Postboten beginnen ihre Ausbildung oft schon in sehr jungen Jahren. Copyright by Adobe Stock/beto_chagas
Postboten beginnen ihre Ausbildung oft schon in sehr jungen Jahren. Copyright by Adobe Stock/beto_chagas

Gleich mehrere Verfahren leitete die Gewerkschaft Verdi über das Saarbrücker Büro der DGB Rechtsschutz GmbH ein. Es ging dabei überall um die Frage, ob Ausbildungszeiten von Postboten vor Vollendung des 17. Lebensjahres bei der Höhe des Ruhegehaltes zu berücksichtigen sind. Die Zeiten hatte der Dienstherr bei der Berechnung der Versorgung nämlich nicht berücksichtigt und sich dabei auf eine Übergangsvorschrift im Beamtenversorgungsgesetz berufen.

Das Gesetz sieht erst ab Januar 2017 vor, Ausbildungszeiten bei der Versorgung zu berücksichtigen

Ab Januar 2017 sehe das Gesetz erst vor, dass Ausbildungszeiten vor dem 17. Lebensjahr berücksichtigt würden. Für Versorgungsfälle davor sei das anders.

Die Kläger bekamen jedoch bereits in der ersten Instanz beim Verwaltungsgericht des Saarlandes recht. Das Berufungsgericht bestätigte nun dieses Urteil.

Der Dienstherr der Postbeamten bezog sich im Verfahren rigoros auf geltende gesetzliche Bestimmungen. Es verstoße auch nicht gegen europäisches Recht, wenn die streitigen Zeiten nicht berücksichtigt würden.

Das Oberverwaltungsgericht sah das anders

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) sah das anders. Der Kläger sei bereits vor Januar 2017 in den Ruhestand getreten. In seinem Fall finde daher die gesetzliche Vorschrift Anwendung, die zu diesem Zeitpunkt gegolten habe. Diese nehme eine Beschränkung der ruhegehaltsfähigen Dienstzeiten ab dem 17. Lebensjahr vor.

Das Gericht legte seiner Entscheidung die Europäische Richtlinie zu Grunde, die einen allgemeinen Rahmen für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf festlegt (Richtlinie 2000/78).

Diese Richtlinie gelte für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen

Diese Richtlinie gelte für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen. Auf Leistungen seitens der staatlichen Systeme einschließlich die der sozialen Sicherheit oder des sozialen Schutzes beziehe sich diese Richtlinie jedoch nicht. Auf Letzteres hatte der Dienstherr des Klägers jedoch abgestellt.

Bei den Bezügen des Klägers handele es sich um einen Bestandteil des Arbeitsentgelts - so das OVG. Die Bezüge stellten keine Leistung aus einem staatlichen System der sozialen Sicherheit bzw. des sozialen Schutzes dar. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG).

Das Bundesverwaltungsgericht habe schon entschieden, dass eine Hinterbliebenenversorgung Bestandteil des Arbeitsentgelts sei

Das BVerwG habe nämlich schon entschieden, dass eine Hinterbliebenenversorgung Bestandteil des Arbeitsentgelts sei. Wenn das schon für die Hinterbliebenenversorgung gelte, dann seien erst recht die Versorgungsbezüge des Ruhestandsbeamten von der Richtlinie umfasst. Diese stünden in einem noch näheren Zusammenhang zum Arbeitsentgelt als die Bezüge der Hinterbliebenen.

Vorschriften, wonach Ausbildungszeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres bei der Berechnung der Versorgungsbezüge nicht berücksichtigt würden, verstießen gegen die Richtlinie 2000/78.

Die betroffenen Beamten*innen würden unmittelbar wegen des Alters diskriminiert

Die betroffenen Beamten*innen würden unmittelbar wegen des Alters diskriminiert.

Diejenigen Beamten*innen, die ihre Ausbildung bereits vor dem 17. Lebensjahr begonnen hätten, würden nämlich schlechter behandelt, als diejenigen, die schon 17 Jahre oder älter gewesen seien. Gründe hierfür gebe es nicht. Das Gesetz knüpfe unmittelbar an das Alter an. Das sei diskriminierend.

Das Gericht setzt sich in der Entscheidung umfassend mit den Voraussetzungen der Richtlinie 2000/78 auseinander. Es wägt auch die unterschiedlichen stattlichen Versorgungssysteme für die Beamten*innen aus unterschiedlichen Ländern Europas ab.

Der Europäische Gerichtshof hatte schon 2016 zum österreichischen Versorgungssystem entschieden

Der Europäische Gerichtshof hatte schon 2016 zum österreichischen Versorgungssystem entschieden. Er war dabei zum Ergebnis gekommen, dass die Richtlinie 2000/78 auf österreichische Beamte*innen nicht angewandt werden könne.

Grund dafür sei, dass Österreich ein Alter von 18 Jahren festsetze, ab dem die Personen, die an das Rentensystem der Bundesbeamten*innen angeschlossen seien, Beiträge zahlten. Damit solle eine Gleichbehandlung der Beamten gewährleistet werden. Beamte*innen würden „Mitglied“ des Systems. Etwaige Zeiten vor dem 18. Lebensjahr würden auf andere Weise ausgeglichen.

Das deutsche Versorgungssystem sei jedoch anders

Das deutsche Versorgungssystem sei jedoch anders. Es unterscheide sich sowohl hinsichtlich der Beiträge als auch hinsichtlich der Harmonisierung zwischen Beamtenversorgung und dem gesetzlichen Rentenrecht. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof von 2016 könne daher nicht auf das deutsche Beamtenversorgungsrecht übertragen werden.

Dies habe schließlich der Gesetzgeber auch gewürdigt, indem er seit Januar 2017 Ausbildungszeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres berücksichtigte.

Da der Kläger hier unmittelbar wegen seines Alters diskriminiert worden sei, dürfe die Regelung nicht berücksichtigt werden, die die Diskriminierung hervorrufe. Das Gericht sprach dem Kläger deshalb die Ausbildungszeiten vor seinem 17. Lebensjahr bei der Berechnung seiner Versorgung zu.

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 17. April 2020 – 1 A 135/18

§ 12 BeamtVG a.F

Das sagen wir dazu:

Man mag meinen, die Entscheidung betreffe einen Fall der sich so nicht wiederholen könnte. Immerhin änderte der Gesetzgeber § 12 BeamtVG ab Januar 2017. Ohne Relevanz bleibt die Entscheidung dennoch nicht.

Das Oberverwaltungsgericht setzt sich - zugegebenermaßen auch für Juristen schwer verständlich - mit den unterschiedlichen Versorgungssystemen zweier europäischer Länder auseinander. Anhand eines früheren Urteils des Europäischen Gerichtshofs von 2016 wird erklärt, dass das deutsche System der Beamtenversorgung ganz wesentlich von dem österreichischen System abweicht.

Die negative Entscheidung des EuGH bezogen auf die Situation in Österreich kann nach Ansicht des saarländischen OVG deshalb auf die Rechtslage in Deutschland nicht übertragen werden. Die Beamtenversorgung in Deutschland fällt damit sehr wohl unter die Richtlinie 2000/78. Die Ungleichbehandlung wegen des Alters bei der Berücksichtigung von Ausbildungszeiten wird sicher nicht mehr zu großen Rechtsstreiten führen. Das Gesetz wurde ja entsprechend geändert. Was bleibt ist aber die Erkenntnis, dass das System der deutschen Beamtenversorgung unter die Richtlinie 2000/78 fällt. Fälle, in welchen es um die Gleichbehandlung bei den Versorgungsbezügen deutscher Beamter geht, wird es sicher auch künftig geben.

Rechtliche Grundlagen

§ 12 BeamtVG (Fassung bis 15.3.12), § 69k BeamtVG

Für Versorgungsfälle, die vor dem 11. Januar 2017 eingetreten sind, sind § 6 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1, § 8 Absatz 1, § 9 Absatz 1, § 10 Satz 1, die §§ 11, 12 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2, § 13 Absatz 2 Satz 1 und 3, § 14a Absatz 2 Satz 1, § 38 Absatz 2 Nummer 2 und § 55 Absatz 2 in der bis zum 10. Januar 2017 geltenden Fassung anzuwenden. Satz 1 gilt entsprechend für künftige Hinterbliebene eines vor dem 11. Januar 2017 vorhandenen Versorgungsempfängers.