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Die Lehrerin war auf dem Weg zur Schule mit dem Rad gestürzt
Copyright: @Adobe Stock – auremar Die Lehrerin war auf dem Weg zur Schule mit dem Rad gestürzt

Die Klägerin ist seit 1999 bei dem beklagten Erzbistum als Lehrerin im Ersatzschuldienst angestellt.

 

Im April 2019 erlitt sie auf dem Weg zur Schule einen Fahrradunfall bei dem sie sich an der Schulter verletzte. Ein operativer Eingriff war erforderlich.

 

Es kam zur Unfallanzeige, die an die Bezirksregierung Arnsberg als zuständige Schulaufsichtsbehörde weitergeleitet wurde. Diese erklärte, eine Anerkennung des Unfalls als Dienstunfall sei nicht möglich. Dem schloss sich das Erzbistum an.

 

Warum?

Hintergrund ist, dass die Lehrerin zwar ein vor ihr fahrendes, rechts einbiegendes Fahrzeug in Erinnerung hatte, sich aber an den Unfall und die Situation, die zu dem Unfall führte, nicht mehr erinnern konnte. Das Erzbistum meinte, der Unfall könne nicht als Dienstunfall gelten, da die Lehrerin nicht in der Lage sei, die anspruchsbegründenden Tatsachen zum Unfall sowie das gesamte Unfallgeschehen darzulegen. Insbesondere könne sie nichts zur Klärung der erforderlichen äußeren Einwirkung vortragen. Dies gehe zu ihren Lasten.

 

Arbeitsgericht Hagen weist die Klage ab

 

Die Klägerin verfolgte ihr Ziel, den Fahrradunfall als Dienstunfall anzuerkennen, weiter und klagte mit Hilfe des DGB Rechtsschutzbüros Hagen. Aufgrund der Indizien sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Unfall auf äußerer Einwirkung beruhte. Sie sei nach dem Unfall breitbandig und gründlich untersucht worden, um Krankheiten ausschließen zu können. Bei der Untersuchung seien keinerlei anatomische oder pathologische Auffälligkeiten entdeckt worden. Der Unfall könne deshalb nur dadurch verursacht worden sein, dass das abbiegende Fahrzeug gebremst und sie geschnitten habe, woraufhin sie habe vollbremsen müssen.

 

Gestritten wurde vor Gericht nur um die Frage, ob ein äußeres Ereignis den Sturz verursacht hatte. Ohne Frage war der Sturz ein plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares Ereignis, die Klägerin erlitt durch den Sturz einen Körperschaden und sie war auf dem Weg zur Schule.

 

Das Arbeitsgericht hielt es aber für denkbar, dass die Klägerin ohne Fremdeinwirkung auf ihrem Fahrrad zu Fall kam. Das schließe eine äußere Einwirkung und damit einen Dienstunfall aus.

 

Durch den DGB Rechtsschutz Hamm erfolgte eine Berufung gegen das Urteil aus Hagen.

 

Berufung beim Landesarbeitsgericht bringt die Wende

  

Die Richter:innen in der zweiten Instanz kamen zu einem anderen Ergebnis und gingen davon aus, dass der Sturz mit dem Fahrrad auf äußerer Einwirkung beruhte.

 

Das LAG ging dabei von diesen Grundsätzen aus:

  • Äußere Einwirkungen im Sinne Gesetzes sind mechanische, chemische, thermische oder ähnliche Einwirkungen. Die äußere Einwirkung kann von den verschiedensten Ereignissen oder Dingen der Außenwelt ausgehen und zwar auch dann, wenn die eigene Handlung fehlerhaft oder ungeschickt gewesen sein sollte.
  • Als Ursache sind dabei nur solche für den eingetretenen Schaden ursächlichen Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen (natürlich-logischen) Sinne anzuerkennen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg nach natürlicher Betrachtungsweise an dessen Eintritt mitgewirkt haben, die also insofern als wesentlich anzusehen sind.
  • Das Merkmal der „äußeren" Einwirkung soll lediglich der Abgrenzung äußerer Vorgänge von krankhaften Vorgängen im Inneren des menschlichen Körpers dienen. Entscheidend für die Abgrenzung zwischen äußeren und inneren Einwirkungen ist, ob die Einwirkung auf Umständen beruht, für die eine in körperlicher oder seelischer Hinsicht besondere Veranlagung des Verletzten oder dessen willentliches, d. h. vorsätzliches Verhalten die wesentlichen Ursachen gewesen sind. Dies zielt auf eine sachgerechte Risikoverteilung.

 

Nach diesen Grundsätzen sei im Streitfall - auch wenn der exakte Hergang des Sturzes nicht rekonstruierbar ist - davon auszugehen, dass das Ereignis auf eine äußere Einwirkung zurückzuführen ist.

 

Sturz auf den Straßenbelag ist eine äußere Einwirkung

 

Dies gelte jedenfalls unproblematisch dann, wenn der vorausfahrende, rechts abbiegende PKW die Klägerin „schnitt" und sie zum Abbremsen oder Ausweichen zwang. Nach dem LAG sei nicht auszuschließen, dass sich das Unfallereignis so abgespielt habe. Ob der vorausfahrende Fahrer die Klägerin touchierte oder nicht, spiele keine Rolle. In jedem Fall sei das Verhalten des Fahrers als (wesentliche) Unfallursache anzusehen.

Auch, wenn die Klägerin möglicherweise unaufmerksam oder ungeschickt war, liege eine äußere Einwirkung vor. Die Schulterverletzung sei unmittelbar auf eine äußere Einwirkung zurückzuführen, nämlich darauf, dass die Klägerin auf den Straßenbelag stürzte. Der Aufprall rief die Schulterverletzung und die eingetretenen Sachschäden hervor. Dafür spreche bereits der äußere Anschein. Andere Ursachen für die Schäden sind nach dem LAG nicht ersichtlich und könnten nach der allgemeinen Lebenserfahrung ausgeschlossen werden.

 

Im Sturz realisierten sich die Gefahren des Straßenverkehrs

 

Zu einem anderen Ergebnis käme man auch nicht, wenn man unterstelle, dass die Klägerin sich in der Unfallsituation nicht hinreichend zu konzentrieren vermochte, oder einen Schwindel- bzw. Ohnmachtsanfall erlitt. Denn der Aufprall auf den Straßenbelag bliebe nicht etwa in seiner Bedeutung als Schadensursache hinter der aufgetretenen körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung der Klägerin zurück, da diese Beeinträchtigungen außerhalb des Straßenverkehrs ohne schädliche Folgen hätte bleiben können. In dem Sturz und dem Aufprall auf den Straßenbelag realisierten sich die Gefahren des Straßenverkehrs, zu denen es auch gehöre, dass eine Unkonzentriertheit, Ohnmachts- oder Bewusstseinsstörung derartige Folgen haben kann wie den hier geschehenen Unfall.

 

Aufprall auf den Straßenbelag war keine bloße Gelegenheitsursache

 

Nach dem LAG ist nicht davon auszugehen, dass es sich bei dem Sturz und dem Aufprall auf den Straßenbelag um eine bloße Gelegenheitsursache handelte und zwischen dem eingetretenen Schaden und der dienstlich veranlassten Teilnahme am Straßenverkehr eine rein zufällige Beziehung bestand.

Dagegen spreche schon, dass der Schaden während der Teilnahme am Straßenverkehr eintrat, also in einer Lebenssituation, die durch besondere Risiken geprägt sei. Es fehle auch an jeglichen Anhaltspunkten dafür, dass bei der Klägerin eine krankhafte Veranlagung bestehe, wonach ein anderes alltägliches Ereignis ebenfalls zu einem Sturz hätte führen können. Es sei weiter nicht ersichtlich, dass es zuvor bereits innerdienstlich oder außerdienstlich zu Stürzen oder anderen Unfallereignissen kam.

 

Das beklagte Erzbistum habe keine Umstände aufgezeigt, die auch nur darauf hindeuteten, dass eine besondere körperliche Veranlagung bei der Klägerin bestand, die sie in besonderer Weise anfällig für Unkonzentriertheit oder Schwindel- und Ohnmachtsanfälle machte.

 

Im Unfallereignis realisiere sich eine spezifische Gefahr der dienstlichen Tätigkeit und kein „privates" Risiko der Klägerin. Das Aufsuchen der Arbeitsstelle sei dienstlich veranlasst gewesen. Die damit zusammenhängenden Gefahren habe grundsätzlich das beklagte Erzbistum als Arbeitgeber zu tragen.