Der Kläger war 65 Jahre alt und blind. Daher ist bei ihm ein Grad der Behinderung von 100 anerkannt. Seit 1. Juli 2016 bezieht er eine Altersrente.
Erfolglos durch zwei Instanzen
Bis dahin hatte er für seine selbständige Tätigkeit als Lehrer, Berater und Gewerbetreibender vom Landeswohlfahrtsverband eine Assistenzkraft im Umfang von 22 Wochenstunden gestellt bekommen.
Die Kosten für die Assistenz in Höhe von monatlich 1.650 € mtl. übernahm der Landeswohlfahrtsverband aber nach dem 30. Juni 2016 nicht mehr. Denn ab 1. Juli beziehe der Kläger ja eine Altersrente. Da der Kläger aber weiterhin erwerbstätig war, beantragte er, die Kosten bis einschließlich Juni 2017 weiter zu übernehmen, was der Beklagte ablehnte.
Der Widerspruch hiergegen sowie die Klage beim Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt/Main und die Berufung beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) blieben jeweils ohne Erfolg.
Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen
Der 10. Senat des VGH Kassel ließ jedoch mit seinem Urteil vom 27. Februar 2020 die Revision zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zu, da die wesentlichen Rechtsfragen der Reichweite des Anspruchs auf Arbeitsassistenz in Bezug auf selbstständig tätige schwerbehinderte Menschen und deren Beendigung des Arbeitslebens in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bislang noch nicht geklärt seien und der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukomme.
Bundesverwaltungsgericht bringt Licht ins Dunkel der Vorinstanzen
Auf die Revision des Klägers hat das BVerwG die Entscheidung des VGH aufgehoben.
Eine Altersgrenze für den Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine notwendige Arbeitsassistenz als begleitender Hilfe im Arbeitsleben, so die Richter*innen des Revisionsgerichts, sei im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Auch lasse sich eine solche dem Gesetz - entgegen der Auffassung der Vorinstanzen - im Wege der Auslegung nicht entnehmen.
Der Anspruch, so der 5. Senat des BVerwG, setze zum einen nach Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck der Regelung nur voraus, dass der schwerbehinderte Mensch einer nachhaltig betriebenen Erwerbstätigkeit nachgeht, die geeignet ist, dem Aufbau bzw. der Sicherung einer wirtschaftlichen Lebensgrundlage zu dienen. Zum anderen sei es erforderlich, dass tatsächlich Arbeitsassistenzleistungen erbracht werden, die unter Berücksichtigung der konkreten Arbeitsumstände zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile notwendig sind.
BVerwG verweist den Fall an den VGH zurück
Da der Kasseler VGH - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - zu diesen Voraussetzungen keine ausreichenden Tatsachenfeststellungen getroffen hat, konnte das BVerwG als Revisionsgericht nicht selbst abschließend in der Sache entscheiden und verwies sie deshalb an den VGH zurück.
Hier geht es zur Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichtshof vom 13.01.2022
Für Interessierte:
Hier geht es zur Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 27.02.2020
Rechtliche Grundlagen
Auszüge aus Sozialgesetzbuch IX und § 132 Verwaltungsgerichtsordnun
Aufgaben des Integrationsamtes
(1) 1Das Integrationsamt hat folgende Aufgaben:
(4) Schwerbehinderte Menschen haben im Rahmen der Zuständigkeit des Integrationsamtes für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus den ihm aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehenden Mitteln Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz.
Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (Artikel 1 des Gesetzes v. 23. Dezember 2016, BGBl. I S. 3234) (Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX)
§ 185 Abs. 5 Sozialgesetzbuch (SGB IX) heutige Fassung
(1) Das Integrationsamt hat folgende Aufgaben:
(5) Schwerbehinderte Menschen haben im Rahmen der Zuständigkeit des Integrationsamtes für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus den ihm aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehenden Mitteln Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz. Der Anspruch richtet sich auf die Übernahme der vollen Kosten, die für eine als notwendig festgestellte Arbeitsassistenz entstehen.
§ 132 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
[Statthaftigkeit der Revision; Zulassungsgründe]
(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.