Polizeianwärter werden in ihrer Ausbildung geprüft, ob sie treffsicher schießen können. Copyright by Adobe Stock/guruXOX
Polizeianwärter werden in ihrer Ausbildung geprüft, ob sie treffsicher schießen können. Copyright by Adobe Stock/guruXOX

Der Beschwerdeführer des Verfahrens beim Bundesverfassungsgericht war Beamter auf Widerruf. Er befand sich im polizeilichen Vorbereitungsdienst. Dort absolvierte er ein Training im Schießen, das mit einer „Kontrollübung Pistole“ abgeschlossen werden musste. Diese Prüfung bestand der Betroffene nicht.
 

Die Hochschule teilte dem Beamten mit, dass sein Studium endet

Im Anschluss daran teilte ihm die Hochschule mit, dass sein Studium ende. Es bestehe keine Möglichkeit mehr, die Ausbildung fortzusetzen. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Widerspruch. Gleichzeitig stellte er beim zuständigen Verwaltungsgericht einen Antrag im Eilverfahren.
 
Er wollte damit erreichen, sein Studium bis zur abschließenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren zunächst einmal fortsetzen zu können.
 

Dem Eilantrag gaben weder das Verwaltungsgericht noch das Sächsische Oberverwaltungsgericht statt

Diesem Eilantrag gaben jedoch weder das Verwaltungsgericht noch das Sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) statt. Der Beschwerdeführer habe keinen Anspruch darauf, seine Ausbildung vorläufig fortzusetzen. Nach dem Gesetz müsse die Hochschule ihn entlassen, wenn er eine vorgeschriebene Zwischenprüfung nicht bestanden habe.
 
Es sei nicht maßgeblich, ob die Prüfungsentscheidung, die dieser Entlassung zugrunde liege, rechtmäßig sei. Im Eilverfahren werde nämlich nicht geprüft, ob der Beschwerdeführer Erfolgsaussichten im regulären Rechtsmittelverfahren habe. Eventuelle Nachteile, die ihm durch die Zeitverzögerung entstünden, spielten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ebenfalls keine Rolle.
 

Die Laufbahnausbildung kann aus der Sicht des OVG nicht vorläufig fortgesetzt werden

Die Laufbahnausbildung bei der Polizei könne deshalb weder innerhalb noch außerhalb eines Beamtenverhältnisses auf Widerruf vorläufig fortgesetzt werden, so das OVG Sachsen.
 
Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu aus, der Beschluss des Sächsischen OVG verletze den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz. Das Grundgesetz eröffne den Rechtsweg gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte. Gewährleistet werde dabei nicht nur das Recht, die Gerichte anzurufen. Der Rechtsschutz müsse auch effektiv sein.
 

Wirksamer Rechtsschutz muss in angemessener Zeit möglich sein

Das bedeute, dass wirksame Rechtsschutz vor allem auch innerhalb angemessener Zeit möglich sein müsse. Gerichtlicher Rechtsschutz müsse das auch in Eilverfahren beachten. Er dürfe keine vollendeten Tatsachen schaffen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten.
 
Der Rechtsschutz im Eilverfahren müsse damit eine wirksame Kontrolle darstellen. Die Gerichte seien verpflichtet, wirksamen vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren. Das gelte insbesondere, wenn dem Beamten ansonsten eine erhebliche Verletzung seiner Rechte drohe, die durch eine spätere Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden könne.
 

Anders ist das nur dann, wenn ausnahmsweise überwiegende und besonders wichtige Gründe entgegenstehen

Anders sei dies allenfalls dann, wenn ausnahmsweise überwiegende und besonders gewichtige Gründe einer Entscheidung im Eilverfahren entgegenstünden.
 
Vorliegend begehre der Beschwerdeführer, seine polizeiliche Ausbildung innerhalb oder außerhalb eines Beamtenverhältnisses auf Widerruf fortsetzen zu dürfen. Diesem Rechtsschutzbegehren komme besondere verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Werde nämlich eine Ausbildung beendet, die es dem Beschwerdeführer ermögliche, einen staatlichen Beruf zu ergreifen, verstoße dies gegen die Verfassung.
 

Das Grundgesetz gewährleistet ein Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern

Das Grundgesetz gewährleiste nämlich ein Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern. Werde ein Polizeianwärter entlassen, sei es ihm verwehrt, die Ausbildung fortzusetzen, abzuschließen und den gewählten staatlichen Beruf zu ergreifen.
 
Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung fordere besondere Gründe, wenn in dieser Situation vorläufiger Rechtsschutz versagt würde und dies zu einer erheblichen Verzögerung der Ausbildung führe. Versage ein Gericht generell, die Ausbildung fortzusetzen, gingen Studienjahre verloren. Bereits dies stelle einen gravierenden Nachteil dar.

Personen, die sich bereits in der Ausbildung befinden, müssen ihre Kenntnisse auf aktuellem Stand halten

Personen, die sich bereits in einer Ausbildung befänden, müssten die Kenntnisse und Fähigkeiten, welche für Prüfungen relevant seien, auf dem aktuellen Stand halten. Dies gelte auch, wenn ihre weitere Zukunft fraglich sei.
 
Lege man dies zugrunde, werde genüge der Beschluss des OVG den Anforderungen der Verfassung nicht. Das Oberverwaltungsgericht verkenne die Bedeutung und die Tragweite der Konsequenzen für den Prüfling, wenn es davon ausgehe, dass das Beamtenverhältnis auf Widerruf zwingend enden müsse, wenn die Prüfung nicht bestanden sei.

Das OVG hat sich vollständig einer rechtlichen Prüfung verschlossen

Das OVG habe sich vollständig einer rechtlichen Überprüfung der Entscheidung verschlossen, die zur Entlassung des Beschwerdeführers geführt habe. Auch etwaige Nachteile seien keineswegs beachtet worden, so dass das Oberverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer letztlich den einstweiligen Rechtsschutz in jedweder Form kategorisch versagt habe.
 
Dem OVG zufolge könnte nämlich eine einstweilige Anordnung im Eilverfahren selbst dann nicht ergehen, wenn dadurch existenzielle Nachteile entstünden. Dies stelle eine pauschale Rechtsschutzverweigerung dar. Diese falle insbesondere auch deshalb ins Gewicht, da sich die Ausbildung grundsätzlich verzögere, wenn das Beamten- und Ausbildungsverhältnis beendet werde. Dies zwinge den Beschwerdeführer, sein Wissen und seine Fähigkeiten für die Prüfung auf unbestimmte Zeit aufrechtzuerhalten.
 

Dem Polizeianwärter werden dadurch gravierende Nachteile zugemutet

Dem Polizeianwärter würden damit gravierende und irreparable Nachteile zugemutet. Zwingende Gründe, die das rechtfertigen könnten, habe das Oberverwaltungsgericht nicht genannt. Diese drängten sich auch nicht ohne weiteres auf.
 

Das OVG verkennt, dass mögliche Fehler einer Prüfungsentscheidung vielgestaltig sein können

Das OVG verkenne des Weiteren auch, dass mögliche Fehler einer Prüfungsentscheidung vielgestaltig sein könnten. Betrachte man dies gemeinsam damit, dass mögliche schwere Nachteile kategorisch außer Acht blieben, sei das mit dem Gesetz nicht mehr in Einklang zu bringen. Derart undifferenziert dürften Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens nicht völlig ausgeschlossen bleiben.
 
Das Verfahren wurde deshalb noch einmal an das Sächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Die Richter werden sich nun auch mit der Frage befassen müssen, ob es dem betroffenen Polizeianwärter im Rahmen des Eilverfahrens ermöglicht werden soll, seine Ausbildung vorläufig fortzusetzen.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 09. Juni 2020

Das sagen wir dazu:

Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist insbesondere deshalb sehr interessant, weil es bislang in der Rechtsprechung anerkannt war, dass einstweiliger Rechtsschutz im Zusammenhang mit dem Beamtenverhältnis auf Widerruf nur eingeschränkt durchgesetzt werden konnte.

Das hat das Bundesverfassungsgericht nun mit deutlichen Worten nun. Ob alle Beamtenverhältnisse auf Widerruf, die nach einer nicht bestandenen Prüfung enden sollen, nun vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens fortgesetzt werden können, wird sich sicher nicht durchsetzen lassen.

Allerdings hilft diese Entscheidung, die Instanzgerichte dazu zu veranlassen, Eilverfahren nicht kategorisch zu versagen, sondern stattdessen eventuell entstehende Nachteile in eine rechtliche Überprüfung einzubeziehen.

Eine wichtige Entscheidung!