Der Bundesgerichtshof (BGH) befasste sich mit der Frage, in welchem Umfang die Eltern eine Berufsausbildung ihrer Kinder finanzieren müssen.
Keine Reaktion der Tochter auf das Schreiben des Vaters
Das antragstellende Land gewährte der Tochter des Antragsgegners (Vater) Vorausleistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) und nahm diesen aus übergegangenem Recht in Anspruch. Mit einem Notendurchschnitt von 2,3 erwarb die Tochter 2004 das Abitur.
Per Brief hatte der Vater seiner Tochter im Jahr 2004 nach dem Abitur mitgeteilt, dass er vom erfolgreichen Abschluss der Schulausbildung ausgehe und er somit keinen weiteren Unterhalt mehr zahlen müsse.
Sollte dies anders sein, möge sich seine Tochter bei ihm melden. Da er hierauf keine Reaktion erhielt, stellte er die Unterhaltszahlungen ein.
Tochter nimmt nach Lehre mit 26 Jahren Medizinstudium auf
Ab dem Wintersemester 2004/2005 bewarb sie sich im Vergabeverfahren der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) um einen Medizinstudienplatz.
Nachdem diese Bewerbung erfolglos blieb, begann sie im Februar 2005 eine Lehre als anästhesietechnische Assistentin. Diese Ausbildung schloss sie im Januar 2008 erfolgreich ab.
Im Anschluss arbeitete sie in diesem erlernten Beruf. Für das Wintersemester 2010/2011 wurde ihr schließlich ein Studienplatz zugewiesen; seitdem studiert die zum Zeitpunkt der Aufnahme des Studiums 26 jährige Tochter Medizin.
Studentenwerk fordert vom Vater Auskunft über finanzielle Verhältnisse
Das Studentenwerk forderte den Vater im September 2011 auf, Auskunft über seine finanziellen Verhältnisse zu geben.
Hierdurch erhielt er erstmalig Kenntnis von der Studienaufnahme seiner Tochter. Er hatte weder mit deren Mutter noch mit ihr jemals zusammengelebt. Seine Tochter hat er letztmals getroffen, als sie 16 Jahre alt war.
Das Amtsgericht wies den auf Zahlung von insgesamt 3.452,16 € (BAföG-Vorausleistung für Oktober 2011 bis September 2012) gerichteten Antrag des Landes ab. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde des Landes wies das Oberlandesgericht (OLG) zurück.
Ausbildungsabschnitte müssen in engem Zusammenhang stehen
Die gegen die Entscheidung des OLG eingelegte Rechtsbeschwerde des Landes blieb vor dem BGH ohne Erfolg.
Aus der Begründung des BGH-Beschlusses ergibt sich, dass der Unterhalt eines Kindes die Kosten einer angemessenen Ausbildung zu einem Beruf umfasst.
Dem Kind werde eine Berufsausbildung geschuldet, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht und sich in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern hält.
Ein einheitlicher Ausbildungsgang in diesem Sinn könne auch gegeben sein, wenn ein Kind nach Erlangung der Hochschulreife auf dem herkömmlichen schulischen Weg (Abitur) eine praktische Ausbildung (Lehre) absolviert hat und sich erst danach zu einem Studium entschließt (sogenannte Abitur-Lehre-Studium-Fälle).
Hierfür müssen die einzelnen Ausbildungsabschnitte jedoch in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen; die praktische Ausbildung und das Studium müssen sich jedenfalls sinnvoll ergänzen.
Unterhaltspflichtiger muss sich auf Unterhaltslast einstellen können
Der Anspruch ist, so der XII. Senat des BGH, zudem vom Gegenseitigkeitsprinzip geprägt. Der Verpflichtung des Unterhaltsschuldners zur Ermöglichung einer Berufsausbildung stehe auf Seiten des Unterhaltsberechtigten die Obliegenheit gegenüber, sie mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit aufzunehmen und zu beenden, wobei ein vorübergehendes leichteres Versagen des Kindes unschädlich sein kann.
Dass eine feste Altersgrenze besteht, ab deren Erreichen der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt entfällt, lasse sich dem Gesetz nicht entnehmen. Die Unterhaltspflicht richte sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls.
Maßgeblich sei, ob den Eltern unter Berücksichtigung aller Umstände die Leistung von Ausbildungsunterhalt noch zumutbar ist. Dies werde nicht nur durch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eltern bestimmt, sondern auch davon, ob und inwieweit sie damit rechnen müssen, dass ihr Kind weitere Ausbildungsstufen anstrebt.
Denn zu den schützenswerten Belangen des Unterhaltspflichtigen gehört, sich in der eigenen Lebensplanung darauf einstellen zu können, wie lange die Unterhaltslast dauern wird. Eine Unterhaltspflicht werde daher umso weniger in Betracht kommen, je älter der Auszubildende bei Abschluss seiner praktischen Berufsausbildung ist.
Auch wenn der Unterhaltsanspruch keine Abstimmung des Ausbildungsplans mit dem Unterhaltspflichtigen voraussetzt, kann es der Zumutbarkeit entgegenstehen, wenn der Unterhaltspflichtige von dem Ausbildungsplan erst zu einem Zeitpunkt erfährt, zu dem er nicht mehr damit rechnen muss, zu weiteren Ausbildungskosten herangezogen zu werden.
Alter der Auszubildenden kann Unterhaltspflicht entgegenstehen
Nach diesen rechtlichen Maßgaben bestand im vorliegenden Fall kein Unterhaltsanspruch mehr. Allerdings ist das Studium nicht allein wegen der Abiturnote unangemessen. Entstehen bei einem mit Numerus Clausus belegten Studiengang notenbedingte Wartezeiten, kann das lediglich zur Folge haben, dass das Kind seinen Bedarf während der Wartezeit durch eine eigene Erwerbstätigkeit sicherstellen muss.
Auch fehlt insbesondere nicht der zeitliche Zusammenhang zwischen Lehre und Studium, weil die Tätigkeit im erlernten Beruf lediglich der Überbrückung der zwangsläufigen Wartezeit diente. Die Inanspruchnahme des Vaters ist aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls hier unzumutbar, selbst wenn er während der Lehre seiner Tochter nicht für ihren Unterhalt aufkommen musste. Denn bei dem Alter der Tochter von fast 26 Jahre bei Studienbeginn musste der Vater typischer Weise nicht mehr ohne weiteres mit der Aufnahme eines Studiums seiner Tochter rechnen.
Entsprechend hatte er im Vertrauen darauf, nicht mehr für den Unterhalt der Tochter aufkommen zu müssen, verschiedene längerfristige finanzielle Dispositionen (kreditfinanzierter Eigenheimkauf; Konsumentenkredite) getroffen. Dieses Vertrauen war im vorliegenden Fall auch schützenswert, weil ihn seine Tochter trotz seiner schriftlichen Nachfrage zu keinem Zeitpunkt über ihre Ausbildungspläne in Kenntnis gesetzt hatte.
Hier finden Sie die Pressemitteilung des BGH vom 03.05.2017:
Hier geht es zur vollständigen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 03.05.2017
Rechtliche Grundlagen
§ 1610 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
(1) Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt).
(2) Der Unterhalt umfasst den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf, bei einer der Erziehung bedürftigen Person auch die Kosten der Erziehung.