Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat die Kündigung einer Arbeitnehmerin für unwirksam erklärt, obwohl sie in den vergangenen Jahren erhebliche Fehlzeiten hatte.

Über Jahre hinweg erhebliche Krankheitszeiten

Die Arbeitnehmerin war seit 2003 als Anlagenfahrerin und Maschinenbedienerin im Schichtdienst tätig. Seit 2011 hatte sie erhebliche Fehlzeiten aufgrund von Krankheit. Im Einzelnen waren dies:

 

  • 2011: 139 Kalendertage
  • 2012: 84 Kalendertage
  • 2013: 26 Kalendertage
  • 2014: 81 Kalendertage
  • 2015: 70 Kalendertage bis Oktober


Daraufhin beschloss die Arbeitgeberin, der Anlagenfahrerin zu kündigen. Sie begründete die Kündigung mit den erheblichen Fehlzeiten. Die eheblichen Fehlzeiten ließen den Schluss zu, dass auch in Zukunft erhebliche Fehlzeiten entstünden, so dass die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar sei.

Nach Ausspruch der Kündigung war die Arbeitnehmerin nur noch selten krank, auch im anschließend vereinbarten Prozessarbeitsverhältnis traten keine nennenswerten Krankheitszeiten mehr auf.

Fehlzeiten müssen Prognose ermöglichen

Die Arbeitnehmerin wehrte sich gegen die Kündigung und hatte damit sowohl vor dem Arbeitsgericht, als auch vor dem Landesarbeitsgericht Erfolg. Die Anforderungen an eine wirksame krankheitsbedingte Kündigung seien nicht erfüllt.

Zuletzt stellte das Landesarbeitsgericht klar, dass bei erheblichen Fehltagen, wie sie im vorliegenden Fall bestehen, bei pauschaler Betrachtung der Verdacht aufkommen könne, dass sich das Arbeitsverhältnis auch zukünftig nicht gut entwickeln werde. Eine solche Prognose ist notwendig, um eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen.

Gleichzeitig wies das Gericht aber darauf hin, dass nicht jede Fehlzeit aufgrund von Krankheit geeignet ist, eine solche Prognose stützen könnten. Hier kommt es auf die Art der krankheitsbedingten Fehlzeit an.

Lebenskrisen gehen in der Regel vorbei

Deshalb seien die Ausfallzeiten aus dem Jahre 2015 im Umfang von 54 Tagen nicht prognosefähig. Hier sah es das Gericht als erwiesen an, dass die Ausfallzeiten durch eine körperliche Reaktion ("posttraumatischer Beschwerdekomplex") auf die durch die Scheidung ausgelöste Lebenskrise hervorgerufen wurden.

Die Klägerin hat sich nach der Überzeugung des Gerichts im Sommer und Herbst 2015 in einer Lebenskrise befunden, in der sie vorübergehend ihren Lebensmut verloren hatte, was als nachvollziehbare Reaktion auf die Scheidung anzusehen sei.

Allerdings entspreche es ebenso der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Lebensmut mit dem zeitlichen Abstand zu dem auslösenden Ereigniskomplex wiederkehre. Denn: „Im Regelfall stellt sich heraus, dass es trotz der erlebten Krise möglich ist, das Leben auch unter den veränderten Bedingungen geordnet und möglicherweise alsbald auch wieder mit Lebensfreude fortzuführen.“

Soweit also die Lebenskrise ihren „natürlichen Verlauf“ nehme, seien in Zukunft keine weiteren Fehltage zu erwarten, so dass sie bei einer Kündigung keine Berücksichtigung finden können.

Ausgeheilte Krankheiten ebenfalls nicht prognosefähig

Bei den Fehlzeiten aus den Jahren 2011 und 2012 müssten insgesamt 187 Tage herausgerechnet werden. Der eingeklemmte Nervs im linken Ellenbogen, der für diese Fehlzeiten verantwortlich sei, war nach Ansicht des Gerichts als ausgeheilt anzusehen.

Gleiches gilt für die Folgen eines häuslichen Treppensturzes im Jahre 2014, der für weitere 76 Tage krankheitsbedingter Abwesenheit verantwortlich war. Gerade bei Unfällen gäbe es in der Regel keine Wiederholungsgefahr.

Rechne man diese Fehlzeiten ab, so blieben keine relevanten Fehltage übrig, die eine negative Prognose begründen könnten, zumal nach Ausspruch der Kündigung keine Fehlzeiten mehr im relevanten Umfang angefallen seien.

Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 07.03.2017, 2 Sa 158/16 hier im Volltext

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„Das Leben geht weiter!“  - Auf diesen knappen Nenner lässt sich die Entscheidungsbegründung des Landesarbeitsgerichtes bringen. Dies gilt sowohl für die körperlichen, als auch für die seelischen Qualen, die die Klägerin auszustehen hatte.

 

Denn zunächst einmal sind sowohl körperliche Verletzungen, als auch Lebenskrisen etwas, das zum Leben dazu gehört und das zur Arbeitsunfähigkeit führen kann. Der Arbeitgeber muss dies erstmal so hinnehmen.

 

Eine Kündigung darf er dagegen nur aussprechen, wenn er aufgrund erheblicher krankheitsbedingter Fehlzeiten davon ausgehen muss, dies werde sich in Zukunft so fortsetzen, so dass der Betriebsablauf durch die Fehlzeiten erheblich gestört wird.

I will survive

Und hier hat das Gericht sehr deutlich gemacht, dass eine pauschale und undifferenzierte Betrachtung eben nicht ausreicht. Das gilt schon gar nicht für Unfälle, die in vielen Fällen zunächst zu erheblichen Fehlzeiten führen, bei denen aber nach guter Heilung nichts mehr zurück bleibt. Auch andere Erkrankungen kurieren völlig aus.

 

Dies gilt, wie das Landesarbeitsgericht jetzt in erfreulicher Klarheit feststellt, auch für Lebenskrisen. Hier beruft es sich auf die allgemeine Lebenserfahrung, nach der es den Betroffenen in der Regel möglich ist, mit einem gewissen zeitlichen Abstand das Leben „unter den veränderten Bedingungen geordnet und alsbald wieder mit Lebensfreude fortzuführen.“

 

Erst, wenn der Arbeitgeber hätte nachweisen können, dass „etwas zurückgeblieben“ ist, das weitere Fehlzeiten befürchten ließe, wäre dies anders zu beurteilen. Andernfalls gilt, was einst schon Gloria Gaynor sang: „I will survive!“

Rechtliche Grundlagen

§ 1 Kündigungsschutzgesetz

§ 1 Sozial ungerechtfertigte Kündigungen
(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn
1. in Betrieben des privaten Rechts
a) die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b) der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2. in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a) die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b) der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.