Gerichtsentscheidungen, die das Thema Kopftuch zum Inhalt haben, bergen erheblichen Sprengstoff: Geht es „pro Kopftuch“ aus, sehen „besorgte“ Bürger den Untergang des Abendlandes durch Islamisierung vor der Tür. Verbietet ein Gericht das Kopftuch, sehen dies viele Muslime als Bestätigung ihrer Befürchtung, nicht vollständig anerkannt zu sein.
 

Eingriff in die Religionsfreiheit gerechtfertigt

Auch an der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist dieses Phänomen wahrzunehmen. Die unterlegene Antragstellerin wird zitiert, sie habe sich gerade in Zeiten von Halle und Hanau ein stärkeres Eintreten für Minderheitenrechte gewünscht.
 
Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechtsansicht des Landes Hessen für verfassungsgemäß erklärt, wonach Rechtsreferendarinnen von bestimmten Tätigkeiten ausgenommen sind, wenn sie ein Kopftuch tragen. Hierzu zählen insbesondere die Sitzungsleitung bei Gericht und das Auftreten für die Staatsanwaltschaft. Diese Tätigkeiten seien ihnen aufgrund des staatlichen Neutralitätsgebotes verwehrt.
 
Diese Einschränkung der Berufs- sowie der Religionsfreiheit sei jedoch gerechtfertigt durch das Gebot der staatlichen Neutralität.
 

Worum geht es eigentlich?

Unabhängig davon, wie das Gericht entschieden hat: Der Beschluss wäre weder ein Zeichen fehlenden Minderheitenschutzes, noch Vorbote einer angeblichen Islamisierung. Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare absolvieren nach Abschluss des juristischen Studiums eine zweijährige Praxisphase, in der sie die unterschiedlichen Tätigkeiten eines Juristen kennenlernen.
 
Dabei machen die Ausbildungszeiten bei Gericht und Staatsanwaltschaft, um die es hier geht, je nach Bundesland nur zwischen sechs und neun Monaten aus. Die restliche Zeit des Referendariats verbringt man in der Verwaltung oder bei Rechtsanwälten. Nach Schätzungen gibt es in Deutschland etwa 15.000 Referendarinnen und Referendare.
 
Nachdem etwa 5 Prozent der Einwohner Deutschlands muslimischen Glaubens sind, scheint es plausibel, von 750 muslimischen Referendarinnen und Referendaren auszugehen, wobei der Anteil der Frauen wie im Jurastudium auch etwa 50 Prozent betragen dürfte. Wie viele von diesen Frauen tatsächlich Kopftuch tragen, lässt sich nicht sagen.
 

Verbot beschränkt sich auf wenige Tätigkeiten

Die hessische Verwaltungspraxis untersagt den muslimischen Referendarinnen auch nicht, ein Kopftuch zu tragen. Eine solche Regelung wäre sicher mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit nicht vereinbar. Es verbietet das Tragen des Kopftuchs nur dann, wenn sie als Richterin oder Staatsanwältin auftreten und so unmittelbar die Staatsgewalt repräsentieren.
 
Anders, als man dies gemeinhin denken sollte, machen diese Tätigkeit jedoch nur einen verschwindend geringen Bruchteil der Ausbildung in den sechs bis neun Monaten bei Gericht und Staatsanwaltschaft aus. Der Autor selbst hat während seiner siebenmonatigen Ausbildung ein einem niedersächsischen Amtsgericht und der Staatsanwaltschaft etwa 3-4 mal eine Sitzung geleitet und ist etwa 10-15 mal als Staatsanwalt aufgetreten.
 
Aus dieser Zeit stammt auch die Erkenntnis, dass die Bürgerinnen und Bürger keineswegs unterscheiden, ob nun ein Referendar vor ihnen steht, oder ein „richtiger“ Richter. Wer die schwarze Robe trägt, dessen Wort hat Gewicht.
 

Referendare werden als Repräsentanten des Staates wahrgenommen

Das Land Hessen hat also gut daran getan, diese Tätigkeiten einem strengen Maßstab in Bezug auf die staatliche Neutralität zu unterwerfen. In diesen Bereichen ist der gleiche Maßstab anzulegen, wie bei den auf Lebenszeit ernannten Richterinnen und Richtern, Staatsanwälten und Staatsanwälten.
 
Kritiker des Urteils wenden dagegen ein, der Staat verhalte sich widersprüchlich, wenn er einerseits das Tragen eines Kopftuches bei Gericht verbietet, andererseits aber Kreuze im Gerichtssaal aufhängt. Diese Kritik ist inhaltlich vollständig berechtigt, trifft den Kern der Sache aber nicht.
 
Das Bundesverfassungsgericht hatte ja über einen Fall aus Hessen zu entscheiden, nach gegenwärtigem Kenntnisstand des Autors werden dort aber keine Kreuze aufgehängt. Anders ist dies im Freistaat Bayern, in dem auch der Autor regelmäßig bei Gericht auftritt. Hier gehört das Kreuz tatsächlich zum Inventar von Gerichtssälen.
 

Staatliche Neutralität gilt für alle

Auch wenn dies spekulativ ist: Der Freistaat Bayern hätte wahrscheinlich viel größere Schwierigkeiten, ein solches Kopftuchverbot beim Verfassungsgericht durchzusetzen als das „neutrale“ Hessen. Die Verfassungsrichterinnen Verfassungsrichter könnten argumentieren, man könne nicht einerseits Kreuze aufhängen und dann Kopftücher verbieten.
 
Führt man sich vor Augen, mit welcher Vehemenz die bayerische Staatsregierung seinerzeit gegen das Kruzifixurteil des Verfassungsgerichts zu Felde gezogen ist, so wäre eine solche Entscheidung - so sie denn jemals fällt - ein echtes verfassungsrechtliches „Bätschi“ aus Karlsruhe in Richtung München. Denn was der Staat sich selbst herausnimmt, muss er auch seinen Bürgern zugestehen.
 
Sofern man aus dem aktuellen Beschluss des Verfassungsgerichtes dann doch eine allgemeine Lehre ziehen möchte, dann diese.
 
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