Polizist*innen leisten häufig Überstunden. Nicht immer bekommen sie dafür Dienstbefreiung oder Vergütung. Copyright by  Animaflora PicsStock /Adobe Stock
Polizist*innen leisten häufig Überstunden. Nicht immer bekommen sie dafür Dienstbefreiung oder Vergütung. Copyright by Animaflora PicsStock /Adobe Stock

Beamt*innen sind keine Arbeitnehmer*innen. Während Angestellte auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages bestimmte Arbeiten leisten müssen, sind Beamt*innen aufgrund ihres Amtes verpflichtet, sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Ihre Rechte und Pflichten ergeben sich aus dem Gesetz und daraus, wie ihr Dienstposten beschrieben ist.

Polizist*innen leisten oft Überstunden

Die Polizei ist 365 Tage im Jahr im Dienst. Die Sicherheit der Menschen muss sie auch an Wochenenden und Feiertagen gewährleisten. Daher ist für die meisten Polizist*innen Schicht- und Wechseldienst der Regelfall. Selbstverständlich gilt für sie auch die Arbeitszeitrichtlinie der Europäischen Union. Danach darf die wöchentliche Arbeitszeit im Durchschnitt einschließlich der Mehrarbeit nicht mehr als 48 Stunden betragen.

Mit der Arbeitszeit von Beamt*innen, insbesondere auch der Polizei, hatten wir uns bereits häufiger beschäftigt:

Auch für die Polizei gilt: Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit
Kein Anspruch auf finanzielle Abgeltung von Mehrarbeit nach dauerhafter Dienstunfähigkeit und Zurruhesetzung
DGB-Rechtsschutz erstreitet für Polizist Freizeitausgleich für Demo-Einsätze
Die Rechte und Pflichten der Polizeibeamt*innen sind in verschiedenen Gesetzen geregelt. Für die Polizist*innen der Länder gilt das jeweilige Beamtengesetz des Landes, für die Bundesbeamt*innen das Bundesbeamtengesetz. Die Pflicht zur Mehrarbeit regeln die Gesetze aber weitgehend ähnlich.

VG Chemnitz: Wenn ein Beamter in Ruhestand geht, verfallen seine Überstunden

Ein Polizeibeamter des Landes Sachsen hatte etwa 40 Überstunden auf seinem Konto, als er in wegen Dienstunfähigkeit in Pension ging. Diese wollte er vom Land erstattet haben. Das sächsische Beamtengesetz sieht vor -wie die meisten anderen Beamtengesetze auch- , dass Beamt*innen , die in Vollzeit tätig sind, im Monat fünf Stunden Mehrarbeit leisten müssen, ohne dass sie dafür einen Ausgleich bekommen. Wenn Sie darüber hinaus noch zum Dienst herangezogen werden, muss der Dienstherr ihnen binnen eines Jahres insoweit Dienstbefreiung gewähren.

Falls die Dienststelle allerdings aus zwingenden dienstlichen Gründen innerhalb des Jahren die Dienstbefreiung nicht gewähren kann, können Beamt*innen für die Mehrarbeit eine Vergütung verlangen.

Der Polizeibeamte hatte mit Hilfe unseres Büros in Chemnitz vor dem Verwaltungsgericht (VG) geklagt, leider ohne Erfolg. Das Gericht hatte seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass die Dienstbefreiung zwar nicht mehr gewährt werden könnte. Allerdings gebe es dafür keine zwingenden dienstlichen Gründe. Vielmehr seien persönliche Gründe maßgeblich, weil der Beamte aufgrund seines Ruhestandes keinen Dienst mehr leisten würde.

OVG Sachsen: Überstunden sind nicht unbedingt Mehrarbeit im Sinne des Gesetzes

Hiergegen hatten unsere Kolleg*innen in Chemnitz für den Beamten Berufung eingelegt. Das OVG wies jetzt die Berufung zurück. Jedoch mit einer anderen Begründung.

Das OVG ist der Auffassung, dass der Beamte zwar Überstunden geleistet hätte. Diese seien aber keine Mehrarbeit im Sinne der Vorschriften gewesen. Der Beamte hatte nämlich aufgrund konkreter Umstände im Anschluss an seinen Dienst aus eigenem Entschluss weiter gearbeitet, weil er seine Pflichten als Polizist ernst genommen hat. Nach dem Gesetz seien Mehrarbeit nun einmal nur die Überstunden, die ein Beamter geleistet habe, weil sie dienstlich angeordnet oder genehmigt wurden. Für Überstunden, die ein Beamter aus eigener Initiative leiste, weil er seine Pflichten nicht vollständig innerhalb der Dienstzeit habe erbringen können, gebe es keine Rechtsgrundlage.

Hier geht es zur Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts

Das sagen wir dazu:

Wir schimpfen jetzt nicht über das sächsische OVG. Das Gericht hat ein Gesetz angewendet. Ist der Wortlaut eines Gesetzes eindeutig, kommt kein Gericht daran vorbei. Gesetze macht in unserem Land der Gesetzgeber, also der Bundestag oder ein Parlament des Bundeslandes. Auslegen kann ein Gericht das Gesetz nur, wenn es vom Wortlaut her nicht eindeutig ist oder wenn es den Fall nicht genau trifft, den das Gericht zu beurteilen hat. In einem Rechtsstaat gilt nun einmal die Gewaltenteilung. Und das ist auch gut so.

 

§ 95 Absatz 2 des sächsischen Beamtengesetzes gibt eindeutig vor, dass der Beamte für Überstunden keine Vergütung erhält, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse die Mehrarbeit erfordern. Nur wenn sie dienstlich angeordnet oder genehmigt ist, muss dem Beamten innerhalb eines Jahres Dienstbefreiung insoweit gewährt werden. Und nur wenn das aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich ist, entsteht ein Anspruch auf Vergütung.

 

Daraus folgt nach dem Wortlaut des Gesetzes, dass es für Überstunden, die zwar wegen zwingender dienstlicher Verhältnisse erforderlich sind, die aber vom Dienstvorgesetzten nicht angeordnet sind, keine Dienstbefreiung und folglich auch keine Vergütung gibt, wenn die Dienstbefreiung innerhalb eines Jahres nicht klappt.

 

Im Beamtenrecht gibt es aber viele Regeln, die etwas aus der Zeit gefallen sind und einem modernen Rechtsstaat nicht gemäß. Dazu gehört etwa der „hergebrachte Grundsatz“, dass Beamt*innen für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen nicht streiken dürfen.

 

Aber auch die Regelung zur Mehrarbeit in den Beamtengesetzes –nicht nur im sächsischen- gehört in die Kategorie überkommender Regelungen. Sie geht nämlich von einem Beamtenbild aus, dass aus einer Zeit stammt, als der demokratische Rechtsstaat noch in weiter Ferne war. Der Beamte hat feste Vorschriften, an die er sich halten muss und handelt im Übrigen auf Befehl.

 

Das entspricht aber nicht mehr dem wirklichen Leben. Gerade Polizeibeamt*innen handeln oft im Rahmen der Dienstvorschriften eigenständig und ohne „Befehl von oben“. Ein Streifenpolizist etwa kann nicht auf Befehle warten, wenn Gefahr in Verzug ist. Viele Pflichten erledigt ein Polizist aufgrund eigener Organisation. Der Streifenpolizist fährt nicht nur Streife. Er muss auch Berichte schreiben und weitere Arbeiten verrichten, die nicht klassische Polizeiarbeit sind.

 

Bei alledem muss er sich mit vollem persönlichem Einsatz seinem Beruf widmen, wie das Gesetz fordert. Seine Pflichten führen deshalb häufig dazu, dass er die vom Dienstplan vorgesehene Arbeitszeit gar nicht einhalten kann.

 

Seine Vergütung erhält der Polizist zwar nicht aufgrund eines Vertrages, wie Angestellte oder Arbeiter. Was aber ihn mit diesen eint, ist der Umstand, dass er seinem Land einen Teil seiner Lebenszeit zur Verfügung stellt. Nur für diesen Teil kann man von ihm auch den vollen persönlichen Einsatz fordern.

 

Jetzt ist ein Beamter zwar immer Beamter, auch wenn er schläft. Das besondere Rechtsverhältnis mit dem Staat besteht nicht nur während der Arbeitszeit. Beamt*innen sind aber weder Sklaven noch Leibeigene. Wenn Sie außerhalb der Arbeitszeit tätig werden, weil Umstände und Pflichten das erfordern, überlassen sie ihrem Dienstherrn einen Teil ihrer Lebenszeit. Sie haben also im so etwas wie einen Kredit gegeben. Zu einem Kredit gehört, dass er irgendwann zurückgeleistet werden muss. Ein Kredit ist keine Schenkung.

 

Es ist auf der einen Seite ungerecht und nicht einsichtig, dass Überstunden nur zu berücksichtigen sind, wenn sie angeordnet werden. Das steht aber auf der anderen Seite auch gar nicht in Interesse des Staates. Wir alle wollen, dass unsere Staatsdiener heute aufgeklärte Bürger sind, die ihre Pflichten auch selbst erkennen. Wer will Polizisten, die Straftäter nicht von ihrem Tun abhalten, weil gerade ein Bericht zu schreiben oder Feierabend ist?

 

Selbstverständlich muss es Regeln dafür geben, wann und in welchem Umfang Mehrarbeit berücksichtigt wird. Zur Voraussetzung aber zu machen, dass die Mehrarbeit ausdrücklich angeordnet worden ist, ist praxisfern und fördert nicht gerade die Motivation engagierter Beamter. Das OVG ist ja davon ausgegangen, dass der Kläger die Überstunden geleistet hat, dass der Beamte die Mehrarbeit in Ausführung seiner Pflichten erbracht hat. Das muss reichen.