Mit dem Problem, ob eine Strafanzeige oder ein Strafantrag einen Kündigungsgrund abgibt, hat sich das Landesarbeitsgericht Hamm bereits im Jahr 2011 beschäftigt.
Vergleiche dazu:
Fristlose Kündigung wegen Strafanzeige gegen den Arbeitgeber ist unwirksam

Am 15.12.16 (2 AZR 42/16) hatte das Bundesarbeitsgericht bei dem oben geschilderten Fall ebenfalls zu entscheiden, ob eine Kündigung gerechtfertigt ist, die wegen eines Strafantrags gegen die Arbeitgeberin erfolgt.

Grundsatz

Zunächst stellt das Bundesarbeitsgericht fest, dass ein Strafantrag im Regelfall keine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten sei, die eine Kündigung begründen kann. Der Grund dafür bestehe darin, dass Arbeitnehmer*innen mit einem Strafantrag staatsbürgerliche Rechte wahrnehmen. Diese Rechte darf ein Arbeitgeber grundsätzlich nicht durch eine Kündigung beeinträchtigen.

Ausnahmen

In seinem Urteil vom 15.12.16 listet das Bundesarbeitsgericht jedoch Ausnahmen und deren Voraussetzungen auf.

Verletzung der Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf den Arbeitgeber

Im Bürgerlichen Gesetzbuch ist geregelt:
„Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten."

Für das Arbeitsverhältnis bedeutet das, dass auch Arbeitnehmer*innen die
(Neben-)Pflicht haben, auf den Arbeitgeber Rücksicht zu nehmen. Wenn sie also einen Strafantrag stellen wollen, müssen sie dabei auch die schützenswerten Interessen des Arbeitgebers berücksichtigen. Ein solches schützenswertes Interesse ist, dass der Arbeitgeber bei Mitarbeitern und Kunden nicht als (potentieller) Straftäter dastehen will („negative Publizität").

Aspekte der Pflicht zur Rücksichtnahme

Für die Frage, ob Arbeitnehmer*innen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme verletzt haben, sind mehrere Gesichtspunkte von Bedeutung:

  • Strafantrag als angemessene Reaktion auf ein Verhalten des Arbeitgebers
  • Versuch einer innerbetrieblichen Klärung
  • Pflichtverletzung, wenn gerade das „Opfer“ den Strafantrag stellt
  • Schuldhafte Pflichtverletzung

Strafantrag als angemessene Reaktion auf ein Verhalten des Arbeitgebers

Ein Strafantrag ist keine angemessene Reaktion, wenn der Sachverhalt, den Arbeitnehmer*innen der Staatsanwaltschaft berichten, zwar objektiv zutreffend ist, aber keinerlei Anhaltspunkte für eine Strafbarkeit ersichtlich sind. In einem solchen Fall wäre ein Strafantrag leichtfertig und unangemessen und würde die Interessen des Arbeitgebers außer Acht lassen. Deshalb wäre dann eine Kündigung gerechtfertigt.

Versuch einer innerbetrieblichen Klärung

Ein Strafantrag stellt auch dann eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung dar, wenn den Arbeitnehmer*innen zumutbar gewesen wäre, zunächst eine innerbetriebliche Klärung ihrer Vorwürfe gegen den Arbeitgeber herbeizuführen. Das ist allerdings unzumutbar, wenn objektive Tatsachen dafür sprechen, dass ein innerbetriebliches Vorgehen keinerlei Aussicht auf Erfolg hätte.

Pflichtverletzung, wenn gerade das „Opfer“ den Strafantrag stellt

Auch dann, wenn der Strafantrag vom „Opfer“ der behaupteten Straftat selbst kommt, kann er eine Pflichtverletzung darstellen. Denn allein die „Opfer“-Eigenschaft entbindet Arbeitnehmer*innen nicht von ihrer Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Dies gilt insbesondere, wenn die Vorwürfe gegen den Arbeitgeber völlig haltlos sind. Andererseits sind hier aber auch die Interessen von Arbeitnehmer*innen zu berücksichtigen. Wer sich selbst für das „Opfer“ einer Straftat hält, kann - je nach Einzelfall - weniger strengen Anforderungen zur Rücksichtnahme unterliegen.

Schuldhafte Pflichtverletzung

Ein Strafantrag kann nur zu einer Kündigung führen, wenn die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers verschuldet war. Ein Verschulden liegt vor, wenn Arbeitnehmer*innen beispielsweise einen Strafantrag wider besseres Wissen stellen. In Betracht kommen aber auch Fallgestaltungen, in denen die Haltlosigkeit des Vorwurfs für die Arbeitnehmer*innen zumindest erkennbar war. An einer schuldhaften Pflichtverletzung fehlt es jedoch, wenn Arbeitnehmer*innen einem Irrtum unterliegen, der unvermeidbar ist. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn sie zu einer falschen Einschätzung der Strafbarkeit kommen, weil ihnen schwierige Probleme bei der strafrechtlichen Bewertungen eines Sachverhaltes nicht bekannt sind.

Der Fall der Klägerin

Das Bundesarbeitsgericht wendet die beschriebenen Grundsätze auf die Kündigung der Klägerin wie folgt an:

  • Zum einen sei für eine Strafbarkeit der Arbeitgeberin nach dem Bundesdatenschutzgesetz eine Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht erforderlich. Anhaltspunkte, die eine solche Absicht belegen könnten, hat nicht einmal die Klägerin der Staatsanwaltschaft gegenüber angegeben. Der Strafantrag sei deshalb unangemessen gewesen und verletze die schützenswerten Interessen der Arbeitgeberin. 
  • Zum anderen sei der Klägerin zumutbar gewesen, vor einem Strafantrag eine innerbetriebliche Klärung herbeizuführen. Dazu wäre unter anderem in Betracht gekommen, sich an das Referat „Datenschutz“ ihrer Arbeitgeberin oder an ihren Datenschutzbeauftragten zu wenden. 
  • Drittes habe der Strafantrag auch einen schuldhaften Pflichtverstoß dargestellt. Denn die Klägerin habe als Juristin wissen müssen, dass für eine Strafbarkeit ihrer Arbeitgeberin eine Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht erforderlich ist. 

Nach alledem kommt das Bundesarbeitsgericht zu dem Schluss, dass die von der Klägerin angegriffene Kündigung gerechtfertigt sei.

Hier finden Sie das vollständige Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15.12.2016, Az: 2 AZR 42/16