Wer zu lange zuwartet, den „bestraft“ die Rechtsprechung!
Wer zu lange zuwartet, den „bestraft“ die Rechtsprechung!

Wenn es der Dienstherr in einem Beförderungsunterlassen hat, den unterlegenen Mitbewerber über seine Auswahlentscheidung zu informieren und ihm die Gelegenheit einzuräumen, die Entscheidung im Eilverfahren anzufechten, besteht für den unterlegenen Mitbewerber die Möglichkeit die Beförderung auch nachträglich noch gerichtlich überprüfen lassen.

Wer zu lange zuwartet, den „bestraft“ die Rechtsprechung!

Von einer Verwirkung dieses Rechts ist jedoch dann auszugehen, wenn der unterlegene Bewerber zu lange abwartet, bis er sich dagegen zur Wehr setzt. Hiervon ist dann auszugehen, wenn er über einen längeren Zeitraum untätig bleibt, obwohl ein Beamter in vergleichbarer Lage vernünftigerweise längst etwas gegen die Beförderung seines Konkurrenten unternommen hätte. Zu diesem Ergebnis kam der Zweite Senat Thüringer Oberverwaltungsgerichts (OVG) in seiner Entscheidung vom 28.06.2016.

Im Jahr 2013 hat die beamtete Berufsschullehrerin die im Jahr 2009 vollzogene Beförderung einer Kollegin mit Widerspruch angefochten. Das Thüringer Kultusministerium, als Dienstherr der Klägerin, hatte es unterlassen, die Klägerin über seine Auswahl zu informieren und ihr eine angemessene Frist einzuräumen, um die Beförderungsentscheidung gerichtlich nachprüfen zu lassen. Das Widerspruchsverfahren der Lehrerin und das im Anschluss daran eingeleitete verwaltungsgerichtliche Verfahren blieben ohne Erfolg.

Vier Jahre nach Ernennung einer Mitbewerberin muss nicht mehr mit Anfechtung der Beförderung gerechnet werden

Das Thüringer OVG bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung und wies die Berufung der Klägerin zurück. Aus der Begründung des OVG ergibt sich, dass die Klägerin das Recht habe, die vorzeitige Ernennung ihrer Kollegin nachträglich mit der Klage anzufechten. Dieses Recht aber sei verwirkt, weil sie, ohne dass besondere Umstände sie daran gehindert hätten, ihre Rechte über einen längeren Zeitraum nicht geltend gemacht habe. Da sie Kenntnis davon gehabt habe bzw. haben müssen, dass das Thüringer Kultusministerium regelmäßig Beförderungen vornehme, wäre es ihr zuzumuten gewesen, sich früher gegen die Beförderung ihrer Mitbewerberin zu wenden. Da sie erst nach Ablauf von vier Jahren seit der Beförderung der Kollegin von der Möglichkeit der Anfechtung Gebrauch gemacht habe, hätten weder der Dienstherr noch die ausgewählte Bewerberin damit rechnen müssen, dass die Klägerin die Beförderung nun noch angreift.

Anmerkung:

Grundsätzliches zur Verwirkung eines Anspruchs

Eine Verwirkung von Rechten setzt voraus, dass

  • ein Beamter/Arbeitnehmer ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl dazu die Möglichkeit bestand (Zeitmoment),
  • der Dienstherr/Arbeitgeber hieraus bei objektiver Betrachtung den Schluss ziehen konnte, dass der Beamte/Arbeitnehmer sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass sich der Dienstherr/Arbeitgeber darauf eingerichtet hat und sich nach dem gesamten Verhalten des Beamten/Arbeitnehmers auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (Umstandsmoment) und
  • Umstände sowohl im Verhalten des Beamten/Arbeitnehmers als auch des Dienstherrn/Arbeitgebers hinzukommen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch) unvereinbar und für den Arbeitgeber als unzumutbar anzusehen (Zumutbarkeitsmoment).

Macht ein Beamter, oder ein Arbeitnehmer, einen Anspruch oder ein sonstiges Recht über einen längeren Zeitraum nicht geltend und treten keine besonderen Umstände hinzu, die eine spätere Geltendmachung begründen können, so darf man sich nicht wundern, wenn der Dienstherr/der Arbeitgeber sich auf die Verwirkung des Anspruchs beruft.

Grundsätzlich hat die Verwirkung zur Folge, dass der Anspruch oder das Recht im Einzelfall nicht mehr durchgesetzt werden kann. An die Verwirkung sind jedoch strenge Maßstäbe zu stellen. Der Schuldner (Dienstherr/Arbeitgeber) musste sich insbesondere aufgrund der Umstände im Einzelfall und dem Verhalten des Gläubigers darauf einstellen dürfen, dass dieser den Anspruch nicht mehr geltend machen würde.

In dem vom OVG Thüringen entschiedenen Fall hat die Berufsschullehrerin vier Jahre ins Land ziehen lassen bevor sie sich entschloss, die Beförderung ihrer Kollegin anzufechten. In einem solchen Fall darf man sich nicht wundern, wenn der Einwand der Verwirkung durchgreift und (etwaig) bestehende Ansprüche nicht mehr verfolgt werden können. Denn wenn über einen derart langen Zeit Ansprüche nicht weiter verfolgt werden, kann und darf der Dienstherr darauf vertrauen, dass von einer Weiterverfolgung des Anspruchs Abstand genommen wurde.

Arbeitnehmer*innen sollten mit der Durchsetzung ihrer Ansprüche nicht zu lange zuwarten

Arbeitnehmer*innen, die gegenüber ihrem Arbeitgeber einen Anspruch, zum Beispiel innerhalb tarif-oder arbeitsvertraglicher Ausschlussfristen, geltend gemacht haben und diesen dann über einen längeren Zeitraum nicht weiter verfolgen, müssen mit dem Einwand der Verwirkung rechnen. Denn unabhängig von der gesetzlich geregelten Verjährung oder von arbeits- beziehungsweise tarifvertraglichen Verfallklauseln können Ansprüche verwirken. Dies setzt zwar hohe Anforderungen voraus, doch wenn ein Anspruch längere Zeit nicht verfolgt wird und der andere Vertragspartner aus den Umständen schließen kann, dass der Anspruch nicht mehr verfolgt werden soll, ist ein solcher Anspruch verwirkt.

Ob der Einwand der Verwirkung greift, immer eine Einzelfallentscheidung!

Darüber was unter einem längeren Zeitraum zu verstehen ist, gibt es keine gesetzliche Regelung. Die Rechtsprechung stellt auf den Einzelfall ab. Wenn ein Arbeitnehmer zum Beispiel zwei Jahre ins Land gehen lässt bevor der Anspruch weiter verfolgt wird und der Arbeitgeber darauf vertrauen durfte, dass er keine Leistungen mehr erbringen muss, dann kann ein Arbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen, das der Anspruch verwirkt ist. Es empfiehlt sich daher mit der Verfolgung von Ansprüchen nicht zu lange zuzuwarten.

Medieninformation des Oberverwaltungsgericht Thüringen zum Urteil vom 28.06.2016

Und hier das Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgericht vom 28.06.2016 - Az.: 2 KO 31/16 im Volltext