Die Lobbyisten der Fleischindustrie wollen, dass alles beim Alten bleibt! Copyright by Adobe Stock/ contrastwerkstatt
Die Lobbyisten der Fleischindustrie wollen, dass alles beim Alten bleibt! Copyright by Adobe Stock/ contrastwerkstatt

Seit Jahren herrschen In der Fleischindustrie Arbeitsbedingungen, die jeder Beschreibung spotten. Alle bisherigen Vorschriften zur Verbesserung der Situation sind ins Leere gelaufen. 2017 ist das Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) in Kraft getreten. Mit diesem Gesetz sollten gerade die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen in der Fleischwirtschaft verbessert und sichergestellt werden. Funktioniert hat das nicht.

Angesichts einiger Corona-Ausbrüche in mehreren fleischverarbeitenden Betrieben hatte die Koalition Eckpunkte eines Arbeitsschutzprogramms beschlossen. Kern des Programms sollte sein, dass ab Januar 2021 das Schlachten und die Verarbeitung von Fleisch nur noch durch Beschäftigte des eigenen Betriebes zulässig sein sollen. Die Bundesregierung hat Ende Juli 2020 den Entwurf eines Arbeitsschutzkontrollgesetzes vorgelegt, das Rahmenbedingungen für gute Arbeitsbedingungen der Beschäftigten schaffen soll.
Wir hatten darüber berichtet:
„Arbeitsschutzkontrollgesetz: jetzt wird es ernst für Tönnies & Co.“


Die Fleischindustrie hält das Arbeitsschutzkontrollgesetz für wirtschaftsfeindlich

Dagegen hatte sich die Fleischindustrie mit Macht gestellt und belagert seitdem die Lobby des Bundestages, um  - aus ihrer Sicht- das Schlimmste zu verhindern. Gerade Clemens Tönnies, in dessen Betrieb in Rheda-Wiedenbrück Corona besonders stark gewütet hat, sieht die Welt untergehen, wenn man ihn dazu zwingen sollte, menschliche Arbeitsbedingungen einzuführen.
In einem Schreiben an Arbeitsminister Heil hatte er etwa im Juni 2020 vor der Abschaffung von Werkverträgen in seiner Branche gewarnt. Ein generelles Verbot hätte nämlich massive, strukturell-negative Veränderungen für die Agrarwirtschaft zur Folge, so Herr Tönnies. Am Ende müssten die Deutschen für ihr Schnitzel noch einen fairen Preis zahlen.

Unter dem Eindruck von massiven Ausbrüchen in Betrieben der Fleischindustrie hatte sich zunächst kein Politiker getraut, offen gegen das Arbeitsschutzkontrollgesetz zu Felde zu ziehen. So hatte auch die CDU im Bundestag zunächst signalisiert, dem Gesetz zuzustimmen.


Auch die Unionsfraktion war bis vor Kurzem für das Arbeitsschutzkontrollgesetz

Der Abgeordnete Peter Weiß, für die CDU ordentliches Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, Arbeitsschutz hielte seine Partei zwar für eine Selbstverständlichkeit. Sie wisse aber, dass Arbeitsschutz auch kontrolliert werden müsse.

Die CDU scheint allerdings mittlerweile ihre Zustimmung zum Gesetz aufgegeben zu haben. Auf der Tagesordnung des Bundestags taucht das Gesetz in den kommenden Sitzungen gar nicht mehr auf. In einem internen Papier aus dem Verband der Fleischwirtschaft (VDF) heißt es laut einem Bericht des Norddeutschen Rundfunks (NDR), Abgeordnete der CDU/CSU hätten ihre Fraktionsspitze gedrängt, das vollständige Verbot des Fremdpersonaleinsatzes abzuändern. Es sei zunehmend unwahrscheinlich, dass das Gesetz zum Januar 2021 in Kraft trete.


Die NGG gibt nicht auf und setzt sich hartnäckig für die Beschäftigten in der Fleischindustrie ein

Auf der anderen Seite ist die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) seit Jahren unermüdlich im Einsatz, um Abgeordnete des Bundestages und der Landtage von der Notwendigkeit strengerer Regeln in der Fleischindustrie zu überzeugen. Die NGG fordert nachhaltig, dass das Arbeitsschutzkontrollgesetz in der Fassung, die die Bundesregierung im August vorgelegt hatte, im Januar 2021 auch umgesetzt wird. Auch die NGG hält regelmäßig Kontakt zu Abgeordneten der Landtage und des Bundestags.


Auch der Bundesarbeitsminister hält daran fest, das Gesetz in der Fassung des Regierungsentwurfs zu verabschieden

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sagte Ende Oktober in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe, er sei fest entschlossen und zuversichtlich, dass das Gesetz durchzusetzen, weil es dringend notwendig sei. „…Wir haben in der Bundesregierung ein Gesetz auf den Weg gebracht, um der organisierten Verantwortungslosigkeit in der Fleischindustrie einen Riegel vorzuschieben. Ich setze darauf, dass das geplante Gesetz zum 1. Januar in Kraft tritt…… Ich kann nur an die Union appellieren, nicht den Sirenenklängen von Lobbyisten aufzusitzen, denen zum Teil kein Argument zu blöd ist, um Hintertüren in ein Gesetz zu schmuggeln. Es kann nicht sein, dass wir beim nächsten Corona-Ausbruch in einem Schlachthof wieder alle empört sind, aber keine grundlegenden Konsequenzen ziehen. Wir sind eine soziale Marktwirtschaft. Wenn Recht und Gesetz in den Schlachthöfen ausgehöhlt wird, kann das nicht so bleiben.“


Die Fleischindustrie traut sich wieder, gegen Verbesserungen für die Beschäftigten zu wettern

Es zeigt sich aber, dass der Einfluss von Tönnies & Co. sehr stark ist. Es schaut leider wieder einmal so aus, dass es ihnen wie schon beim GSA Fleisch 2017 gelingen könnte, eine butterweiche Regelung durchzusetzen, die die Fleischunternehmer gnadenlos auszunutzen können, um ihre ausbeuterischen Geschäftsmodelle weiter zu betreiben.

Und dass sich in der Fleischindustrie nachhaltig sich nichts ändert, dafür gibt es zahlreiche Hinweise. Die Bundesregierung hat unterdessen in einer Fragestunde im Bundestag eingeräumt, dass die Datenlage über diese Branche nicht vollständig sei. Es gibt aber kaum Anlass davon auszugehen, dass Unterkunft- und Arbeitsbedingungen sich auch nur eine Spur seit Juni 2020 verbessert hätten.

Und solchen Unternehmern stehen bei Streitigkeiten aus dem Arbeitsvertrag die Beschäftigten allein gegenüber, wenn sie nicht als Gewerkschaftsmitglied kostenlos durch die DGB Rechtsschutz GmbH vertreten werden können. Der Organisationsgrad in der Fleischindustrie ist aber gerade bei denjenigen sehr gering, die besonders unter den unsäglichen Arbeits- und Wohnbedingungen leiden.


Der Gesetzgeber sollte noch viel entschiedener gegen die menschenverachtende Ausbeutung vorgehen

Die NGG, die aufrecht gebliebenen Abgeordneten und Hubertus Heil müssen unbedingt darin unterstützt werden, dass die bereits beschlossenen Arbeitsschutzmaßnahmen in der Fleischindustrie zum ersten Januar auch Gesetz werden.
Die bodenlose Frechheit der Fleisch-Lobbyisten verlangt aber nach weiteren Mitteln, der Ausbeutung Herr zu werden.

Die Fraktion der Linken im Deutschen Bundestag hat im Oktober mehrere Anfragen zur Situation in der Fleischindustrie an die Bundesregierung gestellt. Sie wollte u.a. wissen, ob die Bundesregierung die Auffassung teilt, dass trotz bestehender arbeitsrechtlicher Regelungen Beschäftigte in der Fleischindustrie wegen ihren prekären Arbeitsverhältnissen und oft schlechten Sprach- und Rechtskenntnissen kaum gegen Verstöße klagten und deshalb zum Schutz dieser Beschäftigten ein Verbandsklagerecht nötig sei.


Die Bundesregierung hält ein Verbandsklagerecht nicht für zielführend

Die Bundesregierung bewertet ein Verbandsklagerecht für Beschäftigte in der Fleischindustrie skeptisch. Bei der Geltendmachung individueller Ansprüche käme es in der Regel auf die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls an. Kollektivrechtliche Ansätze könnten in diesen Konstellationen daher nicht weiterhelfen. Bereits nach geltender Rechtslage bestehe aber die Möglichkeit, dass die Verbände sich Ansprüche von Betroffenen abtreten ließen und dann aus dem abgetretenen Recht arbeitsgerichtlich vorgingen, schreibt die Regierung weiter.
Was hat es jetzt mit einem Verbandsklagerecht auf sich?
In Deutschland unterscheiden wir zwischen Individualarbeitsrecht und kollektivem Arbeitsrecht. Letzteres betrifft das Tarifvertragsrecht, das Arbeitskampfrecht sowie das Mitbestimmungsrecht in Unternehmen und Betrieben.


Jeder muss seine Ansprüche beim Arbeitsgericht selbst durchsetzen

Geht es um die Rechte einzelner Arbeitnehmer aus dem Arbeitsvertrag, einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder dem Gesetz, handelt es sich um Individualarbeitsrecht. Und das ist ein Teil des Zivilrechts, jenem Recht, das die Rechtsbeziehungen zwischen rechtlich gleichgestellten Rechtssubjekten regelt. Kennzeichen des Zivilrechts ist unter anderem, dass jeder einen Anspruch, den er glaubt zu haben, auch selbst im Zweifel vor einem Gericht durchsetzen muss.
Hinzu kommt, dass im deutschen Zivilprozess grundsätzlich die Dispositionsmaxime gilt. Es bleibt es der betroffenen Partei überlassen, ob sie Klage erhebt. Wo kein Kläger ist, gibt es auch keinen Richter. Und das Gericht ist an Anträge des Klägers gebunden. Die Jurist*innen nennen diesen Grundsatz „ne ultra petita“. Ein Gericht darf niemanden mehr zusprechen, als er beantragt hat. Das regelt § 308 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Und dann gibt es noch die Verhandlungsmaxime. Es obliegt nach § 282 ZPO den Parteien, rechtzeitig alle relevanten Tatsachen vorzubringen, auf deren Grundlage das Gericht dann eine Entscheidung fällt. Ein Zivilgericht, also auch ein Arbeitsgericht, darf den Sachverhalt nicht von Amts wegen ermitteln. Anders etwa als in einem Strafprozess, in dem der Grundsatz der Amtsermittlung gilt.


Ein Verband kann in eigenem Namen Rechte nur klagen, wenn ein Gesetz das ausdrücklich vorsieht.

Will also ein Arbeitnehmer etwa Arbeitsentgelt oder Urlaub vor einem Gericht durchsetzen, muss er selbst klagen und alle Beweismittel vorbringen, die erforderlich sind. Wer Mitglied einer DGB-Gewerkschaft ist, hat dann jedenfalls das Glück, dass er von der DGB Rechtsschutz GmbH vertreten wird.

Ein Verband, der die Rechte seiner Mitglieder oder Klienten vertritt, kann in eigenem Namen diese Rechte nur einklagen, wenn ein Gesetz das ausdrücklich vorsieht. Beispiele gibt es vor allem im Umwelt- und Verbraucherrecht. Ein Beispiel ist auch § 15 Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), nach dem ein anerkannter Behindertenschutzverband Klage nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung oder des Sozialgerichtsgesetzes erheben kann, wenn sie ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot festgestellt haben.

Im Bereich des Zivilrechts gibt es die Verbandsklage vor allem im Verbraucherschutz oder im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). § 8 UWG bestimmt etwa, dass die rechtsfähigen Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen ein Klagerecht zusteht, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von einschlägigen Unternehmern angehört.


Im Arbeitsrecht fehlt bislang die Verbandsklage

Im Arbeitsrecht gibt es ein Recht der Gewerkschaften nicht, in eigenem Namen Klage zu erheben mit dem Ziel, Arbeitgeber zur Erfüllung individualrechtlicher Pflichten anzuhalten.
Gewerkschaften können im kollektiven Arbeitsrecht zwar klagen, wenn der Arbeitgeber etwa gegen tarifvertragliche Normen verstößt. Aber nur dann, wenn es um die Rechte der Gewerkschaften selbst geht. Verstößt ein Arbeitgeber gegen einen Tarifvertrag, indem er seinen Beschäftigten etwa zu wenig Lohn zahlt, muss jeder Einzelne Beschäftigte die Lohndifferenz beim Arbeitsbericht selbst einklagen.

Das ist insbesondere in Bereichen sehr misslich, in denen prekäre Beschäftigungsverhältnisse vorherrschen.

Wir hatten uns allgemein mit dem Thema Verbandsklage im Arbeitsrecht insbesondere im Niedriglohnsektor in folgendem Beitrag auseinandergesetzt:
„Verbandsklage im Arbeitsrecht?“


Seit Jahren fordern die Gewerkschaften ein Verbandsklagerecht der Gewerkschaften

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert seit langem ein Verbandsklagerecht der Gewerkschaften zur Durchsetzung von tariflichen und gesetzlichen Rechten in Fällen, in denen Arbeitgeber systematisch einer Vielzahl von Beschäftigten ihre Ansprüche vorenthalten.
Einen probaten Anknüpfungspunkt könnte im Bereich des Mindestlohnes die Regelung im UWG sein, wie die Hans-Böckler-Stiftung (HBS) in einem Papier vom 2018 anregt. Die Lohnhöhe für Unternehmen ist schließlich wettbewerbsrelevant. Wenn der Mindestlohn systematisch nicht gezahlt wird, werden darüber hinaus auch Erwartungen der auf dem Arbeitsmarkt aktiven, ggf. andere Arbeitsstellen suchenden Arbeitnehmer*innen enttäuscht. Das ließe sich nach Auffassung der HBS als unlauterer Wettbewerb auf dem Nachfragemarkt (Arbeitsmarkt) darstellen.

Entsprechendes gilt für Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie. Auch dort dürfte die Höhe des Arbeitsentgeltes ein wichtiges Problem sein. Offen für eine Verbandsklage könnten aber auch die Mieten der Unterkünfte und Arbeitszeiten sein. Aber auch Rechtsstreite, die mit dem Recht in Zusammenhang stehen, die Arbeitsleistung zu verweigern, wenn der Arbeitgeber massiv etwa gegen Hygienevorschriften verstößt.