.

Erst Insolvenz, dann Verkauf

Arbeitgeber müssen im Rahmen eines Interessenausgleich mit dem Betriebsrat hinreichend verhandeln. Verkauft ein Arbeitgeber sein Unternehmen, während Verhandlungen mit dem Betriebsrat im Raum stehen, kann dies eine hohe Nachzahlung zur Folge haben, wenn Arbeitnehmer*innen wegen der Betriebsänderung kündigt.

Der Kläger war bei der Beklagten seit 48 Jahren beschäftigt. Zuletzt betrug das monatliche Bruttoentgelt rund 2.300 Euro. Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft IG Metall. Die Beklagte ist im Bereich Autozulieferung tätig und stellt Nadelfilzbeläge her. Am Standort, an dem der Kläger tätig war, arbeiteten rund 60 Arbeitnehmer*innen. Es existierte ein Betriebsrat. Der Kläger wurde von dem Büro Hamm der DGB Rechtsschutz GmbH vertreten.

Von Mai 2012 bis Februar 2013 befand sich die Beklagte in Insolvenz. Im Herbst 2015 teilte sie dem Betriebsrat mit, zum Ende des Jahres 2016 den Betrieb stilllegen und sämtliche Arbeitsverhältnisse kündigen zu wollen. Für die Beschäftigten solle die Möglichkeit bestehen, bei einer anderen Firma, an welcher der Mitgeschäftsführer der Beklagten beteiligt ist, weiter zu arbeiten.

Von Dezember 2015 bis Februar 2016 verhandelte die Beklagten mit dem Betriebsrat letztlich erfolglos über den Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans. Die anschließend eingerichtete Einigungsstelle vereinbarte im April 2016 einen Sozialplan mit einem Volumen von rund 400.000 Euro.

Kündigung, Abfindung und Verkauf

Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zu November 2016. Aus dem Sozialplan vom April 2016 erhielt er eine Zahlung in Höhe 2.000 Euro. Die anderen Beschäftigten erhielten eine Kündigung zu November oder Dezember 2016, das Unternehmen ist liquidiert.

Bereits Anfang Februar 2016 hatte die Beklagte mit der Firma, an welcher der Mitgesellschafter der Beklagten ebenfalls beteiligt ist, einen Kaufvertrag geschlossen.

In dem Kaufvertrag wurde unter anderem vereinbart:

„Der Kaufvertrag steht unter der auflösenden Bedingung, dass bis spätestens 31.5.2016 das Verfahren über einen Interessenausgleich abgeschlossen ist und damit die Voraussetzungen für die Umsetzung der Betriebsstilllegung vorliegen. Sollte dies innerhalb der Frist nicht eintreten, entfallen zu diesem Zeitpunkt alle Rechte und Pflichten aus dem Kaufvertrag“.

Kläger verlangt Nachteilsausgleich

Der Kläger war der Meinung, die Beklagte habe ihm einen Nachteilsausgleich zu zahlen und machte diesen im Januar 2017 schriftlich geltend. Die Beklagte habe bereits vor dem endgültigen Scheitern der Verhandlungen über einen Interessenausgleich ihren Betrieb verkauft. Mit dem Kaufvertrag vom Februar 2016 sei das Betriebsvermögen veräußert und damit endgültig und unwiderruflich die für eine Fortführung des Betriebs notwendigen Arbeitsmittel aufgegeben worden.

Unter Anrechnung der erhaltenen Sozialplan-Abfindung verlangte der Kläger von der Beklagten Nachteilsausgleich in Höhe von rund 18.000 EUR nebst Zinsen.

Die Beklagte behauptete demgegenüber, der Betriebsrat sei vor der tatsächlichen Umsetzung der Betriebsschließung ordnungsgemäß beteiligt worden. Vor dem Scheitern der Verhandlungen seien keine unumkehrbaren Fakten geschaffen worden. Denn der Kaufvertrag habe ja unter der auflösenden Bedingung gestanden, dass bis Ende Mai 2016 die Verhandlungen über einen Interessenausgleich beendet seien.

Geringer Erfolg vor dem Arbeitsgericht…

Das Arbeitsgericht gestand dem Kläger lediglich eine Zahlung in Höhe von 600 Euro zu. Zur Begründung führte das Arbeitsgericht aus, es bestehe zwar in Grunde ein Anspruch auf Nachteilsausgleich. Die Beklagte habe bereits vor Scheitern der Verhandlungen über den Interessen-ausgleich unumkehrbare Maßnahmen ergriffen.

Allerdings hielt es das Arbeitsgericht für angemessen, den Nachteilsausgleich in Höhe von lediglich rund 30 Prozent der vereinbarten Sozialplanabfindung festzusetzen. Der Kläger stehe kurz vor der Rente und das Unternehmen sei nur noch sehr eingeschränkt leistungsfähig.

…großer Erfolg vor dem LAG

Auf seine Berufung sprach ihm das Landesarbeitsgericht weitere rund 18.000 Euro zu. Wie schon das Arbeitsgericht betrachtete das Landesarbeitsgericht den Kaufvertrag von Februar 2016 als unumkehrbare Maßnahmen zur Auflösung ihrer betrieblichen Organisation.

Eine Betriebsänderung in Form der Stilllegung besteht nach Auffassung des LAG und der Rechtsprechung des BAG in der Aufgabe des Betriebszwecks unter gleichzeitiger Auflösung des Betriebsorganisation für unbestimmte Zeit. Die Umsetzung sei erfolgt, sobald der Unternehmer unumkehrbare Maßnahmen zur Auflösung der betrieblichen Organisation ergreift.

Mit dem Vertrag habe sie ihr gesamtes Anlagevermögen an die anderer Firma veräußert. Auch wenn sich die Beklagte in einer Zwangslage wegen weiterhin drohender Insolvenz befunden habe, hätte sie die zwingende Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates beachten müssen.

Kaufvertrag bereits bindend

Der Vertrag sei insbesondere deshalb unumkehrbar, weil die Beklagten ihn nicht mehr hätte rückgängig machen können. Dies ergebe sich auch nicht aus der auflösenden Bedingung, wonach die Verhandlungen über einen Interessenausgleich bis Ende Mai 2016 beendet sein mussten.

Denn der Betriebsrat hätte im Verfahren vor der Einigungsstelle die Verhandlungen für gescheitert erklären können. Damit wären die Verhandlungen beendet gewesen und der Vertrag wirksam geworden. Außerdem sei die Betriebsschließung zu Ende 2016 auch durch die vertragliche Vereinbarung vorgegeben gewesen.

Bei der Festlegung der Abfindungshöhe hat das LAG die Betriebszugehörigkeit von 48 (!) Jahren berücksichtigt. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei weder die finanzielle Leistungsfähigkeit, noch die individuelle Leistungsbereitschaft des Arbeitgebers erheblich

Sinn und Zweck des Nachteilsausgleichs sei nämlich, Verstöße gegen das im Betriebserfassungsgesetz vorgesehene Verfahren zu sanktionieren.

Hier finden Sie das Urteil des LAG Hamm

Lesen Sie auch

Erfüllt Nachteilsausgleichszahlung Abfindungsanspruch aus Sozialplan?
Kein Anspruch auf Sozialplanabfindung und Nachteilsausgleich
Was ist eigentlich ein Nachteilsausgleich?

Das sagen wir dazu:

Ein gutes Urteil des LAG Hamm: Wer zu früh verkauft, muss mehr zahlen! Das LAG diszipliniert mit seiner Entscheidung Arbeitgeber, die aus vorgeschobenen Gründen die Pflicht zur Verhandlung um einen Interessenausgleich verletzen.

In Hinblick auf die angemessene Höhe des Nachteilsausgleich gibt das LAG den Arbeitsgerichten als Grundsatz an die Hand, dass eine geringe Leistungsfähigkeit sich bei Verstößen gegen die Pflicht zur Verhandlung über einen Nachteilsausgleich nicht zugunsten der Arbeitgeber auswirken darf.

Rechtliche Grundlagen

§ 10 KSchG

Höhe der Abfindung
(1) Als Abfindung ist ein Betrag bis zu zwölf Monatsverdiensten festzusetzen.

(2) 1Hat der Arbeitnehmer das fünfzigste Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens fünfzehn Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu fünfzehn Monatsverdiensten, hat der Arbeitnehmer das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens zwanzig Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu achtzehn Monatsverdiensten festzusetzen. 2Dies gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer in dem Zeitpunkt, den das Gericht nach § 9 Abs. 2 für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses festsetzt, das in der Vorschrift des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch über die Regelaltersrente bezeichnete Lebensalter erreicht hat.

(3) Als Monatsverdienst gilt, was dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit in dem Monat, in dem das Arbeitsverhältnis endet (§ 9 Abs. 2), an Geld und Sachbezügen zusteht.