Sexuelle Belästigung steht fest und doch hält die Abmahnung nicht? Copyright by Adobe Stock/New Africa
Sexuelle Belästigung steht fest und doch hält die Abmahnung nicht? Copyright by Adobe Stock/New Africa

Dem von der DGB Rechtsschutz GmbH vertretenen Kläger wurde sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vorgeworfen. Deshalb hatte er eine Abmahnung erhalten.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn befasst sich in seinem Urteil vom Oktober 2019 nun mit dem Interesse des Arbeitgebers, wie lange eine Abmahnung in der Personalakte bleiben darf. Außerdem beantwortet es die Frage, in wie fern die Vorwürfe in einer Abmahnung nachgewiesen werden müssen, damit diese Bestand hat.

Im Unternehmen gibt es eine Dienstvereinbarung zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz

Im Unternehmen des Arbeitgebers, einer großen Stadtverwaltung, gibt es eine Dienstvereinbarung zum Schutz der Beschäftigten gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Diese Dienstvereinbarung war Bestandteil des Arbeitsvertrages des Klägers geworden. Der Kläger kannte die Dienstvereinbarung auch. Darin heißt es unter anderem, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sei nicht erlaubt und werde nicht geduldet. Das gelte für jedes Verhalten, das erkennbar abgelehnt würde, das als unerwünscht und belästigend aufgefasst werde. Dies treffe auch auf Verhalten zu, das „harmlos“ oder scherzhaft gemeint sei.

Die Mitarbeiterin sah sich an mehreren Tagen sexueller Belästigung ausgesetzt

Eine 21-jährige Mitarbeiterin sah sich an mehreren Tagen im April 2017 sexuellen Belästigungen des Klägers ausgesetzt. Der Kläger erhielt daraufhin eine Abmahnung. Darin wurde ihm vorgeworfen, es sei an zwei Tagen im April zu unerwünschten Verhaltensweisen gegenüber seiner Kollegin gekommen.

An einem Tag habe er sie zur Begrüßung bereits umarmt, obwohl er sie an diesem Tage noch überhaupt nicht kannte. Später habe er sodann wiederholt seine Hand auf ihren Oberschenkel gelegt. Schließlich soll er sie am Nachmittag zur Verabschiedung erneut umarmt haben.

Am zweiten Tag soll es sogar zu Wangenküssen gekommen sein

Am zweiten Tag soll es sogar zu Wangenküssen gekommen sein. Auch da habe er wiederholt die Hand auf den Oberschenkel seiner Kollegin gelegt, deren körperliche Nähe gesucht und versucht, sie während ihrer Arbeit zu umarmen. Nachmittags habe er dann den Arm um ihre Schulter gelegt und nochmals versucht, ihr Wangenküsse zu geben.

Der Mitarbeiterin seien diese körperlichen Berührungen sehr unangenehm gewesen. Sie habe das auch durch ihre Körperhaltung verdeutlicht und mehrfach eine Abwehrhaltung eingenommen. Dies sei vom Kläger jedoch nicht registriert worden.

Der Kläger räumte die Vorwürfe teilweise ein

In der Abmahnung heißt es weiter, der Kläger habe während der Anhörung eingeräumt, dass es zu körperlichen Berührungen in der genannten Weise in jeweils einer Situation gekommen sei. Er bestritt aber, dass er sie sexuell belästigen wollte.

Der Kläger wollte die Abmahnung aus der Personalakte entfernt haben

Der Kläger griff die Abmahnung im arbeitsgerichtlichen Verfahren an. Er wollte sie gerne aus der Personalakte entfernt haben. Diesem Antrag folgte das Arbeitsgericht.

Dabei befasste sich das Gericht zunächst mit der Frage, ob eine Abmahnung, die bereits mehr als zwei Jahre alt ist, generell aus einer Personalakte entfernt werden muss, alleine schon wegen der Zeit, die inzwischen vergangen ist.

Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen abgewägt werden

Dazu müssten im Einzelfall die Interessen des Arbeitgebers und Arbeitnehmers abgewogen werden. Nur für den Fall, dass der Arbeitnehmer unzumutbare Nachteile erleiden könne, wenn die Abmahnung in der Personalakte weiter aufbewahrt werde, sei eine Entfernung aus der Personalakte geboten.

Dies gelte aber nur dann, wenn die Vorwürfe in der Abmahnung rechtlich bedeutungslos geworden seien.

Abmahnungen haben eine Warnfunktion

Die Abmahnung habe eine Warnfunktion. Nicht ausreichend sei, dass sie diese Warnfunktion verloren habe. Zusätzlich sei erforderlich, dass der Arbeitgeber kein berechtigtes Interesse mehr daran habe, die Verletzung der Pflichten durch den Arbeitnehmer zu dokumentieren.

Sei eine Abmahnung zurecht erteilt worden, könne der Arbeitnehmer die Entfernung nur dann verlangen, wenn sie für das weitere Arbeitsverhältnis unter keinem rechtlichen Aspekt mehr eine Rolle spielen könne.

Das Verhalten muss rechtlich bedeutungslos geworden sein

Das Verhalten müsse also für das Arbeitsverhältnis in jeder Hinsicht rechtlich bedeutungslos geworden sein. Das sei aber nicht der Fall, wenn eine zurecht erteilte Abmahnung für etwaige zukünftige Entscheidungen von Bedeutung sein könnte.

Das Gericht nennt hierbei Fälle wie Beförderung, Beurteilung und auch eine mögliche spätere Kündigung. Es verweist ausdrücklich darauf, es könne im berechtigten Interesse eines Arbeitgebers liegen, eine Rüge weiterhin zu dokumentieren, um die arbeitsvertraglichen Pflichten klarzustellen.

Das Verhalten des Klägers lag nur knapp zwei Jahre zurück

Das Verhalten des Klägers liege gerade einmal zwei Jahre zurück. Es handele sich auch nicht um eine Kleinigkeit, die abgemahnt worden sei. Der Kläger soll vielmehr die notwendige körperliche Distanz zu einer Kollegin unterschritten haben. Der Arbeitgeber sei hier auch bezogen auf die Zukunft immer noch verpflichtet, einzuschreiten. Damit habe er auch ein Interesse an einer weiteren Dokumentation des Fehlverhaltens.

Die Angaben in der Abmahnung müssen zutreffen

Unabhängig davon sei allerdings zu prüfen, ob die Behauptungen in der Abmahnung ausreichend nachgewiesen seien. Wenn der Arbeitgeber in einer Abmahnung darstelle, mit welchem Verhalten der Arbeitnehmer schwer gegen seine Pflichten verstoßen haben soll, muss er dieses Verhalten im Zweifel auch beweisen.

Vorliegend habe die Beklagte behauptet, es sei für den Kläger klar erkennbar gewesen, dass sein Verhalten von der Mitarbeiterin nicht gewünscht bzw. als belästigend empfunden worden sei. Der Arbeitgeber hatte dargelegt, die Mitarbeiterin hätte sich wiederholt gegen die Annäherungsversuche des Klägers gewehrt. Damit habe sie deutlich zu erkennen gegeben, dass sie das Verhalten des Klägers missbillige.

Für den Vorwurf der sexuellen Belästigung muss das Opfer keine Abwehrhaltung zeigen

Eine sexuelle Belästigung sei nicht erst dann anzunehmen, wenn eine Abwehrhandlung des Opfers deutlich erkennbar auftrete. Die Situation sei vielmehr objektiv zu betrachten.

Werde jedoch in der Abmahnung behauptet, die Mitarbeiterin habe tatsächlich eine Abwehrhaltung eingenommen und der abgemahnte Arbeitnehmer habe dies auch erkennen können, so müsse dies dann auch nachgewiesen werden. Das stellen nämlich eine qualitative Steigerung eines Fehlverhaltens dar.

Der Arbeitgeber nichts zur Abwehrhaltung der Mitarbeiterin vorgetragen

Genau zu einer solchen Abwehrhaltung hat der Arbeitgeber im Verfahren jedoch nach den Ausführungen des Gerichts nichts weiter vorgetragen. Der Vorwurf sei nicht näher erläutert worden. Der Arbeitgeber habe auch nicht näher beschrieben, wodurch die Abwehrhaltung erkennbar gewesen sein soll. Er habe das auch nicht bewiesen. Die Zeugen wurden für andere Punkte benannt worden.

Der Kläger selbst habe auch lediglich zwei körperliche Berührungen eingeräumt und ansonsten die übrigen Vorwürfe bestritten.

Der Arbeitgeber habe damit die Verstöße des Klägers teilweise nicht nachgewiesen.
Die Abmahnung stütze sich jedoch zum Teil auf diese Verstöße. Sie könne deshalb nicht aufrecht erhalten werden.

Die Abmahnung könne aber auch nicht mit dem vom Kläger eingeräumten Verhalten bestehen bleiben. Eine Abmahnung sei nämlich dann vollständig zu entfernen, wenn sich nur ein darin enthaltener Vorwurf nicht nachweisen lasse.

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