Keinen Anspruch auf Mindestlohn hat, wer ein Praktikum leistet, das für die Aufnahme eines Studiums zwingend vorgeschrieben ist. © Adobe Stock - Von Robert Kneschke.
Keinen Anspruch auf Mindestlohn hat, wer ein Praktikum leistet, das für die Aufnahme eines Studiums zwingend vorgeschrieben ist. © Adobe Stock - Von Robert Kneschke.

 

Eine junge Frau, die bei einer Krankenhausbetreiberin ein sechsmonatiges Praktikum auf einer Krankenpflegestation absolviert hatte, hatte den gesetzlichen Mindestlohn eingeklagt.

 

Ohne Pflegepraktikum kein Medizinstudium

 

Sie hatte das Praktikum vom 20. Mai bis zum 29. November 2019 abgeleistet, weil sie beabsichtigte, sich an einer privaten, staatlich anerkannten Universität um einen Studienplatz im Fach Humanmedizin zu bewerben. Nach der Studienordnung für Humanmedizin ist ein sechsmonatiges Praktikum im Krankenpflegedienstes Voraussetzung für das Studium. Eine Vergütung war im Praktikumsvertrag nicht vereinbart.

 

Im Anschluss an das Praktikum klagte sie Vergütung auf Basis des Mindestlohnes in Höhe von etwa 10.000 € brutto ein. Sie habe im Rahmen einer Fünftagewoche täglich siebeneinhalb Stunden gearbeitet. Ein Vorpraktikum vor Aufnahme eines Studiums sei kein Pflichtpraktikum im Sinne des Mindestlohngesetzes, daher greife die gesetzliche Ausnahme von der Vergütungspflicht nicht.

 

Mit der Klage hatte sie jedoch keinen Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht folgte den Vorinstanzen, wonach die Klägerin nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes unterfällt.

 

„hochschulrechtlichen Bestimmung“ erfasst auch Zugangsvorschriften

 

Nach dem Mindestlohngesetz haben Praktikant*innen grundsätzlich Anspruch auf Mindestlohn. Dies gilt aber nicht für Pflichtpraktika, die in einer schul- oder hochschulrechtlichen Bestimmung, Ausbildungsordnung oder im Rahmen einer Ausbildung an einer Berufsakademie vorgeschrieben sind.

 

Das Bundesarbeitsgericht versteht die Vorschrift „hochschulrechtlichen Bestimmung“, ebenso wie die Vorinstanzen so, dass nicht nur Praktika im Rahmen des Studiums selbst erfasst sind, sondern auch Praktika, die erforderlich sind, um zu diesem Studium zugelassen zu werden.

 

Das Gericht verweist hier auf die Gesetzesbegründung. Aus dieser ergebe sich eindeutig, dass auch Zulassungspraktika vom Mindestlohn ausgenommen sein sollen. Dies gelte, obwohl die Studienordnung von einer privaten Universität erlassen wurde.

 

Denn diese Universität ist staatlich anerkannt und sei daher einer öffentlich-rechtlichen Regelung gleichgestellt ist. Das Praktikumserfordernis in der Studienordnung führe also nicht dazu, dass der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für Praktikanten sachwidrig umgangen werde.

 

Links

Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts

 

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Das sagen wir dazu:

Auch Praktikant*innen haben Anspruch auf Mindestlohn. Soweit ist das Gesetz klar. Der Gesetzgeber hat aber auch Ausnahmen vorgesehen, etwa für Praktika, die Schüler*innen, Studierende oder Auszubildende im Rahmen ihrer jeweiligen Ausbildung absolvieren müssen.

 

Nicht für jedes Praktikum gibt es Mindestlohn

 

Offenbar war der Gesetzgeber der Meinung, dass die Betroffenen eher nicht monatelang als billige Hilfskräfte missbraucht werden, wenn das Praktikums in eine staatliche oder staatlich überwachte Ausbildung eingebettet ist, zumal die Praktika zeitlich limitiert, unter Umständen auch inhaltlich vorgegeben sind.

 

Zudem wäre es für die Praktikant*innen schwieriger, einen Platz zu bekommen, wenn der Praktikumsgeber hierfür Lohn zahlen müsste. Es wäre nichts gewonnen, wenn ein Studium oder eine Ausbildung daran scheitern würde, dass jemand keinen entsprechenden Praktikumsplatz erhalten hat.

 

Aber wie verhält es sich mit Praktika, die nicht im Rahmen der Ausbildung selbst zu absolvieren sind, sondern die Voraussetzung dafür sind, die jeweilige Ausbildung beginnen zu können?

 

Was sind „hochschulrechtliche Bestimmungen“

 

Das Gesetz verwendet den Begriff „hochschulrechtlichen Bestimmung“ und setzt damit einen weiten Rahmen. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat sich in der Vorinstanz mit der Entstehung des Mindestlohngesetzes an dieser Stelle beschäftigt. Im Urteil heißt es:

 

Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens hat sich der Gesetzgeber bewusst dafür entschieden, statt des engeren Begriffs der „Studienordnung“ (BT-Drucks. 18/1558 S. 15) den weiter gefassten Begriff der „hochschulrechtlichen Bestimmung“ in den Gesetzestext aufzunehmen, womit ausdrücklich auch Zulassungsordnungen, welche die Absolvierung eines Praktikums als Voraussetzung zur Aufnahme eines bestimmten Studiums verpflichtend vorschreiben, erfasst sein sollten (BT-Drucks. 18/2010 (neu), S. 24).

Hierauf nimmt das Bundesarbeitsgericht Bezug, wenn es in der Pressemitteilung formuliert, der Gesetzgeber wollte eindeutig Zulassungspraktika vom Mindestlohn ausnehmen.

 

Juristisch vertretbar, politisch fragwürdig

 

Wenn der Begriff „hochschulrechtliche Bestimmung“ weit auszulegen ist, erscheint es vertretbar, auch Zulassungspraktika hierunter zu fassen und damit vom Mindestlohn auszunehmen.

 

Das führt allerdings dazu, dass – jedenfalls an dieser Hochschule – nur Menschen studieren können, die sich ein sechsmonatiges unbezahltes Vollzeitpraktikum leisten können. Ohne Immatrikulation gibt es weder BAföG-Leistungen noch studentische Vergünstigungen wie Mensaessen und Studentenwohnheim.

 

Grundsätzlich sinnvolle Maßnahmen wie ein Vorpraktikum führen in Kombination mit der Möglichkeit, diese für Praktikumsgeber kostenfrei zu gestalten, im Ergebnis dazu, dass der Zugang zu höherer Bildung mehr denn je vom Geldbeutel der Eltern abhängt.

Rechtliche Grundlagen

§ 22 MiLoG

Persönlicher Anwendungsbereich

(1) Dieses Gesetz gilt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Praktikantinnen und Praktikanten im Sinne des § 26 des Berufsbildungsgesetzes gelten als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes, es sei denn, dass sie
1. ein Praktikum verpflichtend auf Grund einer schulrechtlichen Bestimmung, einer Ausbildungsordnung, einer hochschulrechtlichen Bestimmung oder im Rahmen einer Ausbildung an einer gesetzlich geregelten Berufsakademie leisten,
2. ein Praktikum von bis zu drei Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums leisten,
3. ein Praktikum von bis zu drei Monaten begleitend zu einer Berufs- oder Hochschulausbildung leisten, wenn nicht zuvor ein solches Praktikumsverhältnis mit demselben Ausbildenden bestanden hat, oder
4. an einer Einstiegsqualifizierung nach § 54a des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder an einer Berufsausbildungsvorbereitung nach §§ 68 bis 70 des Berufsbildungsgesetzes teilnehmen.