Die erfolglosen Reanimierungsversuche des Polizisten führten zu einer starken psychischen Belastung. © Adobe Stock: pixelaway
Die erfolglosen Reanimierungsversuche des Polizisten führten zu einer starken psychischen Belastung. © Adobe Stock: pixelaway

Der 1995 geborene Kläger ist im Polizeidienst der Beklagten tätig. An einem Abend im März 2020 wurde der Kläger zu einem Verkehrsunfall gerufen.

 

Dort musste er zusammen mit einem Kollegen eine verunglückte Person reanimieren. Bei dem Reanimierungsversuch verlor die verunfallte Person sehr viel Blut aus dem Mund sowie dem Hinterkopf und verstarb noch während der Reanimationsversuche.

 

Einen Unfall im Dienst ohne sofortigen Körperschaden gibt es auch

 

Der Kläger beantragte die Anerkennung eines Dienstunfalls. Er gab unter anderem an, er habe keine Körperschäden als Unfallfolge erlitten.

 

Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Das beschriebene Ereignis lasse keine psychische Störung bei erfahrenen Beamt*innen erwarten. Die gesetzliche Vermutung greife nicht.

 

Im Gesetz heißt es:

 

„Es wird vermutet, dass eine nachstehend benannte psychische Störung durch einen Unfall im Sinne der Absätze 1, 4 und 5 sowie § 35 verursacht worden ist, wenn durch eine Fachärztin oder einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, die oder der durch die oberste Dienstbehörde bestimmt worden ist, festgestellt wird, dass die Störung innerhalb von fünf Jahren nach einem Unfallereignis eingetreten ist, und die erkrankte Beamtin oder der erkrankte Beamte während des dienstlichen Ereignisses der Gefahr einer solchen Störung in besonderer Weise ausgesetzt war:

 

1.    posttraumatische Belastungsstörung,

2.    Anpassungsstörung,

3.    sonstige Reaktion auf schwere Belastung,

4.    Angststörung,

5.    somatoforme Störung,

6.    akute vorübergehende psychotische Störung.

 

Der Gefahr einer psychischen Störung im Sinne des Satzes 1 in besonderer Weise ausgesetzt waren Beamtinnen und Beamte, die an einem Einsatz teilgenommen haben, bei dem Waffen eingesetzt wurden oder die von einem solchen Einsatz betroffen oder einer vergleichbaren Belastung ausgesetzt waren.“

 

Der Dienstherr wendet die Bestimmung auf den Kläger nicht an

 

Die Anforderungen an die tägliche Arbeit von Beamt*innen von Polizei und Rettungseinheiten und die damit einhergehende besondere Ausbildung ließen auf eine gewisse Robustheit der Betroffenen schließen. Es sei nicht zur erkennen, dass bei erfahrenen Beamt*innen aufgrund des beschriebenen Ereignisses im Dienst eine vergleichbare psychische Störung wie sie in der gesetzlichen Bestimmung angenommen werde, regelmäßig zu erwarten wäre.

 

Gamze Wirth vom Rechtsschutzbüro Bremen vertrat den Polizeibeamten im Klageverfahren und ließ diese Behauptung des Dienstherrn nicht unwidersprochen stehen.

 

Das Verwaltungsgericht bestätigt die Auffassung des Klägers

 

Das Beamtenversorgungsgesetz Bremen umfasse auch den Anspruch auf eine Bestätigung der obersten Dienstbehörde, dass sich ein angezeigter Vorfall in Ausübung des Dienstes ereignet habe, so das Verwaltungsgericht Bremen. Ein etwaiger Körperschaden müsse noch nicht vorliegen.

 

Das Gesetz verpflichte die Beamt*innen, Unfälle, aus welchen Unfallfürsorgeansprüche entstehen könnten, innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach dem Eintritt des Unfalles zu melden. Die Dienstvorgesetzten müssten jeden Unfall, der ihnen bekannt werde, sofort untersuchen. Gegenstand der Prüfung seien die gesetzlichen Voraussetzungen und damit die Frage, ob der angezeigte Vorfall als Dienstunfall zu qualifizieren sei.

 

Das Ereignis muss in Folge des Dienstes eingetreten sein

 

Nach dem Gesetz ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzlich, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Außerdem gilt, dass ein Unfall auch noch binnen zehn Jahren gemeldet werden kann, wenn mit der Möglichkeit einer Unfallfolge zuvor nicht gerechnet werden kann.

 

 

Das Gericht schließt aus diesen Vorschriften, dass die Pflicht zur Meldung schon dann einsetzt, wenn die Unfallfolge noch nicht vorliegt, aber mit ihr gerechnet werden muss.

 

Meldepflichtig sind alle Unfallereignisse

 

Ein meldepflichtiger "Unfall" sei deshalb nicht nur der feststehende, ohne weiteres als solcher zu erkennende Dienstunfall, der zweifelsfrei Unfallfürsorgeansprüche auslöse. Auch ein Unfallereignis, das in Ausübung des Dienstes eingetreten sei und nur möglicherweise - aktuell unter später - einen Körperschaden verursachen und Unfallfürsorgeaussprüche auslöse, entspreche dem Begriff des „Unfalls“.

 

Sei nach der Unfallmeldung im Zeitpunkt der Entscheidung noch kein Körperschaden eingetreten, lägen aber alle sonstigen Voraussetzungen eines Dienstunfalls vor, könne zwar eine Anerkennung des Unfallgeschehens als Dienstunfall (noch) nicht erfolgen. Der Dienstherr sei aber wohl aber in der Lage, eine Bestätigung abzugeben, dass sich der Unfall in Ausübung des Dienstes ereignet hat.

 

Der Dienstherr ist zur sofortigen Untersuchung verpflichtet

 

Der Dienstherr müsse seine Entscheidung daher unter Beachtung seiner Pflicht zur sofortigen Untersuchung und der zweijährigen Ausschlussfrist für Beamt*innen zur Anzeige eines Dienstunfalles vornehmen. Gegenstand der Untersuchung könne nur das sein, was die oberste Dienstbehörde prüfen müsse bzw. was sie prüfen könne.

 

Dabei gehe es in erster Linie um die Frage, ob ein Unfallereignis vorliege, welches sich in Ausübung des Dienstes ereignet habe. Diese Überprüfung werde regelmäßig durch einen zunehmenden Zeitabstand erschwert. Es komme häufig auf rein tatsächliche Feststellungen an, die unmittelbar zeitnah am besten zutreffend seien.

 

In diesen Fällen gebe es im Blick auf die künftigen Unfallfürsorgeleistungen jedoch oft noch keinen Nachweis über die konkret entstandenen körperlichen Beeinträchtigungen. Dafür bedürfe es jeweils einer erneuten, späteren Prüfung.

 

Psychische Beschwerden treten meist verzögert auf

 

Auch krankhafte Vorgänge im menschlichen Körper, die ohne eine physikalische Einwirkung hervorgerufen würden, seien ein "auf äußerer Einwirkung" beruhendes Ereignis. Das gelte insbesondere auch für psychische Reaktionen. Bei Dienstunfällen infolge psychischer Einwirkungen müsse das behauptete schädigende Ereignis seiner Art nach geeignet sein, psychischen Reaktionen hervorzurufen, die als Schädigungsfolge geltend gemacht würden.

 

Ein derartiges Unfallereignis stelle sich auch als "plötzlich" dar. Die Plötzlichkeit eines Ereignisses könne nicht mit dem Argument verneint werden, dass von Polizeibeamt*innen eine höhere Leistungsfähigkeit erwartet werden könne und es sich bei der Teilnahme an polizeilichen Sondereinsätzen um regulären Dienst handele. Für eine solche Auslegung des Dienstunfallbegriffs gebe das Gesetz nichts her.

 

Gemessen an diesen Grundsätzen liege im Fall des Klägers eine Einwirkung auf den Körper von außen vor. Das Ereignis März 2020 sei grundsätzlich geeignet, die vom Kläger geltend gemachten, möglicherweise in Zukunft eintretenden psychischen Erkrankungen auszulösen.

 

Den Bescheid der Beklagten hob das Verwaltungsgericht auf. Es verurteilte die Beklagte, anzuerkennen, dass sich der streitgegenständliche Vorfall März 2020 in Ausübung des Dienstes ereignet hat.

 

Hier geht es zum Urteil der Freien Hansestadt Bremen.

 

Das sagen wir dazu:

Das Besondere an diesem Fall ist, dass es dem Kläger nicht um die Anerkennung eines Dienstunfalles ging, sondern um die Bestätigung des Dienstherrn, dass sich der Vorfall in Ausübung des Dienstes ereignet hat.

 

Diese Bestätigung ist immer dann erforderlich, wenn der zur Anerkennung eines Dienstunfalles erforderliche Körperschaden (noch) nicht vorliegt, sich jedoch zu einem späteren Zeitpunkt z.B. in Gestalt einer PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) als Folge des als Unfall gemeldeten Vorfalls entwickeln könnte.

 

Gamze Wirtz, die das Urteil beim Verwaltungsgericht erstritten hat, meint dazu:

 

„Sehr erfreulich ist die Betonung des Gerichts, dass das Vorliegen eines, „plötzlichen“ Unfallereignisses im Sinne des Gesetzes nicht mit dem Argument verneint werden kann, dass von Polizeibeamten eine höhere Leistungsfähigkeit erwartet werden könne. Das Verwaltungsgericht hat völlig zutreffend hervorgehoben, dass das Gesetz eine solche Auslegung des Dienstunfallbegriffs nicht hergibt.

 

Für die Praxis bedeutet diese Entscheidung, dass Unfälle, die psychische Leiden zur Folge haben können, nicht voreilig als Dienstunfall abgelehnt werden dürfen. Stattdessen muss der Dienstherr schriftlich bestätigen, dass sich der als Unfall gemeldete Vorfall in Ausübung des Dienstes ereignet hat, damit im Falle später eintretender psychischer Folgen entsprechende Unfallfürsorgeansprüche geltend gemacht werden können.“