Die DHV - Die Berufsgewerkschaft e.V. (DHV) ist nicht tariffähig. Das hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts nun entschieden und damit dem Antrag mehrerer DGB-Gewerkschaften entsprochen.

Nur ein hoher Organisationsgrad verleiht Durchsetzungskraft

Tariffähigkeit ist die Fähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung, sich gegenüber der Arbeitgeberseite durchzusetzen, indem sie einen erheblichen Teil der Beschäftigten in ihrem Bereich organisiert.

Diese soziale Mächtigkeit ergibt sich nach der Rechtsprechung durch die Zahl der organisierten Arbeitnehmer *innen.

Die im Jahr 1950 als Gewerkschaft der Kaufmannsgehilfen gegründete DHV versteht sich seit 2002 als eine Gewerkschaft der Arbeitnehmer*innen in Bereichen, die durch kaufmännische und verwaltende Berufe geprägt sind. Seit 2014 hat sie den Anspruch, Arbeitnehmer*innen in unterschiedlichsten Bereichen zu vertreten.

Hierzu zählen beispielsweise private Banken und Bausparkassen, Versicherungsgewerbe, Einzel- und Binnengroßhandel, Krankenhäuser in privatrechtlicher Rechtsform, Rettungsdienste, Deutsches Rotes Kreuz, Fleischwarenindustrie, Reiseveranstalter, Textilreinigung, Einrichtungen der privaten Alten- und Behindertenpflege sowie IT-Dienstleistungsunternehmen für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte.

DHV vertritt selbst nach eigenen Angaben nur 1 % der Beschäftigten

Nach eigenen Angaben sind in der DHV 66.826 Mitglieder organisiert, die in ihrem satzungsmäßigen Zuständigkeitsbereich beschäftigt sind. In diesem Zuständigkeitsbereich sind - wiederum nach Eigenangaben - circa 6,3 Mio. Abeitnehmer*innen beschäftigt. Dies entspricht einem Gesamtorganisationsgrad von etwa 1 %.

Dabei schwankt der Organisationsgrad der DHV in den einzelnen Zuständigkeitsbereichen zwischen ungefähr 0,3 % (kaufmännische und verwaltende Berufe bei kommunalen Arbeitgebern) und 2,4 % (Versicherungsgewerbe).

Daher hatten unter anderem die IG Metall, ver.di und die NGG beantragt festzustellen, dass die DHV aufgrund dieses geringen Organisationsgrades nicht tariffähig ist. Dabei gingen sie von rund 10.000 Mitgliedern in einem Organisationsbereich von rund 11 Mio. Beschäftigten aus.

Ein langes Verfahren geht zu Ende

Das BAG legte zu Gunsten der DVH in einem ersten Schritt ihre eigenen Zahlen zu Grunde - und lies dies für seine Entscheidung genügen. Das Gericht konnte im Rahmen einer Gesamtwürdigung nicht prognostizieren, dass die DHV in ihrem Zuständigkeitsbereich über die notwendige mitgliedervermittelte Durchsetzungsfähigkeit verfügt.

Die soziale Mächtigkeit könne die DHV auch nicht aus ihrer Teilnahme am Tarifgeschehen auf der Grundlage ihrer aktuellen Satzung herleiten.

Damit geht ein fast acht Jahre langes Verfahren zu Ende: Das Arbeitsgericht Hamburg hatte dem Antrag im Jahre 2015 stattgegeben. Das LAG hatte ihn abgewiesen, war jedoch 2018 vom BAG aufgehoben worden und hatte 2020 wie das Ausgangsgericht entschieden. Das BAG hat jetzt die hiergegen erhobene Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.

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Pressemitteilung des BAG

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Arbeitsgericht spricht DHV Tariffähigkeit ab
Allein aus der Bezeichnung Gewerkschaft ergibt sich keine Tariffähigkeit

Das sagen wir dazu:

Mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts dürfte ein unseliges Kapitel der deutschen Tarifgeschichte zu Ende gehen. Die DHV, der das Gericht nun die Fähigkeit abgesprochen hat, wirksam Tarifverträge abzuschließen, war einst Mitbegründerin der „CGZP“ (Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit). 

Der lange Schatten der CGZP

Diese wiederum hatte maßgeblichen Anteil am Tarifdumping in der Leiharbeit, indem sie entsprechende Tarifverträge abschloss. Im Jahre 2010 stellte das Bundesarbeitsgericht fest, dass die CGZP nicht tariffähig ist, was zu einer Klagewelle auf angemessene Bezahlung führte.

Heute stehen die CGZP-Verfahren als Chiffre dafür, wie das Instrument des Tarifvertrages systematisch missbraucht wurde, um Arbeitnehmerrechte auszuhöhlen.

Das deutsche Arbeitsrecht sieht an vielen Stellen Öffnungsklauseln für Tarifverträge vor, durch die diese auch zulasten von Beschäftigten von Gesetzen abweichen können. Der Gesetzgeber geht dabei davon aus, dass die Tarifvertragsparteien für ihre Branchen passgenauere Regelungen treffen können und durch die Beteiligung der Gewerkschaften die Rechte der Beschäftigten hinreichend berücksichtigt sind. 

Kleinstgewerkschaften als Strohmänner der Arbeitgeber

Eine solche effektive Vertretung der Beschäftigten gab es im Fall der CGZP nicht. Die Arbeitgeberseite hatte sich lediglich einer mitgliederschwachen Kleinstgewerkschaft bedient, um mit ihr als Strohmann gesetzliche Mindeststandards zu unterlaufen.

Das Bundesarbeitsgericht hat sich deshalb nicht von dem Argument beeindrucken lassen, die DHV habe ja am Tarifgeschehen teilgenommen. Allein dies kann keine Wirkmächtigkeit begründen, da die Position als Vertragspartner aus einer Entscheidung der Gegenseite resultiert. Wer schließt nicht gerne Verträge mit einem schwachen Verhandlungspartner?

Die Teilnahme am Tarifgeschehen ist deshalb nur dann aussagekräftig für die Wirkmächtigkeit, wenn es einer Gewerkschaft gelingt, die Gegenseite auch gegen ihren Willen an den Verhandlungstisch zu zwingen. 

Nur Mitglieder machen Gewerkschaften stark

Dies wiederum gelingt nur, wenn es der Gewerkschaft gelingt, einen hohen Anteil der Beschäftigten, die unter den gewünschten Tarifvertrag fallen, zu organisieren und im Zweifelsfall für einen Streik zu mobilisieren.

Das BAG sieht daher völlig zurecht den Organisationsgrad in der jeweiligen Branche als zentralen Aspekt für die Tariffähigkeit einer Gewerkschaft an.

Man kann die Entscheidung daher durchaus als Appell zum Eintritt in eine Gewerkschaft verstehen. Denn nur mit einer starken Gewerkschaft in der eigenen Branche verbessern sich die Arbeitsbedingungen tatsächlich.

Rechtliche Grundlagen

Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz

(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.