Jeweils am 10. Dezember erinnern wir uns am "Tag der Menschenrechte" daran, dass für 80 Prozent der Weltbevölkerung diese deutlich eingeschränkt sind. © Adobe Stock - SN
Jeweils am 10. Dezember erinnern wir uns am "Tag der Menschenrechte" daran, dass für 80 Prozent der Weltbevölkerung diese deutlich eingeschränkt sind. © Adobe Stock - SN

Unter dem Eindruck der Gräuel zweier Weltkriege und der unfassbaren Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands schlossen sich am 24. Oktober 1945 zunächst 51 Staaten unter der Führung der vier Siegermächte zu einer Staatengemeinschaft zusammen: den Vereinten Nationen (United Nations - UN). 

Gründungsvertrag ist die Charta der Vereinten Nationen (UN-Charta), in deren Präambel es heißt: „Wir, die Völker der Vereinten Nationen sind fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat".

 

Die Vereinten Nationen streben eine Weltordnung an, in der die Menschen Rede- und Glaubensfreiheit und Freiheit von Furcht und Not genießen

Vorangegangen war die sogenannte „Atlantik-Charta“, die der Präsident der Vereinigten Staaten, Franklin Delano Roosevelt, und der britische Premierminister, Winston Churchill, noch während des zweiten Weltkrieges ausgearbeitet hatten. Darin hatten sie ihre Hoffnung ausgedrückt, dass nach der endgültigen Vernichtung der Nazi-Tyrannei eine friedliche Weltordnung geschaffen wird.  Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte war gleichsam eine Ergänzung der UN-Charta. Die Mitglieder der UN strebten eine Weltordnung an, in der die Menschen Rede- und Glaubensfreiheit und Freiheit von Furcht und Not genießen, dem für sie gemäß der Erklärung „höchsten Streben des Menschen“.

Zur Geschichte der Erklärung verweisen wir auf unseren Artikel zum Tag der Menschenrechte 2019.

 

Die Resolution ist völkerrechtlich nicht verbindlich

Völkerrechtlich verbindlich ist diese Resolution indessen nicht. Sie ist eben eine Resolution, eine Art Absichtserklärung. Acht Mitglieder stimmten damals in Paris der Erklärung auch nicht zu, sondern enthielten sich. Darunter die Sowjetunion.

Verbindliche völkerrechtliche Konventionen zu den Menschenrechten haben die Vereinten Nationen dann erst fast zwei Jahrzehnte später mit dem Sozialpakt und dem Zivilpakt verabschiedet. Heute können wir davon ausgehen, dass für die meisten Mitglieder der UN, derzeit 192 Staaten, also fast alle Staaten der Erde, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gleichsam als Völkergewohnheitsrecht die Politik der Vereinten Nationen bestimmt. Nicht immer einig sind sich die Staaten indessen darin, was zu den schützenswerten Menschenrechten gehört. 

 

In den letzten Jahren gab es viele Rückschritte

Leider hat sich die Achtung der Menschenrechte noch nicht global durchgesetzt. Es gibt auch nicht nur Fortschritte. In vielen Ländern verzeichnen wir vielmehr in den letzten Jahren deutliche Rückschritte. Russland unter Wladimir Putin wird etwa immer mehr zu einem autoritären Staat, der die Meinungsfreiheit einschränkt. Ähnliches gilt für Polen unter der Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość  - PiS). Oder für die Türkei des Herrn Recep Tayyip Erdoğan und für Belarus unter Alexander Lukaschenko. Um nur einige Beispiele zu nennen.

Die Liste der Länder, in denen die Situation der Menschenrechte besonders prekär ist, ist immer noch sehr lang: China, Myanmar, Nordkorea, Ägypten, Syrien und viele Länder mehr. Die Berichte reißen nicht ab aus Ländern, in denen die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit stark eingeschränkt ist und in denen staatliche Organe mit exzessiver Gewalt gegen Regierungskritiker und Minderheiten vorgeht. In denen es keine freie Presse gibt.

 

Die internationale Nichtregierungsorganisation (NGO) „Freedom House“ teilt seit 1941 die Länder der Erde in drei Kategorien ein: freie Staaten und Territorien, eingeschränkt freie Staaten und Territorien sowie unfreie Staaten und Territorien. Gut 40 Prozent der Länder gelten als frei. Allerdings lebt in diesen Staaten nur 20 Prozent der Weltbevölkerung. Und zu den „freien Ländern“ zählt „Freedom House“ aber immer noch Länder wie Polen. 

 

Kein Land der Welt garantiert vollständig, dass die Menschenrechte garantiert werden

Auch in Ländern, die das staatliche Gewaltmonopol nicht durchsetzen, kommt es vermehrt zu erheblichen Verletzungen der Menschenrechte. Das gilt insbesondere für einige Staaten in Lateinamerika. In Mexiko etwa terrorisieren lokale Banden Zivilist*innen, die sie misshandeln, foltern oder ermorden. Anstatt diese Banden in die Schranken zu weisen, richtet sich die Gewalt der staatlichen Sicherheitskräfte häufig auch gegen die zivile Bevölkerung.

Es gibt aber kein Land der Welt, das die Menschenrechte vollständig garantieren kann. Besonders schlimm ist die Lage zwar in Ländern, die die Rechte selbst verletzen oder deren Verletzung dulden. Aber auch in demokratischen Staaten wie dem unseren sind die Menschenrechte nicht völlig unangetastet. 

 

„Querdenker“ sind durch ein libertäres Freiheitsverständnis geprägt, das Individualität und Selbstbestimmung verabsolutiert

Und damit sind nicht die Maßnahmen gemeint, die der Staat wegen der Pandemie veranlasst hat. Dass Grundrechte unter gewissen Voraussetzungen eingeschränkt werden müssen, ist nicht gegen den Rechtsstaat gerichtet, sondern leider Voraussetzung dafür, dass er funktioniert. Das Handeln der Menschen folgt offensichtlich nicht dem kantschen kategorischen Imperativ. Viele gerade der sogenannten „Querdenker“ sind vielmehr durch ein libertäres Freiheitsverständnis geprägt, das Individualität und Selbstbestimmung verabsolutiert. Die Maxime ihres Handelns taugen zumeist nicht als Grundlage allgemeingültiger Gesetze, sondern weisen vielmehr einen Egoismus auf, der auf die Rechte der Mitmenschen kaum Rücksicht nimmt.

Problematisch war hinsichtlich einzelner Maßnahmen vielmehr, wie sie zustande gekommen sind. Die Kanzlerin hat in Telefonkonferenzen mit den Ministerpräsident*innen der Länder auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes Verordnungen beschlossen, die in Grundrechte eingegriffen haben. Dass die Exekutive zu Verordnungen ermächtigt wird, ist ein sinnvolles rechtsstaatliches Verfahren.

 

Art und Umfang einer Ermächtigung sind an Regeln gebunden

Die Ermächtigung muss gemäß Artikel 80 des Grundgesetzes in einem förmlichen Gesetz verankert sein, das hinreichend bestimmt gefasst ist. Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im selben Gesetz bestimmt werden. Die Rechtsgrundlage ist in der Verordnung anzugeben.

Der Gesetzgeber darf indessen nicht seine Aufgaben ohne Weiteres auf die Verwaltung abwälzen. Vielmehr sind Art und Umfang einer Ermächtigung auch an Regeln gebunden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat insoweit die „Wesentlichkeitstheorie“ entwickelt. Wesentliche Fragen der Grundrechtsausübung und -eingriffe im Bereich der untergesetzlichen Normsetzung muss das Parlament selbst regeln.

Ausführlicher hatten wir das Thema in diesem Artikel behandelt:

Das dritte Bevölkerungsschutzgesetz  - ein Ermächtigungsgesetz? 

 

Bundesverfassungsgericht: die „Bundesnotbremse“ 2021 war verfassungsgemäß

 

Die sogenannte „Bundesnotbremse“, mit dem der Gesetzgeber im Frühjahr 2020 diverse Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren geregelt hat, hat dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) standgehalten. Die Entscheidung vom 30. November 2021 ist sehr zu begrüßen. Das BVerfG hat das Gesetz sehr gründlich verfassungsrechtlich geprüft und eine Reihe von Sachverständigengutachten beigezogen. Es ist hinsichtlich der Grundrechtseingriffe zu dem Ergebnis gelangt, dass sie jeweils bezogen auf den mit der Maßnahme verfolgten Zwecks und der zu erwartenden Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs gestanden haben. Die Maßnahmen waren aber auch in einem Gesetz geregelt, dass in dem dafür vorgesehenen Verfahren vom Bundestag beschlossen worden war und somit kein verfassungsrechtlicher Verstoß im Sinne der Wesentlichkeitstheorie. 

Näheres steht in der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts. 

 

Das Coronavirus bietet eine Reihe neuer Herausforderungen für Demokratie und Menschenrechte

Die Pandemie hat unser Leben in den letzten zwei Jahren erheblich beeinträchtigt und der Gesetzgeber und die Regierungen haben sicherlich einige Fehler begangen. Angesichts schnell zu treffender Entscheidungen bei einer komplexen Interessenstruktur ist das auch nicht verwunderlich. Wenn aber sogenannte „Querdenker“ das Bild einer „Corona-Diktatur“ malen, ist das lächerlich. Und wenn sie sich selbst mit Opfern und Widerstandskämpfern in der Nazi-Diktatur vergleichen, ist das nicht nur absurd, sondern zynisch und brutal den wirklichen Opfern des Faschismus gegenüber.

Der Ausbruch des Coronavirus stellt aber gleichwohl eine Reihe neuer Herausforderungen für Demokratie und Menschenrechte dar. Repressive Regime haben auf die Pandemie in einer Weise reagiert, die ihren politischen Interessen dient, häufig auf Kosten der öffentlichen Gesundheit und der Grundfreiheiten.

 

Die Bundesrepublik Deutschland ist verpflichtet, ihr gesamtes Handeln darauf auszurichten, dass die Menschenwürde nirgendwo auf der Welt missachtet wird

Aber auch unser Land handelt nicht stets so, dass es die Achtung der Menschenrechte vollständig garantiert. Man denke etwa an die Asyl- und Aufenthaltspolitik angesichts der elenden Lage der Menschen in den Flüchtlingslagern. Die Würde des Menschen darf nicht nur nicht bei Menschen mit EU-Staatsbürgerschaft angetastet werden. Die Bundesrepublik Deutschland ist vielmehr aufgrund der eigenen Verfassung verpflichtet, ihr gesamtes Handeln darauf auszurichten, dass die Menschenwürde nirgendwo auf der Welt missachtet wird. Sie hat sich zudem im Grundgesetz und durch die Ratifikation zahlreicher internationaler und europäischer Menschenrechtsverträge zur Einhaltung der Grund- und Menschenrechte verpflichtet.

Näheres kann man nachlesen in unserem Artikel:

Die Würde des Menschen  - 70 Jahre Grundgesetz

 

Auch in Deutschland gibt es Menschenrechtsverletzungen

Das Deutsche Institut für Menschenrechte gibt jährlich einen Bericht über die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland an den Bundestag ab. Im Bericht vom Dezember 2020 über den Zeitraum Juli 2019 bis Juni 2020 weist das Institut etwa auf einen Bericht der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) hin. Die ECRI hält die Ausbildung der deutschen der Polizei, der Staatsanwaltschaften und der Gerichte für ausbaupflichtig, wenn es darum geht, rassistische Straftaten und andere auf Diskriminierung beruhende Straftaten zu erkennen und zu verfolgen.

Darüber hinaus erneuert die ECRI ihre Aufforderung an die deutschen Behörden, der Praxis diskriminierender Polizeikontrollen (Racial Profiling) entschieden entgegenzuwirken. Der Europäische Ausschuss für soziale Rechte des Europarates hat 2019 überprüft, inwieweit Deutschland seinen Verpflichtungen aus der Europäischen Sozialcharta nachkommt. Der Ausschuss kommt hierbei, wie bereits in früheren Berichten, zum Schluss, dass die Voraussetzungen für den Familiennachzug in Deutschland zu pauschal und zu restriktiv seien und deshalb nicht den Vorgaben der Sozialcharta entsprächen. Unter anderem kritisiert er die Regelungen zur Dauer des Voraufenthalts, zum Nachweis ausreichenden Wohnraums und zu den erforderlichen Sprachkenntnissen.

Deutschland ist aber auch seinen Verpflichtungen aus der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) nicht ausreichend nachgekommen. Die UN-BRK verpflichtet den Staat, für alle Jugendlichen den diskriminierungsfreien Zugang zu einem inklusiven regulären Ausbildungssystems zu gewährleisten. 

 

Jugendliche mit Behinderungen haben in Deutschland auch bei erfolgreichem Berufsabschluss deutlich schlechtere Erwerbs- und Verdienstperspektiven

Obwohl im Gesetz grundsätzlich vorgesehen ist, dass Jugendliche mit Behinderungen vorrangig in anerkannten Ausbildungsberufen ausgebildet werden und ihnen hierfür die notwendige Unterstützung und Nachteilsausgleiche gewährt werden sollen, sei in der Praxis jedoch eher das Gegenteil der Fall, teilt das Institut in ihrem Bericht dem Bundestag mit. Die meisten jungen Menschen mit Behinderungen würden entweder in einem der inzwischen fast 300 theoriereduzierten sogenannten Fachpraktiker-Berufe ausgebildet oder fänden sich im Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen wieder.

Beides biete auch bei erfolgreichem Abschluss eine deutlich verringerte Anschlussfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und damit deutlich schlechtere Erwerbs- und Verdienstperspektiven. Würden dauerhaft zwei parallele Systeme  - ein Regel-Ausbildungssystems und ein spezielles System für Menschen mit Behinderungen - aufrechterhalten, sei das mit den menschenrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands nicht vereinbar, so das Deutsche Institut für Menschenrechte.

 

Politik richtet sich seit Jahrzehnten nach den Bedürfnissen der „Märkte“

Es liegt also auch bei uns einiges im Argen. Aber nicht in dem Sinne, dass ein diktatorisches Regime Menschen willkürlich terrorisiert und die Presse drangsaliert. Die Bundesrepublik gehört sicherlich im Weltmaßstab zu denjenigen Staaten, in denen Rechtsstaatlichkeit am weitesten ausgeprägt ist und in dem Grundrechte wie Meinungs- und Vereinigungsfreiheit weitgehend geschützt sind.

Die Politik ist aber seit Jahrzehnten ideologisch geprägt durch die neoklassische Wirtschaftstheorie, in der Messgrößen wie das Bruttoinlandsprodukt oder das Wirtschaftswachstum die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft darstellen und dadurch ausweisen sollen, ob eine Politik falsch oder richtig ist. Menschenrechte gehören genauso wenig zu diesen Messgrößen wie der Zustand der Umwelt und des Klimas und bilden für die Politik somit kein Erfolgskriterium. An die Reaktion der „Märkte“ richtet sich Politik in erster Linie aus und nicht an Notwendigkeiten für die Teilhabe aller. 

 

Hier geht es zur Resolution der UN-Vollversammlung  - Erklärung der Menschenrechte