Neumann arbeitet in einem größeren Metallbetrieb. Aufgrund der Corona-Pandemie kam es im Frühjahr des letzten Jahres zu Kurzarbeit. Dazu gab es eine Betriebsvereinbarung Kurzarbeit. Der Arbeitgeber legte diese so aus, dass einige Plusstunden des Arbeitszeitkontos eingesetzt werden mussten. Er hat also Stunden von den Arbeitszeitkonten seiner Beschäftigten gekürzt.
Im Betrieb wurde einige Zeit heftig dagegen protestiert. Die Diskussion zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber zog sich hin. Als keine Änderung erreicht wurde, hat Neumann schließlich seine Gewerkschaft eingeschaltet. Die hat dann die Ansprüche geltend gemacht hat, leider ergebnislos. Es folgte eine Klage vor dem Arbeitsgericht mit dem Ziel, die Stunden wieder gutgeschrieben zu bekommen.
Ausschluss- oder Verfallfristen
Lohnabrechnungen werden monatlich erteilt. Viele Tarifverträge und Arbeitsverträge enthalten Klauseln, wonach derjenige, der mehr beansprucht, als in den Abrechnungen ausgewiesen ist, sich innerhalb bestimmter Fristen wehren muss. Ziel solcher Klauseln ist eine frühe Rechtssicherheit.
In Neumanns Arbeitsverhältnis gilt kraft beidseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag der Metallindustrie NRW. Dieser enthält in § 49 eine dreimonatige Verfallfrist für die hiesigen Ansprüche. Eine irgendwie textliche Mitteilung ist nicht nötig.
Arbeitsgericht verlangt konkreten Vortrag
Im Gütetermin war eine gütliche Einigung nicht möglich. Das Arbeitsgericht Bonn erteilte Neumann einen Hinweis für den erforderlichen weiteren Vortrag zur Klage: Er müsse eine hinreichend präzise Geltendmachung darlegen.
Was bedeutet das? Die Geltendmachung muss erkennen lassen, wer etwas geltend macht und welcher konkreter Anspruch verfolgt wird.
Keine Geltendmachung durch Neumann
Im zeitlichen Rahmen der Verfallfrist hat Neumann sich selbst nicht an den Arbeitgeber gewendet. Nur der Betriebsrat war tätig. Neumann hatte diesen ausdrücklich beauftragt. Der Betriebsrat hat den Arbeitgeber zeitnah und rechtzeitig per Mail (sinngemäß) aufgefordert, bei den betroffenen Arbeitnehmern*innen die „geplünderten“ Stunden den Gleitzeitkonten wieder gut zu schreiben. Er hat seine Rechtsposition dazu aufgeführt. Namen der Betroffenen wurden nicht genannt, auch keine konkreten Stunden, die von den Arbeitszeitkonten in diesem Zusammenhang abgebucht worden sind.
In der Sache bestand Streit darüber, wie die Vereinbarung zur Kurzarbeit auszulegen ist. Erst nach dem die Verhandlungen gescheitert waren, wurde die Gewerkschaft von Neumann eingeschaltet und hat den Anspruch für ihn geltend gemacht. Da war die Frist (3 Monate) aber schon abgelaufen.
Hat Betriebsrat eine allgemeine Vollmacht Individualansprüche geltend zu machen?
In der arbeitsrechtlichen Literatur ist es streitig, ob der Betriebsrat überhaupt eine allgemeine Vollmacht hat, um Ansprüche einzelner Arbeitnehmer*innen geltend zu machen. Diese Frage musste das Gericht nicht beantworten.
Zugunsten von Neumann hat das Gericht angenommen, dass Neumann seinen Betriebsrat während einer Betriebsratssitzung ausdrücklich beauftragt hat, in seiner Angelegenheit Arbeitszeitguthaben tätig zu werden. Im Verfahren wurde auch Mailverkehr zwischen Betriebsrat und der Firma vorgelegt, wonach der Betriebsrat allgemein gegen die Stundenkürzung argumentiert hat. Mangels fristgerechter Geltendmachung hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Über den eigentlichen Streit, ob die Anrechnung der Stunden berechtigt war, darüber musste das Gericht nicht entscheiden, weil etwaige Ansprüche verfallen sind.
Betriebsrat hat nur seine Aufgaben wahrgenommen
Zur Geltendmachung durch den Betriebsrat führt das Gericht weiter aus: Der Betriebsrat habe eine Angelegenheit behandelt, die eine größere Zahl von Arbeitnehmern betraf und den Arbeitgeber dazu aufgefordert, den Forderungen nachzukommen. Damit habe er nur seine Aufgaben nach dem Betriebsverfassungsgesetz wahrgenommen. Eine Geltendmachung individueller Rechte sei in den Mails nicht zu erkennen.
Neumann will diese Auffassung der I. Instanz überprüft wissen.
Berufungsverfahren bringt kein anderes Ergebnis
Das Landesarbeitsgericht Köln machte im Termin im September 2021 deutlich, dass das Urteil bestätigt würde.
Selbst, wenn man es grundsätzlich als rechtlich möglich ansehe, dass der Betriebsrat auch individuelle Rechte geltend machen könne, habe Neumanns Arbeitgeber die allgemeine Verhandlungsaufforderung und Erklärung des Betriebsrats nicht als individuelle Geltendmachung verstehen müssen. Denn der Betriebsratsrat hatte sich weder auf Vollmachten von Einzelnen berufen, noch war eine ausdrückliche Bevollmächtigung dem Text zu entnehmen.
Da schon diese Hürde nicht genommen werden konnte, musste das Gericht auch nicht mehr prüfen, ob ansonsten die Nachrichten des Betriebsrats konkret genug für eine Geltendmachung waren und auch nicht, ob Neumann inhaltlich Recht hatte. Gerichte entscheiden immer nur konkrete Fälle und sind nicht dafür da, um Rechtsgutachten für die Parteien zu schreiben.
Um weitere Kosten zu vermeiden, war Neumann dann mit der Berufungsrücknahme einverstanden.
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Das sagen wir dazu:
Ausschluss- oder Verfallfristen sind immer wieder große Stolpersteine. Dies auch nicht nur zu Lasten von Arbeitnehmern*innen, denn manche Arbeitgeber versuchen bei Eigenkündigungen oder sonstigem Streit mit Schadensersatzpositionen einen finanziellen Vorteil zu erlangen und müssen sich dann auch sagen lassen, dass sie da früher hätten reagieren müssen.
Die Verfallfristen finden sich nicht nur in Tarifverträgen, sondern häufig auch in Arbeitsverträgen. Auch, wenn Zweifel an der Wirksamkeit der arbeitsvertraglichen Klauseln bestehen, weil sie unklar oder sehr kurz sind, kann nur dringend geraten werden, sie trotzdem einzuhalten. Es ist einfach sehr schade, wenn das Gericht sich gar nicht mit dem inhaltlichen Streit befassen muss, sondern Ansprüche wegen Verfall ablehnt.
Das sagen wir dazu