Ist die Arbeitszeit des Rentners abgelaufen? Ja, sagt der Chef. Nein, sagt das Arbeitsgericht. Copyright by Zerophoto / fotolia
Ist die Arbeitszeit des Rentners abgelaufen? Ja, sagt der Chef. Nein, sagt das Arbeitsgericht. Copyright by Zerophoto / fotolia


Der Beschäftigte, langjähriges Mitglied der IG Metall, ist mittlerweile 70 Jahre alt. Seine Arbeit als Produktionsmitarbeiter, die er seit 45 Jahren bei einem Iserlohner Hersteller von Rundstahlketten und Schmiedeteilen ausübt, macht ihm nach wie vor Spaß. Bei Kollegen und Vorgesetzten ist er gleichermaßen geschätzt. Nicht zuletzt aufgrund seiner langen Berufserfahrung erbringt er immer noch eine tadellose Arbeitsleistung. Warum also aufhören?

Arbeitsende mit Rentenbeginn?

Dass sein Rentenbescheid ihm einen gesicherten Lebensabend garantierte, war für den rüstigen Rentner noch lange kein Grund, sich auf das Altenteil zurückzuziehen. Und da es weder vertragliche, noch tarifliche Regelungen gab, die ihn zur Aufgabe seiner Tätigkeit mit Rentenbeginn zwangen, wollte er noch eine Weile weiterarbeiten.

Für den Chef war dieses hartnäckige Verharren am Arbeitsplatz trotz guter Arbeitsleistung ein rotes Tuch. Er wollte, so tat er kund, eine „ausgewogene Altersstruktur“. Jüngere Leute sollten ran, die Alten sollten gehen.

Wie wird man einen Rentner los?

Aber wie, wenn der Rentner partout keinen Platz machen wollte? Einen Kündigungsgrund gab es nicht. Und die Firmenleitung sah nicht ein, dem verdienten Mitarbeiter den Abschied durch eine Abfindung schmackhaft zu machen, die seiner Lebens- und Arbeitsleistung gerecht wurde.

Die rettende Idee kam dem Chef, als ihm ein Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm aus dem Jahr 2015 in die Hände fiel: Danach war es grundsätzlich möglich, das Ende von Arbeitsverhältnissen bei Eintritt in die Regelaltersrente durch eine Betriebsvereinbarung zu bestimmen. Das durfte kein grundsätzliches Problem werden, galt doch der im Betrieb gewählte Betriebsrat seinerzeit eher als „pflegeleicht“.

Betriebsvereinbarung regelt Renteneintritt

Gesagt - getan! Das einzige Problem war die Tatsache, dass der verdiente Rentner, auf den die Betriebsvereinbarung maßgeschneidert werden sollte, schon längst Altersrente bezog. Nach der Rechtsprechung war eine Vertrauensschutzregel in die Betriebsvereinbarung einzufügen.

Aber wofür gibt es denn ebenso findige wie gut bezahlte Rechtsanwälte? Es dauerte nicht lange, da schlossen die Betriebsparteien im September 2015 eine Betriebsvereinbarung, nach der alle Arbeitsverhältnisse enden, wenn der Arbeitnehmer einen Anspruch auf ungekürzte Rente hat.

Vertrauensschutz für rentennahe Arbeitnehmer*innen

Für rentennahe Jahrgänge nahmen Arbeitgeber und Betriebsrat eine Übergangsvorschrift auf, die noch eine Restbetriebszeit einräumte. Danach verblieb noch eine Verweildauer in Höhe der individuellen Kündigungsfrist, also maximal in Höhe von sieben Monaten.

Vertrauensschutz für Altersrentner

Der „undankbare Rentner“ klagte trotzdem mit Unterstützung des Hagener Büros der DGB Rechtsschutz GmbH gegen die ihm mitgeteilte bevorstehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Zwar räumt der Gesetzgeber den Betriebsparteien grundsätzlich die Befugnis ein, in einer Betriebsvereinbarung eine entsprechende Befristung von Arbeitsverhältnissen zu regeln. Doch - so die Argumentation der Gewerkschaftsjuristen - gab es im konkreten Fall folgende Bedenken: Die Betriebsvereinbarung wurde dem Vertrauensschutz von Beschäftigten, die die Rente bereits erreicht hatten, nicht vollends gerecht. Schließlich konnte sich der Maschinenbediener nicht hinreichend bei seiner Lebensplanung auf den Umstand der „Zwangsverrentung“ einstellen.

Erfolg in erster und zweiter Instanz

Das angerufene Arbeitsgericht Iserlohn folgte der Argumentation des Rechtsschutzes. Es erklärte die Beendigung des Arbeitsverhältnisses für unwirksam.

Das LAG Hamm, das anschließend als Berufungsinstanz vom Arbeitgeber angerufen worden war, musste sich nicht einmal inhaltlich mit der kritisierten Betriebsvereinbarung befassen: Die Firmenanwältin nahm nämlich die eingelegte Berufung zurück. Sie hatte aufgrund einer entsprechenden Rüge des DGB Rechtsschutzes eingesehen, dass die Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2015 nicht formell wirksam zustande gekommen war.

Der Zweite Versuch

Die pfiffige Advokatin der Geschäftsleitung glaubte aber wiederum, eine Lösung parat zu haben: Ein Formfehler ist ja schließlich heilbar. Deshalb wurde kurzerhand die „alte“ Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2015 zwei Jahre später erneut mit dem Betriebsrat vereinbart. Und zwar wortgleich. Dass dieses Mal das ordnungsgemäße Zustandekommen der Vereinbarung anwaltlich überwacht wurde und sich der Arbeitgeber jetzt in sicherem Fahrwasser wähnte, versteht sich von selbst.

Erneut wehrte sich der Produktionsmitarbeiter mit Unterstützung des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses. Diesmal sollte Ende des Jahres 2017 Schluss sein. Und wiederum gaben ihm Arbeits- und Landesarbeitsgericht Recht.

Altersregelung muss Vertrauensschutz beachten

Wenn die Betriebsparteien für die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer per Betriebsvereinbarung eine Altersgrenze einführen, sind sie an das Gebot des Vertrauensschutzes gebunden. Auf die rentennahen Jahrgänge sei besonders Rücksicht zu nehmen, so das LAG Hamm. Diese Personengruppe profitiere nämlich nicht mehr von den Vorteilen einer entsprechenden Betriebsvereinbarung, die in der Verbesserung der betrieblichen Aufstiegschancen liegen.

Außerdem bestehe für rentennahe Jahrgänge das schutzwürdige Interesse, hinreichend Zeit zu haben, um sich auf die geänderte Lage einzustellen. Dem werde die vereinbarte Übergangsregelung nicht gerecht. Eine Koppelung des Beendigungszeitpunktes an die gesetzliche Kündigungsfrist führe nämlich bei relativ kurzen Arbeitsverhältnissen dazu, dass sich der Betroffene kaum auf die in der Regel erheblichen finanziellen Einbußen einstellen kann, die mit der Rente verbunden sind. Außerdem sei die Vereinbarung einer Altersgrenze nicht mit der Kündigungssituation vergleichbar.

Übergangsregel in der Betriebsvereinbarung unwirksam

Insgesamt erklärte das LAG Hamm die Übergangsvorschrift in der Betriebsvereinbarung für ungeeignet. Damit war die gesamte Regelung zu den Altersgrenzen unwirksam.

Sehr zum Unwillen seines Chefs geht der rüstige Produktionsmitarbeiter nach wie vor täglich seiner Arbeit nach.
Die mühsam und mit viel anwaltlicher Hilfe formulierte Betriebsvereinbarung verpufft wirkungslos.


Sämtliche Urteile können Sie hier nachlesen:
Arbeitsgericht Iserlohn, Urteil vom 20.9.2016 - 5 Ca 411/16
Arbeitsgericht Iserlohn, Urteil vom 18.4.2018 - 1 Ca 2055/17
LAG Hamm, Urteil vom 4.12.2018 - 14 Sa 478/18

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