An Ärger kaum zu überbieten ist das Urteil des Verwaltungsgerichts für den betroffenen Beamten. © Adobe Stock: VanHope
An Ärger kaum zu überbieten ist das Urteil des Verwaltungsgerichts für den betroffenen Beamten. © Adobe Stock: VanHope

Der Kläger, ein freigestelltes Betriebsratsmitglied der Deutschen Telekom AG, befand sich in der Zeit vom 1. Juni 2017 bis zum 28. Februar 2022 in der aktiven Phase der Altersteilzeit. Am 1. März 2022 sollte die Passivphase beginnen.

 

Es gab keine dienstliche Beurteilung

 

Im Mai 2021 verzichtete der Kläger widerruflich auf die Erstellung einer dienstlichen Beurteilung für die Zeit vor Eintritt in die Passivphase. In die nachfolgende Beförderungsrunde 2021/2022 bezog die Beklagte ihn dann auch auf Grund der anstehenden Passivphase der Altersteilzeit nicht ein. Die Urkunden aus dieser Beförderung versandte die Beklagte im November 2021, also knapp ein halbes Jahr vor Beginn der Passivphase des Klägers.

 

Die Nichteinbeziehung des Klägers in die Beförderungsrunde beruhte auf einem Schreiben des Bundesministeriums des Innern (BMI). Hiernach waren Beförderungen in zeitlicher Nähe zu dem Ende der aktiven Dienstzeit nur dann vorzunehmen, wenn zwischen der Beförderung und dem Ende der Arbeitsphase ein Zeitraum von mindestens zwei Jahren lag.

 

Die Rechtslage hatte sich schon 2019 geändert

 

Die zeitliche Begrenzung von zwei Jahren hob das BMI mit einem Rundschreiben vom 11. November 2021 vor dem Hintergrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2019 auf. Danach sind Beförderungen während der gesamten Aktivphase der Altersteilzeit zulässig. Die Deutsche Telekom AG erhielt am 22. Dezember 2021 Kenntnis von diesem Rundschreiben.

Mit E-Mail vom 28. Januar 2022 widerrief der Kläger seinen Verzicht auf dienstliche Beurteilung und bat darum, schnellstmöglich in eine Planstelle einer höheren Besoldungsgruppe eingewiesen zu werden.

Hierauf entgegnete die Beklagte mit E-Mail, sie habe in der Beförderungsrunde 2021/2022 noch keine Kenntnis vom Rundschreiben des BMI vom 11. November 2021 gehabt. Dies könne daher erst in der folgenden Beförderungsrunde Anwendung finden. Für den Kläger komme daher eine Beförderung nicht in Betracht und eine dienstliche Beurteilung in Form einer fiktiven Fortschreibung sei nicht erforderlich.

 

Der Eilrechtsschutz auf Übertragung eines Dienstpostens scheiterte

 

Am 14. Februar 2022 leitete der Kläger ein Verfahren im Eilrechtsschutz mit dem Ziel ein, ihn bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache in die gewünschte höhere Besoldungsgruppe einzuweisen und ihm eine entsprechende Planstelle zuzuweisen. Diesen Antrag wies das Gericht zurück. Zur Begründung führte die Kammer aus, das Auswahlverfahren 2021 sei bereits vollzogen und sämtliche Beförderungsstellen seien zwischenzeitlich besetzt. Der Anspruch des Klägers, mit einer Bewerbung berücksichtigt zu werden, sei damit endgültig untergegangen.

Mit dem anschließend eingeleiteten Klageverfahren, vertreten durch das Rechtsschutzbüro Koblenz, begehrte der Kläger Schadenersatz wegen ausgebliebener Beförderung. Das Verwaltungsgericht Koblenz hielt die Klage für unbegründet.

 

Pflichtverletzungen im Beamtenverhältnis führen zum Schadenersatz

 

Der Kläger berufe sich auf den beamtenrechtlichen Schadenersatzanspruch, so das Verwaltungsgericht. Dieser begründe einen unmittelbar gegen den Dienstherrn gerichteten Ersatzanspruch für Schäden, die auf Pflichtverletzungen des Dienstherrn aus dem Beamtenverhältnis beruhten. Es handele sich um eine im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis wurzelnde und insofern „quasi-vertragliche" Rechtsvorschrift. Der beamtenrechtliche Schadenersatzanspruch gewährleiste Rechtsschutz für Pflichtverletzungen aus dem Beamtenverhältnis, wie dies das Bürgerliche Gesetzbuch für vertragliche Schuldverhältnisse vorsehe.

 

Beamt*innen könnten danach von ihrem Dienstherrn Ersatz des ihnen durch eine Nichtbeförderung entstandenen Schadens verlangen, wenn der Dienstherr bei der Vergabe eines Beförderungsamtes den aus Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz folgenden Anspruch auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl schuldhaft verletzt habe. Das Amt müsse ohne diesen Rechtsverstoß voraussichtlich übertragen worden sein. Eine weitere Voraussetzung bestehe darin, dass Betroffene es nicht schuldhaft unterlassen hätten, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden (sog. Primärrechtsschutz).

 

Diese Voraussetzungen waren im Fall des Klägers nicht erfüllt

 

Zwar habe die Beklagte den Bewerbungsverfahrensanspruch des Klägers schuldhaft verletzt, heißt es im Urteil. Das von ihr herangezogene Merkmal einer mindestens zweijährigen Distanz zu dem Eintritt in die Passivphase der Altersteilzeit habe das Bundesverfassungsgericht für rechtswidrig erklärt.  

 

Die Beklagte habe den Rechtsverstoß auch zu vertreten. Von den Mitarbeiter*innen, die für Auswahlentscheidungen verantwortlich seien, müsse verlangt werden, dass sie die Sach- und Rechtslage unter Heranziehung aller ihnen zu Gebote stehenden Hilfsmittel gewissenhaft prüften und sich auf Grund vernünftiger Überlegungen eine Rechtsauffassung bildeten. Dazu gehöre auch die Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

 

Die Beklagte hatte ihre Pflichten verletzt

 

Die Beklagte habe bei der Nichteinbeziehung des Klägers in das frühere Auswahlverfahren die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 2019 missachtet. Auf die tatsächliche Kenntnisnahme des Rundschreibens des BMI vom 11. November 2021 im Dezember 2022 komme es nicht an.

 

Der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung der Beklagten und dem vom Kläger geltend gemachten Schaden liege vor. Das setze voraus, dass der Kläger ohne den schuldhaften Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG voraussichtlich befördert worden wäre. Seine Berücksichtigung muss dabei nach Lage der Dinge jedenfalls ernsthaft möglich gewesen sein.

 

Auf den hypothetischen Verlauf kommt es an

 

Maßgeblich sei, welcher hypothetische Verlauf bei rechtmäßigem Vorgehen des Dienstherrn voraussichtlich an die Stelle des tatsächlichen Verlaufs getreten und ob der Kläger ausgewählt worden wäre, wenn der Dienstherr das Auswahlverfahren rechtmäßig vorgenommen hätte.

 

Betroffene müssten dabei beweisen, dass sie bei rechtsfehlerfreier Behandlung voraussichtlich befördert worden wären. Allerdings sei die Darlegung und Ermittlung eines derartigen hypothetischen Kausalverlaufs umso schwieriger, je fehlerhafter das Auswahlverfahren im konkreten Fall gewesen sei. Daher trage der Dienstherr die Beweislast dafür, dass nicht ernannte Bewerber*innen auch nach einem fehlerfreien Auswahlverfahren ohne Erfolg geblieben wären, wenn er es versäumt hat, die Auswahlentscheidung auf fehlerfreie Grundlagen zu stützen und es nicht mehr möglich ist, eine gesicherte Vergleichsbasis zu rekonstruieren.

 

Der Primärrechtsschutz gibt den Ausschlag

 

Der geltend gemachte Schadenersatzanspruch stehe dem Kläger gleichwohl nicht zu. Er habe die ihm auf der Primärebene zumutbaren Möglichkeiten zur Verfolgung seines Beförderungsbegehrens nicht ausgeschöpft.

Die sekundäre Ersatzpflicht für rechtswidriges staatliches Handeln trete nicht ein, wenn der Verletzte unmittelbar gegen die beanstandete Entscheidung mögliche Rechtsbehelfe ohne hinreichenden Grund nicht in Anspruch genommen habe.

Der Kläger sei der Vergabe der begehrten Beförderungsstelle nicht durch die Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes entgegengetreten, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre. Die unzutreffenden Rechtsäußerungen der Beklagten im Vorfeld des erklärten Verzichts auf eine dienstliche Beurteilung stünden dem nicht entgegen. Die Beklagte habe hierdurch die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Primärrechtsschutzes durch den Kläger nicht vereitelt.

 

Denn ebenso wie der Beklagten hätte auch dem Kläger als langjähriges Betriebsratsmitglied die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 2019 bekannt sein können. Jedenfalls unter Zuhilfenahme einer Rechtsberatung hätte der Kläger erkennen können, dass die Nichteinbeziehung in die Beförderungsrunde 2021/2022 rechtswidrig war, und hiergegen gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen können.

 

Das Eilverfahren kam zu spät

 

Der Kläger hatte den Rechtsrat zu spät eingeholt. Der von dem Kläger erst am 14. Februar 2022 gestellte Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, mit dem er die vorläufige Übertragung eines Beförderungsdienstpostens gelten gemacht hatte, wahrte die Möglichkeiten der Inanspruchnahme des Primärrechtsschutzes nicht mehr.

 

Es handelte sich bei diesem Verfahren nicht um die Durchsetzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs im Eilrechtsweg. Zum Zeitpunkt der Antragstellung war die Beförderungsrunde schon abgeschlossen. Im November 2021 hatten die Konkurrent*innen des Klägers ihre Beförderungsmitteilungen erhalten, also mehrere Monate zuvor.

 

Hier geht es zum Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz.

 

 

Das sagen wir dazu:

Von besonderer Brisanz ist in diesem Fall die Tatsache, dass die Beklagte den Kläger durch aktives Tun unter Darlegung einer falschen Rechtsauffassung dazu

veranlasste, auf die Fortschreibung seiner fiktiven Beurteilung und damit auf

die Teilnahme an der Beförderungsrunde 2021 zu verzichten. Der Kläger hatte es nicht einfach nur versäumt, tätig zu werden.

 

Das ließ das Gericht allerdings außer Betracht. Es legte den allgemeinen Verschuldensmaßstab an und nahm den Kläger bei der Haftung mit ins Boot. Das Verwaltungsgericht erkannte zwar den Schaden ebenso wie die schuldhafte Pflichtverletzung des Dienstherrn an, lastete dem Beamten dann aber § 839 BGB an.

 

§ 839 Abs. 3 BGB lautet:

 

„Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.“

 

Christoph Zschommler, einer der beiden Koordinatoren des beamtenrechtlichen Kompetenzcentrums der DGB Rechtsschutz GmbH und Prozessvertreter des Klägers, kann den Argumenten des Gerichts nicht zustimmen.

 

Nicht nachvollziehbar bleibt für ihn die Argumentation des Gerichts, die unzutreffenden Rechtsäußerungen der Beklagten im Vorfeld des erklärten Verzichts auf eine dienstliche Beurteilung stünden der Haftung des Klägers nicht entgegen. Das Gericht gehe davon aus, die Beklagte habe die Möglichkeiten des Klägers, Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen, nicht vereitelt und der Kläger hätte sich im Vorfeld rechtlich beraten lassen können.

 

Schutzwürdiges Vertrauen im Beamtenverhältnis zählt nicht

 

Ohne Wenn und Aber gilt für das Gericht damit der Vorrang des Primärrechtsschutzes. Zu einer Abwägung der Höhe des Verschuldensgrades kam es nicht. Dass der Kläger sich im Vorfeld hätte rechtlich beraten lassen können, ist eine Annahme fern der Realität. Gerade im Beamtenverhältnis muss Vertrauen darauf bestehen, dass der Dienstherr sich rechtlich korrekt verhält und seine Beamt*innen nicht durch rechtswidrige Äußerungen von der Durchsetzung ihrer Ansprüche abhält.