Eigenkündigung kann wegen Geschäftsunfähigkeit nichtig sein. Copyright by Adobe Stock/alexskopje
Eigenkündigung kann wegen Geschäftsunfähigkeit nichtig sein. Copyright by Adobe Stock/alexskopje

Frau M., Sachbearbeiterin in einem Unternehmen und schwerbehindert, war für mehrere Monate wegen einer psychischen Erkrankung in stationärer Behandlung. Schon davor war sie immer wieder krank und musste deswegen ihren Arbeitsplatz im Betrieb wechseln.
Noch während ihres Aufenthalts in der psychiatrischen Klinik suchte sie die Personalabteilung ihrer Arbeitgeberin auf. Sie erklärte, ihr Arbeitsverhältnis beenden zu wollen. Die Sachbearbeiterin fragte sie, ob sie das wirklich tun wolle. Frau M. bestätigte das und meinte, sie wolle etwas Neues anfangen. Daraufhin legte die Sachbearbeiterin des Personalbüros ihr ein vorformuliertes Kündigungsschreiben vor, dass Frau M. unterschrieb.
 

Nach der Kündigung die Reue

Nach einigen Tagen teilte Frau M. der Personalabteilung mit, dass sie die Kündigung zurücknehmen wolle. Sie sei wegen ihrer psychischen Erkrankung nicht geschäftsfähig gewesen, als sie das Kündigungsschreiben unterzeichnet habe. Gleichzeitig legte sie ein Schreiben des psychiatrischen Krankenhauses vor, in dem die Ärzte ihr das bestätigen. Die Arbeitnehmerin ging darauf aber nicht ein, sondern bestand darauf, dass das Arbeitsverhältnis durch Kündigung der Frau M. beendet worden sei. Frau M. blieb daher nichts anderes übrig, als mit Hilfe der DGB Rechtsschutz GmbH Berlin vor Gericht zu gehen, um zu klären, ob das Arbeitsverhältnis fortbestand oder nicht.
 

Die Beklagte: Klägerin wirkte ganz normal

Vor Gericht berief sich die Beklagte darauf, dass Frau M. einen völlig normalen Eindruck machte, als sie erklärte, dass Arbeitsverhältnis beenden zu wollen. Sie sei in gepflegter Kleidung erschienen und habe einen ruhigen und gefassten Eindruck gemacht. Sie, die Beklagte, habe nicht wissen können, dass Frau M. an einer psychischen Erkrankung litt. Außerdem habe man Frau M. wiederholt gefragt, ob sie wirklich kündigen wolle; sie sei aber bei ihrem Entschluss geblieben.
 

Gericht holt Sachverständigengutachten ein

Das Arbeitsgericht Berlin ließ daraufhin von einem Psychiater ein Sachverständigengutachten erstellen. Der Gutachter wertete sämtliche Krankheitsunterlagen von Frau M. aus und stellte fest, dass sie an einer paranoiden Schizophrenie litt, als sie um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bat. Er erklärte auch, dass ein/e Außenstehende/r eine psychische Erkrankung nicht im jeden Fall erkennen könne. Viele Erkrankte würde nach außen hin völlig normal wirken.
 

Arbeitsgericht Berlin: Kündigung wegen vorübergehender geistiger Störung unwirksam

Das Arbeitsrecht Berlin stellte daraufhin fest, dass Frau M. wegen einer vorübergehenden psychischen Störung geschäftsunfähig gewesen sei. Dafür spräche nicht nur das Gutachten, sondern auch, dass Frau M. schon vor ihrem Aufenthalt in dem psychiatrischen Krankenhaus längere Zeit nicht arbeitsfähig gewesen sei. Auch der betriebsärztliche Dienst der Beklagten habe festgestellt, dass sie nur mithilfe von Medikamenten bestimmte Arbeiten habe verrichten können. Ob die Arbeitgeberin von der psychischen Erkrankung gewusst habe, sei unerheblich. Es käme einzig und allein darauf an, ob Frau M. im Zeitpunkt der Kündigung geschäftsfähig gewesen sei oder nicht. Das sei nicht der Fall gewesen, so dass ihre Kündigung nichtig gewesen sei.
 
Ergebnis: das Arbeitsverhältnis der Frau M. besteht unverändert weiter. Die Beklagte ist verpflichtet, sie als Sachbearbeiterin weiter zu beschäftigen.
 
Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. Februar 2020-60 Ca 15146/17

Das sagen wir dazu:

Eine Kündigung kann - wie jede Willenserklärung - nicht mehr zurückgenommen werden, sobald sie dem/der Adressat*in zugegangen ist. Wenn der/die Kündigende die Folgen einer Kündigung vermeiden möchte, bleibt ihm/ihr nichts anderes übrig, als sich mit dem Kündigungsempfänger zu einigen oder die Kündigungserklärung anzufechten.
Dazu braucht man jedoch einen Anfechtungsgrund. Nach den Regeln des BGB liegt ein Anfechtungsgrund vor, wenn man eine Erklärung irrtümlich abgegeben hat oder durch Drohung und/oder Täuschung dazu veranlasst worden ist. Die Hürde dafür ist relativ hoch, zumal der/die Kündigende das auch beweisen muss. Im Falle der Klägerin Frau M. lagen solche Gründe offensichtlich nicht vor.

Anders verhält es sich dann, wenn Geschäftsunfähigkeit wegen einer dauerhaften oder vorübergehenden Geistesstörung vorliegt. In diesem Fall kann eine Kündigung von vornherein keine Wirksamkeit entfalten; sie ist nichtig.
 
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts setzt das aber einen Zustand voraus, in dem die freie Willensbestimmung nicht nur geschwächt und gemindert, sondern völlig ausgeschlossen ist. Bloße Willensschwäche und leichte Beeinflussbarkeit durch andere schließen die Möglichkeit freier Willensbildung nicht aus. Bestimmte krankhafte Vorstellungen und Empfindungen des Erklärenden oder Einflüsse Dritter müssen derart übermäßig geworden sein, dass eine Bestimmung des Willens durch vernünftige Erwägungen ausgeschlossen war. "Hochgradige" alkoholbedingte Störung reicht nicht ohne weiteres aus, so das Bundesarbeitsgericht.

Und der/die Betroffene muss auch beweisen, dass diese Voraussetzungen vorliegen, so zum Beispiel durch ein ärztliches Sachverständigengutachten. Der/die Kläger*in muss vor Gericht einen entsprechenden Beweisantrag stellen. Das bedeutet aber nicht, dass das Gericht einen solchen Antrag in jedem Fall befolgen muss. Es müssen Anhaltspunkte vorliegen - zum Beispiel ärztliche Befundberichte und Krankenhausberichte -, auf die der/die Sachverständige zurückgreifen kann. Andernfalls könnte das Gericht solch einen Antrag als sogenannten Ausforschungsbeweisantrag werten.

Rechtliche Grundlagen

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

§ 105 Nichtigkeit der Willenserklärung
(1) Die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist nichtig.
(2) Nichtig ist auch eine Willenserklärung, die im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit abgegeben wird.