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27. Januar: Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust

Schätzungsweise mehr als sechs Millionen Menschen starben in der Zeit des Nationalsozialismus durch Arbeit, Hunger, Gewalt oder gezielte Tötungen allein in Konzentrationslagern. Die Siegermächte des zweiten Weltkrieges konnten nur etwa 300.000 Menschen aus den Lagern befreien, von denen viele aber kurz nach der Befreiung starben. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz. Seit 2005 gedenken wir weltweit an jedem 27. Januar der Opfer des Holocaust.

Mehr als sechs Millionen Menschen starben allein in Konzentrationslagern. Die Gesamtzahl der Opfer des Holocausts wird auf über 13 Millionen geschätzt. Copyright by barkarola/Adobe Stock
Mehr als sechs Millionen Menschen starben allein in Konzentrationslagern. Die Gesamtzahl der Opfer des Holocausts wird auf über 13 Millionen geschätzt. Copyright by barkarola/Adobe Stock

Wie viele Menschen insgesamt Opfer des Holocausts geworden sind, lässt sich nur schwer schätzen. Die SS und Angehörige der Wehrmacht haben im Zuge der Vernichtungskriege mehr als 13 Millionen Zivilist*innen ermordet. Mehr als sechs Millionen Opfer waren Menschen jüdischen Glaubens. Dabei sind die Toten durch die eigentlichen Kriegshandlungen wie etwa die Bombardierung von Städten nicht mitgezählt.
 
In Deutschland ist der 27. Januar bereits seit 1996 als Gedenktag für die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau gesetzlich verankert. Anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung der Konzentrationslager erklärte die Generalversammlung der Vereinten Nationen den 27. Januar während ihrer 42. Plenarsitzung am 1. November 2005 durch eine Resolution zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts. Seitdem wird weltweit der Opfer gedacht. Aber reicht es aus, der Opfer zu gedenken?
 
Wir leben in einer Zeit, in der sich eine im Bundestag vertretene Partei zur „deutschen Leitkultur“ bekennt und offen vertritt, dass „unsere Bräuche und Traditionen, Geistes- und Kulturgeschichte“ vor „fremden Einflüssen“ zu schützen seien. Das Ganze garniert diese Partei mit dem Schlagwort „Multi-Kultur ist Nicht-Kultur“.
 
Sicherlich bemühen sich deren Propagandisten, nicht zu sehr in eine Sprache zu verfallen, die an die Hetze der Nationalisten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erinnert. Jovial aber scheinheilig werden Menschen willkommen geheißen, wenn sie sich zu Sauerkraut und Bratwurst bekennen. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Politik der Partei auf Ausgrenzung zielt. Das Bedrohliche daran ist nicht die Partei selbst. Es gibt beruhigende Anzeichen, dass sie sich  eines Tages selbst zerlegen wird. Auch ist die AfD nicht mit der NSDAP und ein Herr Gauland oder ein Herr Höcke nicht mit dem drogensüchtigen, schnauzbärtigen Schreihals von damals zu vergleichen. Darum geht es nicht.
 

Rassismus wird offensichtlich wieder salonfähig

Bedrohlich ist aber, dass ganz offensichtlich eine Politik wieder salonfähig wird, die auf Ausgrenzung setzt. Nachdem naturwissenschaftlich geklärt ist, dass das Konzept „Rasse“ in Bezug auf Menschen schlichtweg Blödsinn ist, bekennt sich zwar kaum jemand offen zum Rassismus. Stattdessen wird dieser netter verpackt und es wird eher damit argumentiert, dass „Ethnien“ zu schützen seien und nicht  „durchmischt“ werden dürften.
 
Das alles ist freilich noch kein Faschismus. Es erinnert einem aber an das Schlusswort des Parabelstück „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ von Bertolt Brecht: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!
 
Wenn wir an die Opfer des Holocaust denken sind wir auch immer aufgefordert, wachsam zu sein, dass sich so etwas nie wiederholt.
 

Die völkische Bewegung war eine der Voraussetzungen, die in den Nationalsozialismus geführt haben

Die Nazis sind 1933 nicht vom Himmel gefallen und ihre Ideologie ist auch nicht erst mit der Gründung der Partei plötzlich entstanden. Auch mit der Wirtschaftskrise Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts ist der Nationalsozialismus allein nicht zu erklären. Nicht einmal nur damit, dass Nationalismus seit dem 19. Jahrhundert eher normal war und nicht nur Deutschland betraf.
 
Eine Voraussetzung für den Faschismus in Deutschland war eine „völkische“ Geisteshaltung, die bereits im 19. Jahrhundert entstand und insbesondere im bürgerlichen Mittelstand stark vertreten war. Gemeint ist eine Haltung, die die Bedeutung des „eigenen Volkes“ stark überhöht. Die völkische Bewegung war in Deutschland eine deutschnationale und antisemitisch-rassistische Bewegung, die in vielen einflussreichen Vereinen und Zusammenschlüssen organisiert war. Die weitaus stärkste war der „Alldeutsche Verband“, der rassistische und kolonialpolitische Ziele verfolgte.
 
Dieser Verband übte bis zum ersten Weltkrieg über Reichstagsmitglieder in nationalliberalen, freikonservativen, deutschkonservativen und deutschsozialen Fraktionen starken Einfluss auf die Politik aus. Zeitweise koordinierte die Reichsregierung ihre Politik sogar direkt mit dem Verband.
 

Der Alldeutsche Verband hat die NSDAP kräftig gefördert

Nach der Novemberrevolution war der Alldeutsche Verband zunächst die führende Kraft der „völkischen Bewegung“ und nahm auch aktiv am Aufbau der NSDAP teil. Führende Köpfe wurden Mitglieder oder jedenfalls Förderer der Partei. Zu den letzteren gehört etwa der mächtige Verleger Alfred Hugenberg, ein Mitbegründer des Verbandes und Wegbereiter des Nationalsozialismus. Mit seiner „Deutschnationalen Volkspartei“ und seinem Kampfbund „Stahlhelm“ verfolgte er zwar auch eigene politische Ziele. Hinsichtlich seiner „völkischen“ Grundhaltung unterschied er sich ideologisch aber wenig von den Nazis. Auch Reichspräsident Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff waren aktive Mitglieder der völkischen Bewegung.
 
Der alldeutsche Verband wurde zwar 1939 verboten und löste sich auf, nachdem es zunehmend zu Differenzen mit der NSDAP gekommen war. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er den „völkischen Gedanken“ in Deutschland institutionalisiert und vorangebracht und letztlich damit ganz erheblich zum Erstarken des Nationalsozialismus beigetragen hat.
 

Mit der AfD sind Anhänger der völkischen Bewegung im Bundestag vertreten

Und hier schließt sich  -leider- der Kreis zur Gegenwart. 2016 warb die damalige Vorsitzende der AfD, Frauke Petry, im Interview mit der „Welt am Sonntag“ offen damit, den Begriff „völkisch“ seiner NS-Einbindung zu entledigen und ihn positiv zu besetzen. Völkisch halten heute wieder viele Politiker*innen der AfD für eine akzeptable Haltung, nicht nur innerhalb des sogenannten „Flügels“. Dabei hört man häufig, völkisch bedeute ja nur, dass etwas auf das Volk bezogen sei. Petry meinte seinerzeit, sie habe ein Problem damit, dass es bei der Ächtung des Begriffes „völkisch“ nicht bliebe, sondern der negative Beigeschmack auf das Wort „Volk“ ausgedehnt werde. Der Begriff „völkisch“ sei letztlich „ein zugehöriges Attribut“ zum Wort „Volk“.
 
Sinn macht ein solches Attribut aber nur, wenn man von einem klar abgrenzbaren Volksbegriff ausgeht. Angesichts in Chemnitz und anderswo demonstrierender Massen, die sich selbst als „das Volk“ bezeichnen und offensichtlich jeden ausschließen, der nicht ihrer Meinung ist, kann einem dabei ganz schwindelig werden. Indessen ist „Volk“ alles andere als eine eindeutig zu bezeichnende Gruppe. Es sei denn man hängt der Ideologie des „Ethnopluralismus“ an wie viele Vertreter der neuen Rechten, allen voran die „Identitäre Bewegung“. Im Übrigen auch eine Gruppe mit deutlicher Nähe zur AfD.
 

Rassisten nennen ihr Weltbild heute euphemistisch Ethnopluralismus

Anhänger des Ethnopluralismus streben Staaten und Gesellschaften an, die nach „Ethnien“ organisiert sind. Ein Ethnie sei, so meinen sie, umso besser und stärker, je reiner sie sei und je mehr die eigene Kultur von anderen Einflüssen abgeschottet sei. Diese Auffassung verkennt völlig die Dynamik, mit der sich auch Kultur entwickelt. Sie ist beileibe nichts Statisches. Kulturelle Einflüsse von außen hat es immer gegeben. Es gibt keinerlei Belege dafür, dass der Einfluss einer Kultur auf eine andere den Niedergang eine der Kulturen bedeutet hat. Im Gegenteil: die Synthese unterschiedlicher kultureller Besonderheiten hat häufig die Gesellschaft vorangebracht. Das Konzept des Ethnopluralismus ist nichts anderes als eine moderne Form Rassismus, die Rechtsextremen dazu dient, diesen zu verschleiern und damit weniger angreifbar zu machen.
 
Historische Vergleiche sind immer problematisch. Die politische und wirtschaftliche Situation in der Bundesrepublik Deutschland ist nicht zu vergleichen mit den Zuständen in der Weimarer Republik. Auch ist die AfD keine NSDAP. Die Partei wird aber häufig mit einer Zwiebel verglichen, die sich seit ihrer Gründung immer mehr häutet: Vom Parteigründer Lucke über Frauke Petry, dem Duo Meuthen/Gauland bis hin zu Björn Höcke lässt sie eine Hülle nach der anderen fallen. Immer deutlicher tritt eine völkische Geisteshaltung zutage. Die AfD ist damit eindeutig Teil einer Bewegung, die einer Traditionslinie folgt, die unter gewissen historischen Bedingungen in den Faschismus führen kann.
 
Lassen wir es nicht soweit kommen! Im Epilog des „Arturo Ui“ heißt es vollständig:
 
„So was hätt einmal fast die Welt regiert!
Die Völker wurden seiner Herr, jedoch -  
dass keiner uns zu früh da triumphiert-
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“

 
Packen wir also lieber das Übel bei der Wurzel. Setzen wir uns dafür ein, dass jede Form völkischer Bewegung keine Chance hat. Zumindest das sind wir den Opfern des Holocaust schuldig.
 
Quellen und zur Vertiefung:
 
Unser Artikel „Zum 9. November: Rassismus ist keine Meinung“
Transkript zum Ethnopluralismus auf der Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung
Beitrag „Befreiung von Auschwitz“ auf der Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung
Historisches Lexikon Bayerns: Alldeutscher Verband (ADV), 1891-1939
Interview mit Frauke Petry auf der Homepage der Welt
Mariam Lau auf „Zeit Online“: AfD: Extrem und mittendrin

Dietmar Christians, Rechtsschutzsekretär und Online-Redakteur, DGB Rechtsschutz GmbH,Hauptverwaltung - Frankfurt am Main
Autor*in:
Dietmar Christians
Online-Redakteur (ehemals Rechtsschutzsekretär)
Onlineredaktion - Hauptverwaltung - Frankfurt am Main