„Allzeit bereit“ ist nicht nur am Dienstort Arbeitszeit. Copyright by Adobe Stock/ frankdaniels
„Allzeit bereit“ ist nicht nur am Dienstort Arbeitszeit. Copyright by Adobe Stock/ frankdaniels

Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (OVG) sprach im März zwei wichtige Urteile für Feuerwehr- und Polizeibeamte. Es ging dabei vor allem um die Abgrenzung zwischen „Rufbereitschaft“ und „Bereitschaftsdienst“ sowie zwischen „Arbeitszeit“ und „Ruhenszeit“. Es widersprach dabei in Teilen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts.
 

Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit

Bereitschaftsdienst ist grundsätzlich Arbeitszeit, wohingegen ein*e Beamter*in, die sich nur in Rufbereitschaft befindet, Ruhenszeit hat. Da gerade Feuerwehr und Polizei ihren Dienst häufig auf Abruf in ständiger Einsatzbereitschaft verrichten, stellt sich immer wieder die Frage, wie Bereitschaftsdienst von Rufbereitschaft abgegrenzt werden muss.
 
In einem der vom OVG nun entschiedenen Fällen ging es um einen Kriminalbeamten, der sich außerhalb seiner eigentlichen Dienstzeit zur Verfügung halten musste. Er arbeitete bei der Mordkommission und wurde im Rahmen anstehender Mordermittlungen zum Dienst vor Ort alarmiert.
 

Der Kriminalbeamte verfügte über ein Mobiltelefon seines Dienstherrn

Der Kriminalbeamte verfügte über ein Mobiltelefon seines Dienstherrn. Wenn seine Dienststelle ihn alarmierte, musste er sich mit diesem Telefon sofort in den Einsatz begeben. Der Kriminalbeamte konnte außerdem ein Dienstfahrzeug nutzen, allerdings nur zu dienstlichen Zwecken. Die private Nutzung war ihm untersagt.
 
Der Kläger des zweiten Verfahrens war Feuerwehrbeamter und als organisatorischer Leiter des Rettungsdienstes eingesetzt. Er verfügte ebenfalls über ein Mobiltelefon und ein Dienstfahrzeug. Auch er durfte das Dienstfahrzeug nicht privat nutzen. Wenn seine Dienststelle ihn alarmierte, musste er sich mit beidem sofort in den Einsatz begeben.
 

In beiden Fällen entschied das OVG, dass Bereitschaftsdienst anzunehmen ist

In beiden Fällen entschied das OVG, dass Bereitschaftsdienst anzunehmen ist. Der Dienstherr musste damit diese Zeiten auf die Arbeitszeit der Beamten anrechnen. Das OVG hat sich dabei auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gestützt. Die Abgrenzungskriterien, die das Bundesverwaltungsgericht für Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst aufgestellt hat, seien nicht mehr vollständig mit dem Recht der Europäischen Union bzw. der hierzu ergangenen Rechtsprechung vereinbar, so das Gericht. Und genau das macht die Entscheidungen so interessant für Betroffene.
 

Als Grundlage für den Anspruch nennt das Gericht den unionsrechtlichen Haftungsanspruch

Das OVG ging vom sogenannten „unionsrechtlichen Haftungsanspruch“ aus. Ziehe der Dienstherr Beamte über die regelmäßige Dienstzeit hinaus zum Dienst heran, ohne dass die Voraussetzungen für die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit erfüllt seien, sei das rechtswidrig geforderte „Zuvielarbeit“. Gesche dies, sehe das europäische Recht vor, dass diese „Zuvielarbeit“ unterbleibe.
 

Die Kläger gingen von rechtswidrig geleisteter „Zuvielarbeit“ aus

Während die Kläger von rechtswidriger „Zuvielarbeit“ ausgingen, argumentierten die Dienstherren im Verfahren, dass beide nicht über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus ihren Dienst verrichten mussten. Deshalb sei auch keine Mehrarbeit angeordnet bzw. genehmigt worden.
 
Es läge jedoch entgegen der Auffassung des Dienstherrn sehr wohl eine rechtswidrige „Zuvielarbeit“ vor, so das OVG.
 
Das Bundesverwaltungsgericht habe zwar schon vielfach ähnliche Fälle anders entschieden und dabei Voraussetzungen aufgestellt, an Hand derer zwischen reiner Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst unterschieden werden könne.
 

Legt man die Voraussetzungen zu Grunde, die das Bundesverwaltungsgericht festgelegt hat, liegt keine Arbeitszeit vor

Legt man die Voraussetzungen zu Grunde, die das Bundesverwaltungsgericht festgelegt hat, liegt keine Arbeitszeit vor. Bereitschaftsdienst liege nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nämlich nur dann vor, wenn der*die Beamte*in sich an einem Bereich außerhalb des Privatbereiches bereithalten müsse, der vom Dienstherrn bestimmt werde. Außerdem sei Voraussetzung, dass der*die Beamte*in jederzeit damit rechnen müsse, dass die Dienststelle ihn*sie in Anspruch nehme.
 

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann Bereitschaftsdienst durchaus auch Ruhephasen enthalten

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könnte Bereitschaftsdienst auch Ruhephasen enthalten.
 
„Rufbereitschaft“ sei die Pflicht, sich außerhalb des Arbeitsplatzes bereit zu halten, um bei Bedarf sofort abgerufen werden zu können.
 
Der*die Beamte*in müsse also zu Hause oder an einem anderen, frei wählbaren Bereich erreichbar sein, um den Dienst sofort aufnehmen zu können.
 

„Rufbereitschaft“ schränkt die Bewegungsfähigkeit in gewisser Weise durchaus ein

„Rufbereitschaft“ schränke damit die Bewegungsfähigkeit in gewisser Weise durchaus ein. Sie sei aber nicht an einen bestimmten Ort gebunden und stelle deshalb auch keine „Arbeitszeit“ dar, sondern zähle zur dienstfreien Zeit.
 
Demgegenüber liege „Bereitschaftsdienst“ dann vor, wenn sich der *die Beamte*in an einem Ort aufhalten muss, der vom Dienstherrn bestimmt worden ist, also nicht frei gewählt werden könne.
 

Im Falle der „Rufbereitschaft“ muss nur mit sporadischen Einsätzen gerechnet werden

Im Falle der „Rufbereitschaft“ müsse der*die Beamte*in nach der Definition des Bundesverwaltungsgerichts auch nur mit sporadischen Einsätzen rechnen, während „Bereitschaftsdienst“ voraussetze, dass erfahrungsgemäß damit zu rechnen sei, zum Einsatz gerufen zu werden.
 
Das OVG stellt dabei klar, dass diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Voraussetzungen des Bereitschaftsdienstes nur eingeschränkt angewandt werden könne. Das gebiete die jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes.
 

Das führt dazu, dass die streitgegenständlichen Dienste Arbeitszeit sind

Das führe im Gegensatz zu der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts dazu, die streitgegenständlichen Dienste der beiden Beamten als Arbeitszeit zu werten. Nach europäischem Recht liege nämlich Arbeitszeit dann vor, wenn ein*e Arbeitnehmer*in oder ein*e Beamter*in dem Arbeitgeber bzw. Dienstherrn zur Verfügung stehe, seine Tätigkeit ausübe oder Aufgaben wahrnehme.
 
„Ruhenszeit“ sei demnach die Zeit außerhalb der Arbeitszeit. Beide Begriffe schlössen sich gegenseitig aus. Etwas dazwischen gebe es nicht.
 

Der Feuerwehrbeamte hatte keine Pflicht, sich am Dienstort aufzuhalten

Für den Feuerwehrbeamten habe es allerdings keine Pflicht gegeben, sich am Dienstort aufzuhalten. Der Beamte habe seinen Aufenthaltsort frei wählen dürfen. Damit er jedoch unverzüglich zu einem Einsatzort gelangen konnte, sei ihm ein Dienstfahrzeig zur Verfügung gestellt worden. Das habe er allerdings privat nicht nutzen dürfen.
 
Als Leiter des Rettungsdienstes bei der Feuerwehr habe sich in festgelegten Zeiträumen jederzeit bereithalten müssen. Neben dem Funkgerät habe ihm ein dienstliches Mobiltelefon zur Verfügung gestanden, womit er sich zum Einsatzort begeben musste, wenn er alarmiert wurde.
 

Ähnlich erging es dem Kriminalbeamten bei der Mordkommission

Ähnlich sei es auch dem Kriminalbeamten bei der Mordkommission ergangen. In seinem Fall seien die Voraussetzungen, die das Bundesverwaltungsgericht für Bereitschaftsdienst aufgestellt hatte, ebenfalls nicht erfüllt, denn er habe seinen Dienst auch im Privatbereich ableisten dürfen. Doch auch hier fände die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine Anwendung.
 
Dem Kriminalbeamten habe während dieses Dienstes ein Mobiltelefon und ein Dienstfahrzeug zur Verfügung gestanden. Er sei damit bei einem Alarm verpflichtet gewesen, einen Einsatzort innerhalb von 30 Minuten zu erreichen.
 

Der Kriminalbeamte war nicht verpflichtet, das Dienstfahrzeug mit nach Hause zu nehmen

Er sei zwar nicht verpflichtet gewesen, das Dienstfahrzeug mit nach Hause zu nehmen. Aber die Vorgabe, einen Einsatzort innerhalb von 30 Minuten zu erreichen, schaffe Fakten. Der Beamte habe im Eilfall nicht erst noch zum Dienstgebäude fahren können, um sein Privatfahrzeug gegen den Dienstwagen zu tauschen. Das vorgegebene Zeitfester sei dann nicht einzuhalten gewesen.
 

Dass die Kläger sich zum unverzüglichen Einsatz bereithalten mussten, bedeutet noch nicht, dass sie Bereitschaftsdienst leisteten

Dass die Kläger sich zum unverzüglichen Einsatz bereithalten mussten, bedeute jedoch noch nicht, dass sie Bereitschaftsdienst geleistet hätten. An dieser Stelle müsse ein genauer Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und die jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes erfolgen.
 
Dies gelte insbesondere für die Voraussetzungen, die das Bundesverwaltungsgericht für den Bereitschaftsdienst geschaffen habe. Konkret stelle sich dabei die Frage, ob Bereitschaftsdienst, also Arbeitszeit, auch zu Hause erfolgen könne und ob es von Bedeutung sei, wie häufig man damit rechnen müsse, alarmiert zu werden.
 

Der Europäische Gerichtshof verlangt wie das Bundesverwaltungsgericht, dass der Aufenthaltsbereich vorgegeben ist

Der Europäische Gerichtshof verlange dabei zwar wie das Bundesverwaltungsgericht, dass sich der*die Beamte*in an einem vom Dienstherrn vorgegebenem Bereich aufhalten müsse, damit Bereitschaftsdienst angenommen werden könne. Allerdings widerspreche die Definition des Bundesverwaltungsgerichts zum Bereitschaftsdienst EU-Recht insofern, als das Bundesverwaltungsgericht voraussetze, der festgelegte Bereich, in dem sich der*die Beamte*in aufhalten müsse, dürfe nicht im Privatbereich liegen.
 
Das Bundesverwaltungsgericht habe außerdem entschieden, dass Bereitschaftsdienst nur dann vorliege, wenn erfahrungsgemäß damit gerechnet werden müsse, in Anspruch genommen zu werden. Dies ziele auf die Häufigkeit eines Einsatzes ab. Auch das sei nicht vereinbar mit europäischem Recht.
 

Wie häufig mit einem Einsatz gerechnet werden muss, zielt auf die Intensität der Arbeit ab

Wie häufig mit einem Einsatz gerechnet werden müsse, ziele jedoch auf die Intensität der Arbeit ab. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gehörten jedoch die Intensität und die Leistung nicht zu den wesentlichen Kriterien des Begriffs der „Arbeitszeit“. Sie dürften damit auch nicht in einem festgelegten Umfang gefordert werden.
 
Der Leiter Organisation der Feuerwehr habe sich für sofortige Einsätze bereithalten müssen. Wie häufig er mit Einsätzen rechnen musste, sei ohne Bedeutung. Gleiches gelte für den Kriminalbeamten der Mordkommission.
 

Mit dem Dienstfahrzeug sollten beide etwaige Einsatzorte unverzüglich erreichen

Mit dem Dienstfahrzeug sollten beide etwaige Einsatzorte unverzüglich innerhalb einer vorgegebenen Zeit erreichen. Das Dienstfahrzeug durften sie nicht privat nutzen. Deshalb seien sie in ihrer Bewegungsfähigkeit während der Zeit, in der sie sich bereithalten mussten, erheblich eingeschränkt gewesen. Sie hätten sich daher   - obwohl sie sich im Privatbereich befanden  - nicht frei bewegen können.
 
Solange sie durch den Standort des Dienstfahrzeuges derart beschränkt gewesen seien, gelte das auch für ihren Aufenthaltsort. Da es ihnen rechtlich unmöglich gewesen sei, das Fahrzeug privat zu nutzen, sei der Aufenthaltsort faktisch auf den häuslichen Bereich beschränkt worden.
 

Aus diesem Grund nahm das OVG rechtswidrige „Zuvielarbeit“ an

Aus diesen Gründen nahm das OVG eine rechtswidrige „Zuvielarbeit“ beider Beamter an. Diese hatte der Dienstherr auszugleichen. Grundlage dafür sei der unionsrechtliche Haftungsanspruch, so das OVG. Zuvielarbeit sei angemessen auszugleichen. Das bedeute einen ebenso langen Ausgleich wie vorher gearbeitet worden sei. Dabei greift das OVG auf die Vorschriften für Mehrarbeit zurück. In erster Linie gehe es dabei um einen zeitlichen Ausgleich in Form von Freizeit.
 
weiterführender Link:
Mehrarbeit im Beamtenverhältnis

OVG Lüneburg, Urteile vom 11. März 2020 -5 LB 48/18

OVG Lüneburg, Urteil vom 11. März 2020 – 5 LB 63/18