Schleppende Antragsbearbeitung? - Untätigkeitsklage kann Abhilfe schaffen!
Schleppende Antragsbearbeitung? - Untätigkeitsklage kann Abhilfe schaffen!

 

Maria hat ihren Arbeitsplatz verloren. Sie beantragt Arbeitslosengeld I. Wochen vergehen, ohne dass die Bundesagentur für Arbeit einen Bewilligungs- oder Ablehnungsbescheid erlässt. Gibt es eine Möglichkeit für Maria, der Behörde Beine zum machen?

 
Ein Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips ist, dass die Verwaltung die Verpflichtung hat, über Anträge zeitnah zu entscheiden. Tut sie dies nicht, sieht die Rechtsordnung Instrumente vor, eine Entscheidung herbeizuführen.
 

Einstweiliger Rechtsschutz

 
Eines dieser Instrumente besteht darin, dass Maria beim zuständigen Sozialgericht einen Antrag auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung stellen kann. Für eine solche Anordnung müssen vorliegen

  • ein Anordnungsanspruch

sowie

  • ein Anordnungsgrund.

 

Anordnungsanspruch

 
Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn Maria nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches III berechtigt ist, Arbeitslosengeld I zu verlangen.
 

Anordnungsgrund

 
Darüber hinaus ist es erforderlich, dass es Maria nicht zuzumuten ist, darauf zu warten, dass die Behörde entscheidet und das Sozialgericht nach einem normalen Klageverfahren über den Anspruch auf Arbeitslosengeld I ein Urteil fällt.
Dies ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn Maria ohne das Arbeitslosengeld I keinerlei finanziellen Mittel zur Verfügung hätte und ohne jede Unterstützung durch Dritte dastünde. Wenn Maria also beispielsweise Verwandte hätte, die grundsätzlich bereit wären, ihr vorübergehend etwa durch einen Kredit zu helfen, läge ein Anordnungsgrund bereits nicht mehr vor. Denn dann könnte Maria abwarten, bis im normalen Klageverfahren eine Entscheidung getroffen ist.
Hinzu kommt, dass Maria gezwungen wäre, ihre finanzielle Situation vollständig offenzulegen. Denn nur so kann das Sozialgericht prüfen, ob sie ohne die einstweilige Anordnung  praktisch völlig mittellos wäre.
Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist also grundsätzlich möglich, aber insbesondere im Hinblick auf den Anordnungsgrund häufig sehr problematisch.
 

Untätigkeitsklage

 
Will Maria die Unwägbarkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes vermeiden, steht ihr die Möglichkeit offen, beim zuständigen Sozialgericht eine Untätigkeitsklage zu erheben.
 

Zulässig erst nach sechsmonatiger Untätigkeit der Behörde

 
Das Sozialgerichtsgesetz sieht vor, dass eine Untätigkeitsklage erst zulässig ist, wenn die Behörde sechs Monate nicht auf Marias Antrag reagiert hat. Wenn Maria nach Ablauf von sechs Monaten Untätigkeitsklage erhebt, prüft das Sozialgericht zunächst, ob für die Verzögerung ein - so das Sozialgerichtsgesetz - „zureichender Grund“ existiert.
 

Zureichender Grund

 
Als zureichende Gründe hat die Rechtsprechung unter anderem anerkannt:

  • vorübergehende besondere Belastung der Behörde (z.B. sprunghafter Anstieg von Asylanträgen)
  • besondere Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Sachverhaltes (Notwendigkeit von Sachverständigengutachten)
  • Antragsteller überzieht die Behörde mit einer Flut von Anträgen.
  • Fehlende Mitwirkung von Antragsteller*innen

 
Keine zureichenden Gründe sind dagegen unter anderem:

  • Personalmangel
  • Abwarten auf den Ausgang eines Musterprozesses
  • Abwarten eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens

 

Verzögerung ohne zureichenden Grund

 
Liegt kein zureichender Grund vor, verurteilt das Sozialgericht die Behörde dazu, über den Antrag zu entscheiden.
Einer Vollstreckung eines solchen Urteils bedarf es in aller Regel nicht, weil die Behörden rechtskräftige Urteile von Sozialgerichten beachten und sich entsprechend verhalten.
 

Verzögerung mit zureichendem Grund

 
Liegt ein zureichender Grund vor, setzt das Sozialgericht der Behörde eine Frist, bis zu der sie über den Antrag entscheiden muss. Diese Frist kann das Gericht allerdings mehrmals verlängern. Bis zum Ablauf der Frist ist das Verfahren wegen der Untätigkeitsklage ausgesetzt.
 

Untätigkeitsklage im Widerspruchsverfahren

 
Bislang ging es um den Fall, dass die Behörde nicht auf Marias Antrag reagiert. Möglich ist aber auch, dass Maria aufgrund ihres Antrags zwar einen ablehnenden Bescheid erhält, aber auf ihren Widerspruch gegen diesen Bescheid keine Antwort bekommt.
Auch in diesem Fall kann Maria Untätigkeitsklage erheben.
Hat die Behörde keinen zureichenden Grund für ihre Passivität, verurteilt das Sozialgericht sie dazu, einen Widerspruchsbescheid zu erlassen. Gibt es einen zureichenden Grund, setzt das Gericht der Behörde eine - verlängerbare - Frist.
 

Sonderregelung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung

 
Hätte Maria statt Arbeitslosengeld I die Bewilligung einer bestimmte Therapieform bei ihrer Krankenkasse beantragt, hätte sie keine Untätigkeitsklage gebraucht.
Denn nach § 13 Absatz 3 a Sozialgesetzbuch V muss die Krankenkasse spätestens drei Wochen nach Antragstellung entscheiden. Etwas anderes gilt nur, wenn für die Entscheidung ein ärztliches Gutachten erforderlich ist. In diesem Fall kann sich die Krankenkasse maximal fünf Wochen Zeit lassen.
Schafft es die Krankenkasse nicht, diese Fristen einzuhalten, muss sie Maria dies vor Fristablauf schriftlich und mit Begründung mitteilen.
Wenn Maria eine solche Mitteilung gar nicht oder nur ohne ausreichende Begründung erhält, muss sie nichts weiter tun. Denn das Gesetz sieht ausdrücklich vor, dass die Therapie bei Fristablauf automatisch als bewilligt gilt. Maria kann dann ohne Weiteres die Therapie in Anspruch nehmen und von der Krankenkasse verlangen, dass sie ihr die Kosten ersetzt.
 

Vergleich hierzu im Einzelnen:

 
Zu spät entschieden - Krankenkasse muss Kosten für Psychotherapie übernehmen!

Rechtliche Grundlagen

§§ 86 b, 88 SGG, § 13 III a SGB V

Sozialgerichtsgesetz (SGG)

§ 86b

(1) Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag
1. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen,
2. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen,
3. in den Fällen des § 86a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.
Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag die Maßnahmen jederzeit ändern oder aufheben.

(2) Soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Absatz 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(3) Die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 sind schon vor Klageerhebung zulässig.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluss.

Sozialgerichtsgesetz (SGG)

§ 88

(1) Ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden, so ist die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist aus, die verlängert werden kann. Wird innerhalb dieser Frist dem Antrag stattgegeben, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.

(2) Das gleiche gilt, wenn über einen Widerspruch nicht entschieden worden ist, mit der Maßgabe, daß als angemessene Frist eine solche von drei Monaten gilt.


Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477)

§ 13 Kostenerstattung

(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.

(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Leistungserbringer hat die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu tragen sind. Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Absatz 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie kann dabei Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent in Abzug bringen. Im Falle der Kostenerstattung nach § 129 Absatz 1 Satz 5 sind die der Krankenkasse entgangenen Rabatte nach § 130a Absatz 8 sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach § 129 Absatz 1 Satz 3 und 4 zu berücksichtigen; die Abschläge sollen pauschaliert werden. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden.

(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 15 des Neunten Buches erstattet.

(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14, 15 des Neunten Buches zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen.

(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten und fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfungen vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.

(5) Abweichend von Absatz 4 können in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.